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    Das Leben des David Gale
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Leben des David Gale
    Von Jürgen Armbruster

    Die Todesstafe ist ein Thema, das uns Deutsche allenfalls indirekt betrifft, schließlich ist sie in der Bundesrepublik seit 1949 durch den Artikel 102 des Grundgesetzes ausdrücklich verboten. Doch noch heute ist sie in vielen Staaten der Welt fest verankert und die höchst mögliche Kriminalstrafe, so auch in einigen Bundesstaaten der USA. Amerikanischer Vorreiter in Sachen Todesstrafe ist Texas, denn dort werden über fünfzig Prozent der in den Staaten angeordneten Todesurteile in die Tat umgesetzt. Ein idealer Schauplatz für Alan Parkers kompromissloses Justiz-Drama „Das Leben des David Gale“.

    Die Geschichte beginnt mit einem Ausblick auf das Ende. Eine junge Frau sitzt hinter dem Steuer ihres PKW und fährt mit Höchstgeschwindigkeit durch die kahle Einöde der texanischen Prärie. Sie hat es eilig. Plötzlich platzt der Motor. Sie flucht, verlässt dann Hals über Kopf den qualmenden Wagen und rennt los. In ihre Hand: eine Videokassette. Sie ist die Journalistin Elisabeth "Bitsey" Bloom (Kate Winslet). Wohin sie möchte oder was es mit dem Videoband auf sich hat, bleibt dem Zuschauer zunächst verborgen. Doch der Reihe nach: Bitsey und ihr Kollege Zack (Gabriel Mann) werden von ihrem Verleger mit einer brisanten Aufgabe betraut. Der zum Tode verurteilte David Gale (Kevin Spacey) erklärt sich kurz vor seiner Hinrichtung für das "marktübliche" Honorar von einer halben Millionen Dollar zu einem Interview bereit. Er verlangt jedoch ausdrücklich nach Bitsey. Was die Verurteilung von David Gale so spektakulär macht ist seine Vergangenheit. Nachdem er seinen Abschluss in Harvard als Jahrgangsbester bestand, machte er nicht nur selbst Karriere als Dozent, sondern auch als politisches Zugpferd der Menschenrechtsorganisation "Death Watch", deren oberstes Ziel es ist, gegen die Todesstafe vorzugehen. Ausgerechnet dieser Gale sitzt nun ironischer Weise selbst in der Todeszelle, da er seine Kollegin und Mitstreiterin Constance Hallaway (Laura Linney) vergewaltigt und ermordet haben soll. Bitsey hat nur noch drei Tage Zeit mehr über Gales Leben zu erfahren, denn am vierten Tag wird die Hinrichtung stattfinden. Zunächst sieht sie in Gale nichts weiter als einen Mörder, doch die Geschichte, die er zu erzählen hat, und ihre Recherchen bringen offene Fragen ans Tageslicht. Ist David Gale wirklich ein skrupelloser Mörder oder ist er in Wirklichkeit zum Opfer einer Verschwörung geworden? Ein grausamer Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

    Wer hinter "Das Leben des David Gale" ein reines Plädoyer gegen die Todesstrafe erwartet irrt. Es ist zu einfach, das gegen viele Genre-Konventionen verstoßende Drehbuch von Charles Randolph einzig und allein auf diesen Sachverhalt zu beschränken. Die Schlusswendung gehört zum intelligentesten, das Hollywood in letzter Zeit zu Stande brachte. Ohne zuviel vom Plot der Geschichte preisgeben zu wollen: Alles zuvor Geschehene wird in den letzten Minuten ad absurdum geführt. Im Vorfeld der Produktion drehte sich das Besetzungskarussell auf Hochtouren. Zunächst waren für die Hauptrollen George Clooney und Nicole Kidman im Gespräch, doch beide wurden für zu teuer befunden. Trotzdem konnte einer der größten Charakterdarsteller der Traumfabrik an Land gezogen werden: Der zweifache Oscargewinner (bester Nebendarsteller in „Die üblichen Verdächtigen“ und bester Hauptdarsteller in „American Beauty“) Kevin Spacey. Seine Performance ist wie von ihm gewohnt ohne Makel, er gibt nicht den kleinsten Anlass zur Kritik. Ihm gelingt es perfekt, die Nuancen zwischen Stärke und Verletzlichkeit, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Wissen und Ratlosigkeit zu treffen. Er spielt nicht David Gale, er ist es.

    Schauspielerisches Highlight des Films ist, als Gale vollkommen betrunken, beginnt über Sokrates und Judas zu philosophieren. Diese Szenen sind schlicht grandios. Ihm gegenüber wurde Kate Winslet als Bitsey Bloom gestellt. Der Titanic-Star, der längst zum Sternchen geworden ist, wehrt sich nach Kräften, was ihr auch zumeist gelingt, doch gegen einen Mimen der Klasse von Spacey kommt sie nicht immer an. Insbesondere in Szenen, in denen die beiden direkt aufeinander treffen, wird sie von seiner Präsenz förmlich erschlagen. Trotzdem ist ihre Bitsey Bloom glaubwürdig. Laura Linney weiß in ihrer Rolle der Constance Hallaway hingegen voll zu überzeugen. Ihr gelingt es, Spacey die Stirn zu bieten ohne dabei unter zu gehen, eine Leistung die man ihr eigentlich nicht hoch genug anrechnen kann.

    „Das Leben des David Gale“ ist alles, aber kein Film für die breite Masse. Er ist anspruchsvolles Charakterkino, das dem Zuschauer kurz bevor sich der Vorhang schließt einen enormen Schlag vor dem Kopf versetzt und ihn anschließend mit seinen Gedanken allein lässt. Was hier über die Leinwand flimmert, ist der kompromissloseste Film seit „Arlington Road“. Es werden keine Antworten gegeben, sondern Fragen gestellt. Ein Umstand, mit dem nicht jeder zu Recht kommen wird. Es gibt zwei Arten von Kinogängern, diejenigen, die sofort nachdem sich das Saallicht erhellt, aufstehen und diejenigen, die noch sitzen bleiben und das soeben Gesehene auf sich einwirken lassen. Jeder sollte vor „Das Leben des David Gale“ genau überlegen, zu welcher Sorte Kinogängern er sich zählt. Gehört man zu der erstgenannten Gruppe sollte man sich den Eintritt sparen und investiert das Geld anderweitig, gehört man zu der zweiten Gruppe kauft man am besten gleich zwei Karten.

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