Als 2013 „The Purge – Die Säuberung“ in die Kinos kam, waren zumindest die meisten Kritiker eher enttäuscht. Auch wir geben dem Film nur laue zwei Sterne, denn der Regisseur und Drehbuchautor James DeMonaco verarbeitete die eigentlich hochspannende Prämisse, dass in den USA einmal im Jahr für zwölf Stunden alle Verbrechen erlaubt sind, lediglich zu einem schematischen Home-Invasion-Thriller. Ein Erfolg an den Kinokassen wurde „The Purge“ trotzdem, so dass bereits ein Jahre später mit „The Purge: Anarchy“ eine Fortsetzung folgte, in der sich das Franchise im Gewand eines Action-Horrorfilms endlich raus auf die Straße wagt, um dort die direkten blutigen Konsequenzen der Purge-Nacht durchzuexerzieren.
Noch einmal zwei Jahre später setzte DeMonaco dann sogar noch einen drauf, indem er im dritten Teil schließlich auch die politischen Abgründe hinter der Säuberungsnacht genauer beleuchtete und den Schocker damit um eine ziemlich gehässige satirische Ebene erweiterte. Immerhin kam „The Purge: Election Year“ genau in dem Jahr in die Kinos, in dem sich Donald Trump und Hillary Clinton einen der schmutzigsten Wahlkämpfe der US-Geschichte lieferten. Nicht von ungefähr ist Trumps Wahlspruch für die anstehende Wiederwahlkampagne derselbe wie der Werbeslogan zum dritten „Purge“-Film: Keep America Great! Was für eine bittere Ironie.
In Gerard McMurrays „The First Purge“, dem vierten Teil der Reihe, geht es nun um die allererste Säuberungsnacht. Dabei ist das Prequel nicht bloß aufgrund diverser augenzwinkernder, pechschwarzer Gags unübersehbar ein Kommentar zu Trumps Amerika, der nicht nur zwischen den Zeilen immer wieder mit der Politik des polternden Twitter-Präsidenten abrechnet. Und so geht es in „The First Purge“ nun um die vornehmlich schwarzen oder lateinamerikanischen Bewohner eines Ghettos auf Staten Island, die die Regierung einfach nur irgendwie und möglichst schnell loswerden will. In Anbetracht von Trumps Mauerplänen ist „The First Purge“ mit seiner menschenverachtenden Prämisse von der Säuberung Amerikas aktueller denn je. Schade ist nur, dass der Film gerade in der ersten Hälfte einfach nicht so richtig aus dem Quark kommt.
Rassenunruhen, Gewalt und Hass vergiften das Klima in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass sich das in Zukunft ändern wird, verspricht die Partei Neue Gründungsväter Amerikas, die sich vor allem durch die Ankündigung eines radikalen Experiments mehr Wählerstimmen erhofft: Im Rahmen einer jährlich stattfindenden Säuberung soll es den Bürgerinnen und Bürgern der USA in Zukunft für eine Nacht im Jahr möglich sein, Verbrechen zu begehen, ohne deshalb negative Folgen fürchten zu müssen. Das Ziel: Durch diese regelmäßige Möglichkeit der erlaubten Gewaltausübung soll die Kriminalitätsrate im Rest des Jahres auf unter ein Prozent sinken. Zu Testzwecken soll die erste Säuberungsnacht erst einmal nur auf Staten Island stattfinden. Geht das Konzept auf, soll ein Jahr später dann schon ganz Amerika teilnehmen. Aber als die Bewohner sich weigern, einander umzubringen, müssen die Politiker selbst handeln, um am Ende jene Ergebnisse vorweisen zu können, die sie ihren Wählern vorab versprochen haben…
In einer besonders markanten Szene von „The First Purge“ grapscht ein Typ mit gruseliger Babymaske einer arglosen Frau unverhohlen zwischen die Beine, eh sie sich losreißen und ihm noch ein selbstbewusstes „Pussy Grabbing Motherfucker!“ hinterherschreien kann. Es ist einer von vielen Momenten, in denen sich zeigt, dass die Macher ganz offensichtlich reale Vorbilder für ihr Gruselszenario gewählt haben. Auch von Fake News ist die Rede und davon, dass man Amerika endlich wieder zu einer großen und führenden Nation machen wolle, wofür man nun eben zu radikalen Maßnahmen greifen müsse. All das klingt inzwischen leider viel zu geläufig, um einen als Zuschauer noch schocken zu können, das ist ja praktisch auch nichts anderes als „Tagesschau – Der Film“. Trotzdem verhelfen „The First Purge“ diese Anspielungen zu einer extrem beklemmenden Atmosphäre, wenn man sich zwischendrin immer wieder bewusst macht, dass die reale Weltpolitik den fiktiven Zuständen auf der Leinwand doch erschreckend nahekommt.
Anders als in den ersten drei „Purge“-Filmen wissen die Protagonisten in „The First Purge“ ja noch gar nicht, wie so eine Säuberungsnacht eigentlich abläuft – selbst der Zuschauer, der zumindest einen der Vorgänger gesehen hat, kann die Situation schon viel besser einschätzen als die Handelnden auf der Leinwand. Das sorgt gerade in der ersten Hälfte für eine gewisse Komik, wenn in den Dialogen immer wieder durchscheint, dass alle davon ausgehen, dass das Experiment ja eh nur eine einmalige Sache sei, weil ja wohl niemand so blöd wäre, an einer solchen Purge aktiv teilzunehmen. Der Kinobesucher weiß es natürlich besser…
Und tatsächlich: James DeMonaco, der diesmal nicht selbst Regie führt, sondern nur das Drehbuch beigesteuert hat, zeichnet die Menschen nicht wie in den anderen Teilen von Beginn an als sadistische Horden, die nur darauf gewartet haben, endlich mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Straßenzüge zu ziehen. Stattdessen gehen zu Beginn der Säuberung sogar so wenige Leute auf die Straße, dass ein einziger, mit Videokameras aufgezeichneter Mord zu einem viralen Medienereignis avanciert (diejenigen, die an der Säuberung teilnehmen wollen, erhalten nicht bloß Geld, sondern auch Kontaktlinsen mit Kameras, um ihre Taten zu Forschungszwecken aufzuzeichnen). Die Politiker müssen also nachhelfen, damit in der zweiten Hälfte von „The First Purge“ wieder jener anarchische Gewaltwahnsinn um sich greift, den wir bereits aus den bisherigen Teilen kennen.
Leider bleibt „The First Purge“ bis zu diesem Zeitpunkt klar hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das liegt zunächst mal an der stiefmütterlich behandelten Erzählebene rund um die Politiker. Die Pläne und Beweggründe der Neuen Gründungsväter Amerikas wurden bereits in den vorherigen drei Filmen immer wieder aufgegriffen. Allzu viele neue Erkenntnisse liefert „The First Purge“ deshalb nicht. Die psychologischen Säuberungs-Theorien der von Marisa Tomei („Spider-Man: Homecoming“) verkörperten Forscherin Dr. Updale finden immer nur kurz Erwähnung, über ein oder zwei kurze Sätze geht die Argumentation nie hinausgehen. Das zweite Problem von „The First Purge“ ist die anfängliche Konzentration auf einige Banden-Kleinkriege innerhalb der Ghetto-Community. Die verfeindeten Straßengangs nutzen die Säuberung, um sich an die Gurgel gehen zu können, ohne wie sonst juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. Aber weil sie das auch ohne Purge-Nacht gemacht hätten, ist das alles nicht so wahnsinnig interessant.
Wie bisher das Franchise steigert sich aber auch „The First Purge“ mit der Zeit kontinuierlich. Hat die Regierung erst einmal ihre False-Flag-Söldner auf die Straße geschickt, die dafür sorgen sollen, dass auf Staten Island bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen, entspinnt sich auf der Leinwand ein krawalliger Blutrausch, der im Vergleich zu den Vorgängern nichts an Explizität einbüßt. Wenn hier im Nebel der Nacht Kehlen durchgeschnitten werden oder der irre Szenendieb Skeletor (Rotimi Paul) von der Ferne aus eine Purge-Party inspiziert, auf der er im nächsten Moment ein gewaltiges Blutbad anrichtet, finden Suspense und Gewalt erst auf erzählerische und später auch auf ästhetische Weise zusammen. Der neu hinzugekommene Regisseur Gerard McMurray („Burning Sands“) und sein Kameramann Anastas N. Michos („Quantico“) präsentieren dazu Bilder, die weit über den stumpfen Exzess hinausgehen. In stylischer Superzeitlupe und in Neonlicht getaucht gehen hier Maskenträger, Klu-Klux-Klan-Anhänger und hilflose Bürger aufeinander los. Das sieht auf erschreckende Weise doch sehr viel ansprechender aus, als man es eigentlich von einem auf der Leinwand lebendig gewordenen Gewaltexzess erwartet würde.
Fazit: Nachdem die „Purge“-Reihe bisher von Teil zu Teil immer besser wurde, ist das Prequel nun nicht nur chronologisch ein Rückschritt. „The First Purge“ bleibt aufgrund des austauschbaren ersten Teils hinter seinen Möglichkeiten zurück und widmet sich gerade den politischen Hintergründen der allerersten Säuberungsnacht allzu beiläufig. Das können auch viele bissige Seitenhiebe in Richtung US-Politik und die stylische Inszenierung der anarchischen Action-Passagen nur zum Teil ausgleichen.