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    Red Sparrow
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Red Sparrow
    Von Antje Wessels

    Zuletzt äußerte Schauspielerin Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“) immer wieder eine gewisse Berufsmüdigkeit. Der 27-jährige Weltstar sprach nach diversen Turbulenzen nicht zuletzt im Privatleben sogar davon, sich vorerst aus dem Filmgeschäft zurückziehen zu wollen und sich stattdessen auf einer Farm niederzulassen. So gut wir den Traum der Oscar-Preisträgerin (2013 für „Silver Linings“) von einer Auszeit nachvollziehen können, so bedauerlich wäre dieser vorläufige Ruhestand für das Kinopublikum: Nachdem sie zuletzt schon in Darren Aronofskys umstrittenem „mother!“ eine beeindruckende Leistung zeigte, legt die aus Kentucky stammende Lawrence nun noch einen drauf: Wie sie sich die Rolle der skrupellosen Verführerin/Agentin Dominika Egorova im Spionagethriller „Red Sparrow“ zu eigen macht, ist ganz großes Kino. Nach dieser ebenso charismatischen wie unerschrockenen Darbietung können wir uns den wie die Teile 2 bis 4 der „Tribute von Panem“-Reihe von Francis Lawrence inszenierten Film partout nicht mit einer anderen Schauspielerin vorstellen.

    Die Weltklasse-Primaballerina Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) muss sich nach einem schweren Unfall von ihrer Tanzkarriere verabschieden. Da macht ihr Onkel Vanya (Matthias Schoenaerts) ihr ein lukratives Angebot: Sie soll sich im Rahmen des russischen Red-Sparrow-Programms zu einer Geheimagentin ausbilden lassen. Um weiterhin für ihre Mutter sorgen zu können, sagt Dominika zu und findet sich bald darauf an einer Akademie wieder, die von der gestrengen Ausbilderin Matron (Charlotte Rampling) geleitet wird. Hier muss sie sich einem knallharten Training unterziehen und lernt dabei nicht bloß zu kämpfen, sondern auch Männer zu verführen. Für die junge Frau bedeutet das die totale Selbstaufgabe. Als die Ausbildung abgeschlossen ist, soll sich Dominika an die Fersen des CIA-Agenten Nathaniel Nash (Joel Edgerton) heften, um den Namen eines amerikanischen Maulwurfs in Erfahrung zu bringen. Doch als Dominika ihr Herz an den charmanten Mann verliert, droht ihre Tarnung aufzufliegen – oder gehört all das zu ihrem Plan als Spionin?

    Jennifer Lawrence findet als Dominika eine eindeutige Bezeichnung für das knallharte, an echte russische Vorbilder aus den 70er- und 80er Jahren angelehnte Trainingscamp der Red-Sparrow-Spionageeinheit: „Whoreschool“ – zu Deutsch: Nuttenschule. Das mag im ersten Moment theatralisch klingen, doch angesichts der äußerst fragwürdigen Ausbildungsmethoden, denen Regisseur Francis Lawrence immerhin eine gute Dreiviertelstunde widmet, können wir den abwertenden Terminus nur unterschreiben. Dominika Egorova und die anderen Agentinnen in spe müssen sich zu Lehrzwecken entblößen, vor versammeltem Team einen Blowjob vollziehen oder sich sogar vergewaltigen lassen – Hauptsache, die Gelüste des Zielobjekts werden befriedigt. Wenn Dominika wiederum splitterfasernackt und mit weit gespreizten Beinen auf einem Tisch sitzt und ihr Gegenüber auffordert, sich an ihr zu vergehen, übernimmt sie fast unmerklich die Kontrolle und das Machtgefüge verschiebt sich - bezeichnenderweise bekommt der Mann keinen hoch, als sein Opfer sich ihm bereitwillig vor die Füße wirft. „Red Sparrow“ geriet schon während der Dreharbeiten in die Klatschspalten diverser Medien und machte Schlagzeiten als „der Film, in dem Jennifer Lawrence blankzieht“. Doch solche sensationsheischenden Überschriften werden dem auf dem Roman „Operation: Red Sparrow“ von Jason Matthews basierenden Noir-Thriller in keiner Weise gerecht.

    „Red Sparrow“ ist effektvoll inszeniert, wirkt aber nie selbstzweckhaft oder ausbeuterisch. Und während er in der ersten Hälfte tatsächlich ziemlich freizügig ist, so fällt noch viel mehr auf, dass der Film für einen Mainstream-Agententhriller vor allem ungemein brutal ausfällt. Wenn in der zweiten Filmhälfte eine Art elektrischer Sparschäler zum Einsatz kommt, der normalerweise für das medizinische Abtragen verbrannter (!) Haut verwendet wird, hier allerdings am gesunden (und vor allem wachen) Menschen zur Anwendung kommt, dann gehen die Schmerzensschreie des geschundenen Mannes in Mark und Bein über. Zuvor werden bereits blutig Kehlen durchgeschnitten, Menschen mit dem Laster überfahren und Dominika musste sich ultrabrutalen Foltermethoden unterziehen, um ihre Loyalität gegenüber den Russen unter Beweis zu stellen.

    Obwohl „Red Sparrow“ in seinen üppigen 145 Minuten insgesamt vergleichsweise unaufgeregt daherkommt (schon im Roman wird mehr auf Dialoge gesetzt als auf Schießereien und Verfolgungsjagden), platziert Regisseur Francis Lawrence („I Am Legend“) immer wieder bewusst schmerzhafte Akzente und setzt seinen Film insbesondere in den expliziten Action- und Folterszenen gezielt ab von leicht konsumierbarer Agentenkost der Marke „Mission Impossible“. Während das Tom-Cruise-Franchise und auch die James-Bond-Filme als glamouröse Kinofantasien wenig mit der Realität des Spionagegeschäfts zu tun haben, steht hinter „Red Sparrow“ trotz oft verführerischer Hochglanzoptik ein erkennbares Bemühen um eine gewisse Wirklichkeitsnähe, zu der eben auch eine ungeschönte Darstellung der brutalen Seiten des Metiers gehört. Und so merkt man dem Film an, dass die Geschichte von Jemandem stammt, der die Strukturen der Regierungsapparate genau kennt.

    Romanautor Jason Matthews, der selbst über 30 Jahre lang als Spion für die CIA tätig war, ist tief in die Materie eingedrungen und hat die Spionagebehörden sowohl auf russischer als auch auf US-amerikanischer Seite als hochkomplexe Organisationen gezeichnet, deren Operationen und Wirkungsweisen sich nicht immer zu einhundert Prozent erschließen. Diese Komplexität hat Drehbuchautor Justin Haythe („A Cure For Wellness“) geschickt in sein Skript eingearbeitet und sie spiegelt sich auch auf faszinierende Weise im Verhalten sämtlicher Figuren wider, die immer wieder zumindest scheinbar ihre Gesinnung wechseln. Bei diesem schwer zu durchschauenden Katz- und Mausspiel, bei dem es regelmäßig zu handfesten Überraschungen kommt, überlässt Francis Lawrence seinen Schauspielern weitgehend die Bühne und profitiert von der nahezu optimalen Besetzung aller Schlüsselrollen.

    Charlotte Rampling („Hannah“) als hassenswert-skrupellose Ausbilderin Matron lässt die mehr als unangenehmen Seiten ihrer Figur schonungslos hervortreten, ohne in die Karikatur abzudriften, während Joel Edgerton („The Gift“) seinen undurchsichtigen US-Agenten mit der richtigen Portion Charme ausstattet, um Dominikas Interesse für seinen Nathaniel glaubhaft zu machen. Matthias Schoenaerts („Am grünen Rand der Welt“), Mary-Louise Parker („Weeds“) und Jeremy Irons („Justice League“) fügen dem stylishen Agenten-Verwirrspiel weitere spannende Facetten hinzu, aber das Herzstück des Films ist Jennifer Lawrence als gleichermaßen manipulative wie bedauernswerte Antiheldin. Sie kann ihre Umgebung mit einem einzigen verführerischen Augenaufschlag zum Erstarren bringen – wie es nur ein echter Star beherrscht. Und so freuen wir uns, dass nach „Red Sparrow“ mit dem in Postproduktion befindlichen Superheldenabenteuer „X-Men: Dark Phoenix“ Men“-Reihe und mit Adam McKays angekündigtem Elizabeth-Holmes-Biopic „Bad Blood“ wohl noch mindestens zwei Filme folgen, bevor Jennifer Lawrence dem Kino den Rücken kehrt und sich als Farmerin versucht.

    Fazit: Der Noir-Thriller „Red Sparrow“ ist ein kühl-unberechenbarer Trip in die Schattenwelt der internationalen Spionage, die hier ungeschönt mit jeder Menge Nacktheit und noch mehr brachialer Gewalt präsentiert wird. Und Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence ist schlicht herausragend.

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