Netflix' Antwort auf "The Quiet Place"
Von Markus FiedlerErst vor einigen Monaten avancierte der Horrorfilm „A Quiet Place“, in dem John Krasinski, Emily Blunt und ihre drei Kinder in einer postapokalyptischen Welt keinen einzigen Mucks von sich geben dürfen, um nicht augenblicklich von außerirdischen Monstern mit sehr guten Ohren zerfleischt zu werden, zu einem der größten Box-Office-Überraschungshits des Jahres. In „Bird Box – Schließe deine Augen“, ihrer Verfilmung des gleichnamigen Horror-Romans von Josh Malerman, bedient sich die dänische Regisseurin Susanne Bier („The Night Manager“) nun eines ganz ähnlichen postapokalyptischen Szenarios, nur das die herkunftslosen Monster hier jeden in den augenblicklichen Selbstmord treiben, der sie zu Gesicht bekommt, weshalb sich schon bald alle außerhalb ihrer abgedunkelten Häuser nur noch mit geschlossenen oder verbundenen Augen fortbewegen. Dabei hat Bier für ihre Netflix-Originalproduktion mit Sandra Bullock, Sarah Paulson und John Malkovich einen herausragenden Cast zusammengetrommelt. Aber letztendlich bleibt sie trotzdem hinter den Möglichkeiten der vielversprechenden Prämisse zurück.
Es beginnt in Rumänien. Menschen geraten scheinbar grundlos in Panik und tun alles, um sich so schnell wie möglich selbst das Leben zu nehmen. Als das Phänomen auch in den USA auftritt, verliert die hochschwangere Malorie (Sandra Bullock) nicht nur ihre Schwester Jessica (Sarah Paulson), sondern beinahe auch ihr eigenes Leben. Nur mit Glück steht sie das anfängliche Chaos durch und befindet sich auch fünf Jahre später, inzwischen mit zwei Kindern im Schlepptau, noch immer auf der Flucht vor den mysteriösen Wesen, die Menschen offenbar nur durch ihren bloßen Anblick in den Suizid treiben. Und diese Psycho-Gorgonen haben noch immer nicht aufgehört, Jagd auf Überlebende zu machen, die sich im Freien durch das Tragen von Augenbinden zu schützen versuchen. Um endlich einen sicheren Ort zu erreichen, unternimmt Malorie mit den von ihr nur Junge (Julian Edwards) und Mädchen (Vivien Lyra Blair) genannten Kindern nahezu blind und in einem dafür eigentlich nicht geeigneten Ruderboot eine extrem gefährliche Wildwasserfahrt...
Susanne Bier und ihr genreerfahrener Drehbuchautor Eric Heisserer („Arrival“) machen keine Gefangenen! Schon die allererste Szene bereitet den Zuschauer auf das vor, was er in den kommenden zwei Stunden noch alles zu sehen bekommen wird: Darin erklärt Malorie den Kindern höchst eindringlich die Spielregeln für die Reise auf dem Fluss, wobei sie eher wie ein Drill Sergeant und nicht wie eine Mutterfigur wirkt. Ihr wichtigster Punkt: Niemals die Augenbinde abnehmen – egal was auch passiert! Direkt danach geht es erst einmal fünf Jahre zurück zum eigentlichen Anfang der Apokalypse – und damit direkt zu einem der absoluten Highlights des Films. Denn die Hölle, die hier schon nach wenigen Minuten losbricht, kann sich in Sachen Intensität und Schockwert durchaus mit den ersten Minuten von „World War Z“ messen. Blut und Gore ist man als Zuschauer in einer Zeit, in der eine Serie wie „The Walking Dead“ im Kabelfernsehen läuft, ja inzwischen in allen Farben und Formen gewohnt. Aber es ist erstaunlich, wie viel brutaler Gewalt plötzlich wirkt, wenn die Menschen sie nicht gegen andere, sondern gegen sich selbst anwenden.
Genau wie im Roman wird auch im Film nie erklärt, woher die Monster kommen und was genau sie wollen. Aber genau wie in „A Quiet Place“ dient die Bedrohung sowieso in erster Linie als metaphorischer Katalysator, um über die Idee von Familie und Elternschaft nachzudenken. Es wird sogar in beiden Filmen derselbe Satz ausgesprochen, nämlich dass es einen Unterschied zwischen „Leben und Überleben“ gibt. Die Geschlechterrollen sind hingegen vertauscht: In „A Quiet Place“ war es Emily Blunt, die mehr für ihre Kinder wollte, während Malorie in „Bird Box“ ihrem eigenen Sohn nicht einmal einen Namen gibt, weil eine emotionale Verbindung nur die Überlebenschancen aller Beteiligten schmälern würde. Dieses Konzept wird in „Bird Box“ gerade während der Bootsfahrt mit erstaunlicher Härte durchgezogen. Die überwiegenden Szenen spielen aber fünf Jahre zuvor, wenn sich Malorie mit einem zusammengewürfelten Haufen Überlebender in einem Haus verschanzt, um herauszufinden, was zum Teufel eigentlich los ist und wie man ohne zu sehen an Vorräte herankommen soll. Nur hat man diese Situation eben schon sehr oft gesehen, unter anderem in jedem Zombiefilm ever. Und die Variationen, die das Blindheitsgebot mit sich bringt, sind einfach nicht stark genug, um wieder neuen Schwung in dieses ausgelutschte Szenario zu bringen.
Optisch kann „Bird Box“ dagegen voll überzeugen. Salvatore Totino („Spider-Man: Homecoming“) macht das Blindsein der Protagonisten mit vielen schnellen, kurzen Kamerabewegungen greifbar, denn ganau so würde man auch selbst hin und her schauen, wenn man eine nahende Bedrohung spürt, aber einfach nicht ausmachen kann, wo genau sie herstammt. Dass die Monster aber letztlich nur als Wind, der in der Nähe die Blätter hochwirbelt und Äste bewegt, visualisiert werden, verliert vor allem in der Wiederholung zunehmend seine Bedrohlichkeit. Währenddessen sorgen Atticus Ross und Trent Reznor („The Social Network“, „Verblendung“) für eine sehr stimmungsvolle Filmmusik. Und John Malkovich darf in seiner ansonsten wenig interessanten Rolle als egoistischer Überlebenstyp zumindest einmal den Satiriker geben, wenn er sein Glas erhebt und den Toast „Make The End Of The World Great Again“ durch den Supermarkt schmettert.
Fazit: „Bird Box“ beginnt mit einem apokalyptischen Paukenschlag, flacht dann aber immer mehr ab. Im Gegensatz zu etwa „The Quiet Place“ gibt es hier einfach zu viele austauschbare Szenen, die in jeden Film mit einer postapokalyptischen Bedrohung hineinpassen würden und das spezielle Blindheits-Szenario von „Bird Box“ nur bedingt ausnutzen.