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    The First Avenger: Civil War
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The First Avenger: Civil War
    Von Christoph Petersen

    Lasst uns den Elefanten im Raum am besten gleich zu Beginn aus dem Weg schaffen: Ja, „The First Avenger: Civil War“ weckt in sehr vielen Momenten Erinnerungen an „Batman V Superman: Dawn Of Justice“; und ja, Marvel macht eine Menge von dem richtig, was die DC-Konkurrenz nur einen Monat zuvor noch in den Sand gesetzt hat. Nun wäre es ein Leichtes, die beiden Mega-Blockbuster einfach die komplette Kritik hindurch gegeneinander auszuspielen, aber damit würde man „Civil War“ alias „Captain America 3“ einfach nicht gerecht – denn das, was die „The Return Of The First Avenger“-Regiebrüder Anthony und Joe Russo hier abliefern, ist nicht nur im Vergleich zu „Batman V Superman“ herausragend, sondern erweist sich neben „Iron Man“ als bisher bester Film des Marvel Cinematic Universe (MCU). Also versprochen: Ab jetzt lest ihr in dieser Kritik kein einziges Wort mehr über den Dunklen Ritter, den Mann aus Stahl und den gemeinsamen Vornamen ihrer Mütter!

    Als Captain America (Chris Evans), Black Widow (Scarlett Johansson), Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) und Falcon (Anthony Mackie) in der nigerianischen 13-Millionen-Metropole Lagos einen Angriff von Crossbones (Frank Grillo) und seinen Schergen auf ein Institut für Seuchenkrankheiten abwehren, fordert der Einsatz der Avengers einmal mehr auch zivile Opfer. Der US-Außenminister Thaddeus Ross (William Hurt) fordert deshalb, dass die Superheldentruppe zukünftig einem Gremium der Vereinten Nationen unterstellt wird – ein entsprechendes Abkommen soll in Wien von 117 Nationen unterschrieben werden. Während der von Schuld zerfressene Iron Man (Robert Downey Jr.) auf der Seite der Politiker steht, will sich Captain America von niemandem vorschreiben lassen, wem er helfen darf und wem nicht. Als es bei der entscheidenden Sitzung zu einem Anschlag kommt, ist ein Verdächtiger auf den Videobildern schnell identifiziert: Bucky Barnes alias Winter Soldier (Sebastian Stan). Damit ist die Stunde der Entscheidung für den Captain gekommen: Macht er sich selbst auf die Suche nach seinem alten Weggefährten, stellt er sich damit gegen einen Großteil der Nationen der Erde – und gegen einige seiner besten Freunde…

    Eine der größten Herausforderungen bei den „The Avengers“-Filmen war es, für jeden der Helden etwas zu finden, was nur er tun kann – allgemein für den Fortgang der Handlung oder auch in den einzelnen Action-Sequenzen. Als ob das nicht schon schwer genug wäre, setzen die „Civil War“-Macher jetzt noch einen drauf – denn nicht nur gibt es im dritten „Captain America“-Teil mehr Helden als selbst in „The Avengers 2“, jeder einzelne von ihnen braucht auch eine stimmige Motivation, warum er sich im elementaren Konflikt zwischen Iron Man und Captain America für welche Seite entscheidet: eine Mammutaufgabe, die das Regie-Duo allerdings gemeinsam mit den Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely ganz vorzüglich löst. Ohne eine einzige spürbare Länge oder unnötig bedeutungsschwangeres Gerede werden die Überzeugungen der Avengers herausgearbeitet. Die individuellen Motive sind dabei selbst innerhalb der einzelnen Teams sehr unterschiedlich und oft extrem persönlich, aber immer sofort nachvollziehbar (hier würde sich natürlich wieder der Vergleich zu einem anderen aktuellen Superhelden-Film anbieten, aber versprochen ist versprochen).

    Die Russo-Brüder meistern nicht nur die Pflicht der Figurenzeichnung, sondern auch die Kür. Schon vor einem halben Jahr haben sie uns am Set von ihrem Wunschtraum erzählt, dass sich die Zuschauer selbst beim Rausgehen nach dem Abspann noch darüber streiten, wer denn nun recht hat: der für staatliche Kontrolle eintretende Tony Stark oder der für die Unabhängigkeit der Avengers plädierende Steve Rogers? Und tatsächlich: Wir können uns nun auch mehrere Stunden nach dem Film nicht entscheiden – natürlich ist Captain America ein netter, vertrauenswürdiger Kerl, aber wenn er und sein in den USA ansässiges Team in Afrika oder Osteuropa Weltpolizei spielen und dabei halbe Städte in Schutt und Asche legen, kann man natürlich auch verstehen, dass das nicht alle so toll finden. (Achtung: Spoiler für den Rest dieses Absatzes!) Dabei haben die Regisseure übrigens nicht nur den Mumm, den moralischen Konflikt angemessen ambivalent auszugestalten, sie weigern sich auch bis zum Schluss, ihn mit einem einfachen Martha-Handstreich wieder aufzulösen – zwar gibt es immer wieder Plot-Entwicklungen, die den Zuschauer zwischenzeitlich eher zur einen oder zur anderen Seite tendieren lassen, aber tatsächlich aufgelöst wird das Dilemma nicht. Nur doof, dass das alles in den kommenden fünf (!) Marvel-Filmen – wenn überhaupt – nur am Rande eine Rolle spielen wird und wir bis zu „Avengers: Infinity War - Part I“ im April 2018 warten müssen, um zu sehen, ob die scheinbar ausweglose Situation doch noch in einen versöhnlichen Kompromiss mündet.

    Wo der Vorgänger „The Return Of The First Avenger“ immer wieder mit Polit-Thrillern aus den 1970ern verglichen wurde, erinnert der Ton von „Civil War“ nun eher an moderne Spionage-Franchises wie die „Bourne“-Reihe oder die „James Bond“-Filme mit Daniel Craig: Gerade während der ersten großen Action-Sequenzen in Lagos und in einem Tunnel in Bukarest ist die Kamera so nah dran an den Helden wie selten zuvor – das Ergebnis hat eine Wucht und eine Unmittelbarkeit, die einen fast vergessen lassen, dass Cap & Co. ja eigentlich gar nichts Schlimmes passieren kann. Aber das ist alles trotzdem nur ein kleiner Vorgeschmack auf das große Duell der beiden Superhelden-Teams am Leipziger Flughafen – was dort in einer einzigen ausgedehnten Sequenz an inszenatorischen Kabinettstücken abgefackelt wird, hätte auch locker für eine Handvoll Blockbuster gereicht. Weil etliche der Details uns wirklich überrascht haben, wollen wir sie euch natürlich auch nicht verderben, deshalb nur so viel: Die Trümpfe sind definitiv Spider-Man und Ant-Man! Dass das eigentliche Finale nach diesem kaum wiederholbaren Höhepunkt (womöglich die beste, auf jeden Fall aber die kreativste Actionszene im gesamten MCU) anschließend sehr viel intimer und persönlicher ausfällt, erscheint da als die einzig logische Entscheidung.

    In den folgenden drei Absätzen geht es um die beiden Superhelden-Neuzugänge sowie um Daniel Brühls Rolle als Bösewicht – und über die lässt sich ohne zumindest kleine Spoiler leider gar nichts sagen: Weiterlesen also auf eigene Gefahr!

    Mit Ausnahme von Loki (Tom Hiddleston) hat das MCU noch keinen wirklich erinnernswerten Bösewicht hervorgebracht. Daran ändert nun auch Daniel Brühl nichts – der „Rush“-Star wirkt nie wahrhaft bedrohlich, nicht einmal, als er einen russischen Ex-Soldaten kopfüber in einem Waschbecken ertränkt. Allerdings ist das speziell in diesem Film gar nicht so unpassend: Zemo ist eben kein größenwahnsinniges Mastermind, sondern handelt aus sehr menschlichen Motiven; und statt persönlich mit in die Action einzusteigen, lässt der vergleichsweise zurückhaltende Strippenzieher die Avengers sich lieber selbst gegenseitig erledigen, womit er eine entscheidende Frage aufwirft: Wenn es ein einzelner Mann mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln schafft, die Superhelden zu manipulieren und gegeneinander auszuspielen, müssten diese nicht vielleicht doch besser kontrolliert werden? Immerhin haben sie zusammen die militärische Durchschlagskraft mehrerer Atombomben. In diesem Sinne macht Brühl seine Sache also durchaus gut, selbst wenn wir uns aus einem rein patriotischen Blickwinkel doch einen auffälligeren Auftritt von „unserem“ Mann im MCU gewünscht hätten.

    Dass in der Entwicklungsphase immer wieder hin und her überlegt wurde, welche neuen Superhelden nun in „Civil War“ vorgestellt werden und welche nicht, fällt zumindest bei der Figur von T'Challa alias Black Panther (Chadwick Boseman, „Get On Up“) absolut nicht auf: Der afrikanische Prinz und Krieger besitzt nicht nur elementare Bedeutung für den Plot, auch sein katzenhafter Kampfstil wirkt frisch und setzt sich angenehm von Black Widows Martial-Arts-Künsten ab. Dabei wurden auch Kleinigkeiten bedacht: Während die übrigen Superhelden meist mit einem Rums auf dem Boden aufschlagen, gibt es bei Black Panther bei der Landung kaum ein Geräusch – eine winzige Entscheidung beim Tonmix, die der Figur auch in den Action-Gruppenszenen einen ganz eigenen Charakter verleiht. Auch einen wenige Sekunden langen Blick auf T'Challas Heimatland Wakanda bekommen wir bereits geboten – und die imposante Dschungellandschaft verspricht tatsächlich, dass „Creed“-Schöpfer Ryan Coogler mit dem Black-Panther-Solo im Februar 2018 noch einmal eine völlig neue Welt für das MCU eröffnen wird.

    Nachdem sich Disney und Sony erst in letzter Sekunde auf einen Schauspieler einigen konnten, ist dem Auftritt von Spider-Man hingegen klar anzumerken, dass er erst auf der Zielgeraden eingebaut wurde. Aber obwohl der neue Spidey nichts zur Handlung beizutragen hat, möchten wir dieses Gastspiel definitiv nicht missen: Im Vergleich zu Tobey Maguires und Andrew Garfields Lesarten ist die Interpretation des Spinnenmannes durch Tom Holland („The Impossible“) noch näher an den Comics – entwaffnend natürlich und absolut frech, insbesondere im kongenialen Zusammenspiel mit Tony Stark (gerade weil Robert Downey Jr. nur in diesen Szenen seine schneidige Arroganz voll ausspielt und ansonsten unter der Last der Avengers-Zivilopfer sehr bedrückt wirkt)! Der Netzschwinger ist die klar spaßigste Figur in „Civil War“ und nachdem wir dem Solofilm des Rekord-Rebooters bisher noch mit einer gesunden Skepsis entgegengesehen haben, steht „Spider-Man: Homecoming“ nun ganz weit oben auf unserer Liste der meisterwarteten Filme 2017.

    Fazit: Wir wussten bis zum Schluss tatsächlich nicht, welcher Seite wir nun eigentlich die Daumen drücken sollen – und das ist wohl so ziemlich das größte Kompliment, das man „The First Avenger: Civil War“ machen kann.

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