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    Die Wand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Wand
    Von Robert Cherkowski

    Erfolgreiche Bücher waren schon immer ein gefundenes Fressen für Filmstudio-Bosse. Sie können bei ihren Adaptionen auf einen etablierten Markennamen und ein erwartungsfrohes Fan-Publikum bauen. Das funktioniert nicht nur in Amerika prächtig, wo zuletzt etwa „Die Tribute von Panem" oder die „Twilight"-Reihe mächtig den Rubel rollen ließen. Auch hierzulande ist das eine bewährte Erfolgsstrategie, der vor allem Deutschlands verstorbener Star-Produzent Bernd Eichinger immer wieder folgte. Er brachte nicht nur Roman-Bestseller wie „Der Name der Rose", „Das Geisterhaus", „Fräulein Smillas Gespür für Schnee" oder „Das Parfüm" auf die Leinwand, sondern präsentierte auch Sachbuch-Verfilmungen wie „Der Untergang" oder „Der Baader Meinhof Komplex" als Eventkino. Für diese Art von Vermarktung ist eine Filmadaption von Marlen Haushofers 1963er-Kultbuch „Die Wand", dieser minimalistischen Schilderung tiefster Einsamkeit, nicht gerade geeignet. Aber auch Regisseur Julian Roman Pölsler kann auf die neugierigen Blicke der Freunde des Buchs hoffen – und die werden angesichts seines Dramas feststellen, dass er die beklemmende Atmosphäre der Haushofer-Erzählung kongenial ins neue Medium übersetzt hat.

    Eine namenlose Frau (Martina Gedeck) fährt auf einen Urlaubsbesuch zu ihrer Cousine und deren Mann, die in einer Hütte in den oberösterreichischen Wäldern wohnen. Gleich nach ihrer Ankunft wollen die Gastgeber noch etwas im nächsten Städtchen erledigen. Als die Frau Stunden später auf der Couch erwacht, ist sie allein. Als sie die Umgebung erkundet, stellt sie fest, dass die Hütte und ihre Umgebung in einem gewissen Radius durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt abgeschnitten ist. Jenseits der Wand sind die Menschen erstarrt, die Zeit selbst scheint stehengeblieben zu sein. Tage und Monate vergehen und der Winter naht. Wenn sie gerade kein Feuerholz sammelt oder Wild jagt, kämpft die Frau um ihren Verstand. Während sie zunehmend geistig umnachtet durch ihren Alltag zieht, beginnt sie, ein Tagebuch zu verfassen...

    Ähnliche Isolationsszenarien wie in „Die Wand", in denen ein Ort vollkommen eingeschlossen unter einer Art Glocke liegt, gibt es in Literatur- und Filmgeschichte - von Stephen Kings „The Dome" bis zu „Die Simpsons - Der Film" - zuhauf. Regisseur Pölsler hält sich jedoch sehr eng an die düster-zivilisationskritische Vorlage von 1963 und verzichtet darauf, die Geschichte mit Genre-Versatzstücken aufzupeppen. Vielmehr konzentriert er sich darauf, die existenzielle Einsamkeit der Protagonistin greifbar zu machen. Schon damals wurde Haushofers Schilderung als Allegorie einer Psychose gelesen: Die Tagebucheinträge der namenlosen Frau dokumentieren einen nahezu aussichtslosen Kampf um Lebenssinn und geistige Gesundheit, in dem ihre letzten sozialen Bezugspunkte ein Hund, eine Katze und eine Kuh sind.

    Die Bilder menschenleerer Landschaft verströmen eine eindrückliche Würde weit jenseits werbeästhetischer Panoramen. Hier wird schnell unangenehm deutlich, dass diese Natur die Protagonistin nicht braucht, ja ihr vollkommen indifferent gegenübersteht. Selten passte der Begriff der Seelenlandschaft besser, denn diese einsame Heldin ist kein Robinson Crusoe, der voller Mut und Lebenswillen den Gefahren trotzt, sondern eine gebrochene Person. In diese Welt scheint sie von Beginn an nicht gehört zu haben. Martina Gedeck („Bella Martha") erweist sich dabei als wunderbare Besetzung für die herausfordernd introvertierte Rolle. Schon bevor sich die unsichtbare Kuppel über die Hütte senkt, verdeutlicht Gedeck auf angenehm subtile Weise, dass ihre Figur ein regelrechtes Martyrium durchlebt.

    Der österreichische Fernsehroutinier Pölsler („Inspektor Simon Polt", „Bella Block") findet immer wieder starke Motive zur Visualisierung des Innenlebens seiner Protagonistin – ein Blick in Gedecks Antlitz reicht jedoch vollkommen, um die Soziophobie und die Depression zu erahnen, die in der unsichtbaren Wand ihre Entsprechung finden. Selbst der inflationär eingesetzte Voice-over-Kommentar wird von der hörbucherprobten Gedeck elegant zur Qualität umgemünzt. Das Ende der langsam voranschreitenden Erzählung ist offen, aber aus dieser besonderen Kuppel wird es für die Isolierte allem Anschein nach keinen Ausweg mehr geben. Und je länger Pösler diesen Verstehensprozess begleitet, desto deutlicher wird sein unbedingter Willen, keinen Mystery-Film, sondern ein meditativ-stilles, gleichermaßen trauriges wie gefasstes Drama zu drehen.

    Fazit: Martina Gedeck begeistert in einer ungeheuer atmosphärischen Romanverfilmung, die allerdings alles andere als leichte Kost ist: „Die Wand" fließt dahin wie ein eiskalter Bach durch aschgraue Seelenlandschaften.

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