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    Es geschah am hellichten Tag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Es geschah am hellichten Tag
    Von Ulf Lepelmeier

    Am 9. Juni 1958 feierte mit „Es geschah am hellichten Tag“ ein Film Premiere, der zum deutschen Kriminalfilm-Klassiker schlechthin avancieren und eine Hand voll Remakes nach sich ziehen sollte. Niemand geringeres als der Schweizer Autor Friedrich Dürrematt, der vor allem für seine raffinierten, vom klassischen Krimiaufbau und den bekannten Krimiklischees abweichenden Kriminalstücke große Bekanntheit genießt, verfasste das Drehbuch zu diesem Film. Es handelte sich dabei um eine Auftragsarbeit für die Ufa, welche einen Film realisieren wollte, der auf das ernste Thema der Kindsvergewaltigung aufmerksam machen sollte.

    Dementsprechend ist auch der moralische Aspekt bei dem filmischen Werk nicht von der Hand zu Weisen. Noch im selben Jahr verfasste Dürrematt seinen Roman „Das Versprechen“, welcher zwar sehr stark an die Handlung der Auftragsarbeit anknüpfte, aber trotzdem eine ganz andere Akzentuierung setzte. Während „Es geschah am hellichten Tag“ mit einer konventionellen Story daherkommt, welche das Verbrechen und dessen Aufklärung in den Mittelpunkt stellt, liegt bei Dürrematts Roman die Entwicklung des Geisteszustands des Kommissars im Focus des Interesses. Im Nachwort zu seinem Werk stellt der Autor klar, dass er seine, vor allem zum Ende hin, um einiges düsterer und negativer geratene Romanfassung nicht als „Kritik an der hervorragenden Arbeit des Regisseurs“ verstanden haben will. Es ist aber bekannt, dass es der Schweizer Schriftsteller äußerst ungehalten aufnahm, als der von ihm vorgeschlagene Titel „Gott schlief an einem Nachmittag“ für den Film verworfen wurde.

    Als ein kleine Mädchen in einem Waldstück im schweizerischen Kanton Graubünden tot aufgefunden wird, ist die Bevölkerung in heller Aufregung. Die örtliche Polizei ist nervös, konnte sie doch schon zwei ähnliche Gräultaten, die vor einigen Jahren verübt worden waren, bisher nicht aufklären. Doch dieses Mal ist der vermeintliche Täter in Gestalt des wegen sexueller Nötigung bereits vorbestraften Hausierers Jacquier (Michel Simon) schnell gefunden. Als der notorische Einzelgänger in Haft Selbstmord begeht, scheint der Fall entgültig ad acta gelegt werden zu können. Doch Kommissar Matthäi (Heinz Rühmann) ist im Gegensatz zu allen anderen von der Unschuld des Toten überzeugt. Ihn lässt der Fall einfach nicht mehr los, hat er doch den verzweifelten Eltern des ermordeten Mädchens versprochen, dem Mörder seine gerechte Strafe zukommen zu lassen. Wie eine verschlüsselte Botschaft, die den Pfad zum Kindsmörder aufzeigt, erscheint Matthäi eine Zeichnung, die das Kind kurz vor seiner Ermordung anfertigte. Was haben der große Mann, das merkwürdige Tier mit Hörnern und die kleinen stacheligen Wesen, welche aus der Hand des Mannes zu kommen scheinen zu bedeuten? Oder handelt es sich hier nur um ein reines Phantasiegebilde, welches von einem kleinen Mädchen zu Papier gebracht wurde?

    Nicht nur wegen des leider auch noch heute aktuellen Themas, sondern auch aufgrund seiner gelungenen dramaturgischen Gestaltung und vor allem wegen der hervorragenden Ensembleleistung ist „Es geschah am hellichten Tag“ auch im 21. Jahrhundert noch sehenswert. Trotz der aus heutiger Sicht harmlosen Erzählweise vermag es die deutsch-schweizerische Co-Produktion immer noch, eine gewisse Spannung zu erzeugen und ein ungutes Gefühl beim Zuschauer hervorzurufen. Heinz Rühmann („Die Feuerzangenbowle“, „Der Hauptmann von Köpenick“) und Gert Fröbe („James Bond 007 - Goldfinger“), die auch für die Filme „Die Pauker“, „Menschen im Hotel“ und „Das Liebeskarussell“ zusammen vor der Kamera standen, brillieren in ihren Rollen. Rühmann, vor allem für seine schelmischen, humorigen Rollen bekannt, darf hier auch einmal in einer ernsten Rollen überzeugen. Seinen Inspektor Matthäi stellt er als kluge, eigenwillig agierende Autoritätsperson dar, welche aufgrund ihrer krankhaften Entschlossenheit auch bereit ist, über Leichen zu gehen, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn Matthäi die Schulen absucht, um ein geeignetes Mädchen zu finden, welches er in ein rotes Kleidchen stecken und somit als Köder dem Mörder darbringen kann, ist der Gerechtigkeitswahn, der ihn alle Moral vergessen lässt und ihn an die Schwelle des Wahnsinns führt, präsent und wird von Rühmann auch gekonnt zum Ausdruck gebracht. Doch um den eigentlichen Helden der Geschichte nicht vollkommen zu beschädigen, bleibt es beim Ködergedanken und der Film lässt Matthäi schnell wieder auf die moralische Bahn zurückkehren. Auch Gert Fröbe spielt sein schauspielerisches Potenzial aus und macht aus der Rolle des Kindermörders Schrott das Bestmögliche. Seiner Darstellung des Mörders verdankte er auch die Rolle seines Lebens, die ihn als Schauspieler für Antagonistenparts brandmarkte: die Rolle des Bösewichts Auric Goldfinger im gleichnamigen Bond-Film.

    Auch wenn Fröbe den von seiner Frau geknechteten, etwas zurückgebliebenen Herrn Schrott ausgezeichnet verkörpert, ist das konzipierte Motiv für dessen Taten wenig nachvollziehbar. Das Drehbuch sieht vor, dass der Mörder sich durch die Tötung von kleinen Mädchen an den ihn wahrscheinlich schon seit Kindestagen unterdrückenden Frauengestalten rächen will. Das der massige Mann seinen Rachegelüsten gerade an wehrlosen kleinen Mädchen auslebt, erscheint aber unverständlich.

    Mit zum Gelingen des Kriminalfilms trägt auch das übrige Ensemble bei. Hier ist vor allem Siegfried Lowitz als Kommandant der Kantonspolizei zu nennen, der von 1977 bis 1985 immer freitags als „Der Alte“ in die deutschen Wohnzimmer kam. Auch wenn die Erklärung des Tätermotivs nicht ganz zu überzeugen vermag und es bei Andeutungen der charakterlichen Abgründe der Figur des Matthäi bleibt, ist „Es geschah am hellichten Tag“ aufgrund der schauspielerischen Glanzleistungen und der gelungenen bedrückenden Atmosphäre als herausragender, stilbildender Kriminalfilm zu erachten, der es immer noch wert ist, gesehen zu werden.

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