Prinzessinnenbad: Interview mit Regisseurin Bettina Bluemner
Donnerstag, 15. März 2007 - 19:03
Prinzessinnenbad
Ein Interview mit der Regisseurin Bettina Blümner



FILMSTARTS: Die Premiere von „Prinzessinnenbad“ auf der Berlinale war ausverkauft. Wie war es, den Film zum ersten Mal zusammen mit so einem großen Publikum zu schauen? Wie haben die Mädchen reagiert?

Blümner: Die Mädchen sind sehr bodenständig. Sie sind echte Realisten und halten sich jetzt nicht für Angelina Jolie, auch wenn ihnen das im Moment natürlich alles gut gefällt. Kreuzberg und der Kiez sind einfach ihr Bereich, in dem sie immer leben wollen und sie sehen sich jetzt nicht als die neuen Sternchen am deutschen Filmhimmel.

FILMSTARTS: Das verwundert kaum, wenn man sich anschaut, wie souverän und teilweise abgeklärt deine Protagonistinnen leben. Trotzdem blitzt aber hier und da ein Moment von Kind- oder Mädchenhaftigkeit und Verletzbarkeit auf. Generell erscheint einem dein Film als ein unkommentiertes Porträt, das Widersprüchlichkeiten zulässt und nie durch Klischees in Schlagseite gerät. Gerade in letzter Zeit sind nicht zuletzt durch die Debatten über Neukölln in den Medien alte und neue Schlagwörter vom Typ „Sozialer Brennpunkt“ und „Prekariat“ wieder vermehrt aufgekocht worden. War es angesichts solcher Berichterstattung ein erklärtes Ziel von dir, mit Deinem Film dagegen vorzugehen und zu relativieren?

Blümner: Ich glaube eines der Dinge, die mich als Regisseurin auszeichnet, ist, dass ich generell nicht daran interessiert bin, Klischees wiederzugeben. Weil ich so an die Sache herangehe, finde ich oft gar keine Klischees wieder, weil ich sie gar nicht erst im Kopf habe. Gerade bei diesem Film ist mir das wichtig, denn natürlich spielt er in Berlin und in Kreuzberg. Aber es geht auch einfach ganz allgemein um diese besondere Zeit im Leben und das Erwachsenwerden und nicht so sehr darum, ein bestimmtes Milieu oder einen bestimmten Stadtteil zu charakterisieren.

FILMSTARTS: Was vermutlich der Hauptgrund dafür ist, dass man sich auf unterhaltsame Weise wieder erkennen kann und sich nicht von einem „Problemfilm“ belehrt führt. Dennoch zeigst du ja auch durchaus ernsthafte Seiten, ohne dabei Mitleid oder Perspektivlosigkeit zu vermitteln.

Blümner: Das ist auch definitiv etwas, das ich vermeiden wollte, ja. Dennoch ist es interessant, wie unterschiedlich der Film wahrgenommen wird und gerade auf ältere Generationen eben doch manchmal als „Problemfilm“ wirkt. Das hat aber vielleicht auch etwas mit Vorbildung oder Erfahrung zu tun. „Prinzessinnenbad“ ist ein sehr ehrlicher Film, der sich mit der Realität auseinandersetzt und die Dinge einfach zeigt, wie sie sind, ohne sie zu problematisieren.

FILMSTARTS: Wenn es nicht dein erstes Ziel war, Klischees auseinander zu nehmen – was war dein Ausgangspunkt für den Film und wie ist es zu der Zusammenarbeit zwischen dir und den Mädchen gekommen?

Blümner: Das war einmal der Ort, das Prinzenbad in Kreuzberg, ein Freibad mitten in der Stadt, wo wahnsinnig viele Menschen sich entblößen, um auf engstem Raum den Sommer zu genießen. Diesen Ort fand ich sehr fasziniert und ich habe angefangen, mich nach Protagonisten umzuschauen, die dort leben. Dabei habe ich mich besonders auf Jugendliche konzentriert, weil das Freibad einfach auch ein Symbol für das Erwachsenwerden ist. Ich kenne das noch aus meiner eigenen Jugend, wenn man da sitzt und dem Jungen, den man toll findet, den Rücken eincremen kann und das alles unglaublich aufregend ist. Im Winter 2004/2005 habe mich dann konkret auf die Suche gemacht nach Protagonisten und bin dabei auch viel in Jugendclubs unterwegs gewesen. Über eine Freundin habe ich dann einen Jungen kennengelernt, der neben Klara saß in einer Schule unweit vom Prinzenbad. In seiner Klasse hat er dann gefragt, ob jemand Lust hat, in meinem Film mitzuspielen. Dann kam Klara zu mir und hat mir ihre Freundinnen Mina und Tanutscha vorgestellt. Das Ganze war also kein klassisches Dokusoap-Casting mit hunderten von Bewerbern, sondern eine viel emotionalere und persönlichere Sache, weil ich mich mit sehr vielen Leuten aus der Gegend unterhalten und sie wirklich kennengelernt habe.

FILMSTARTS: Dass der Film sehr persönlich und eine Liebeserklärung an die drei Protagonistinnen ist, merkt man ihm in der Tat an.

Blümner: Ja. Wir auch immer auf einer Augenhöhe, weil ich mich eben auch immer für den Alltag der Mädchen interessiert habe. Ich brauche keinen Aufhänger oder irgendein schreckliches Ereignis, um einen Film zu machen. Der Alltag an sich ist schon wahnsinnig spannend und hat gleichzeitig humorvolle Seiten, da braucht es oft gar keine Riesenstory.

FILMSTARTS: Vielleicht ist dieser Alltag, den du zeigst, einer der Gründe dafür, dass der Film von manchen eben doch als „Problemfilm“ empfunden wird, denn man schaut nicht in die gesittete Ikea-Küche einer durchschnittlichen Mittelstandsfamilie. Vielmehr ist da eine Küche, in der eine Fünfzehnjährige mit ihrer Mutter sitzt, die erklärt, dass es zwei feste Regeln gibt. Erstens: nicht schwanger werden, zweitens: kein Heroin. Das mag in Ohren von Eltern, bei denen Regeln vom Kaliber „Um zwölf bist du zu Hause“ herrschen, einen Schock oder moralisch belächelndes Kopfschütteln verursachen. Musstest du selbst auch erst in diese Welt hineinwachsen und so eine Form von Schock überwinden?

Blümner: Das ist einfach eine eigene Realität, ja. Ich kann die Mutter von Klara schon verstehen, was natürlich nicht heißt, dass ich ihre Erziehungsmethode für die „richtige“ halte. Es geht dabei um Regeln, von denen man in der Pubertät sicherlich einige braucht. Das ist ein allgemeines, gesellschaftliches Problem. Ich glaube, dass viele Eltern auch einfach nicht in der Lage sind, ihren Kindern die Regeln zu geben, die sie tatsächlich sogar gerne hätten.

FILMSTARTS: Was eine Sache ist, die Klara sogar selbst zugibt. Obwohl sie kaum direkt darum bitten würde, tut sie es doch fast indirekt, indem sie eingesteht, dass ihr eine strengere Hand an der einen oder anderen Stelle vielleicht tatsächlich gut tun würde. Regeln und die damit verbundene Frage, was richtig oder falsch ist, sind eine Thematik, die sich mal vorder-, meist eher hintergründig wie ein roter Faden durch deinen Film ziehen. Du zeigst, dass Regeln sehr kontextabhängig sein können und deswegen nur absurd oder unrealistisch wirken, wenn man diesen Kontext nicht mitdenkt. Eine der Fragen, die sich bei Dokumentarfilmen immer wieder gerne aufdrängt, ist genau diese Frage: Ist das so realistisch? Oder auch: Beeinflusst nicht die Anwesenheit der Kamera das Verhalten der beobachteten Menschen? Während Deines Films gewinnt man nie den Eindruck, dass die Mädchen für die Kamera posieren. Hat es lange gedauert, bis so ein natürlicher Umgang entstehen konnte?

Blümner: Das war alles relativ unkompliziert. Das Vertrauensverhältnis ist während der Dreharbeiten gewachsen, aber wir hatten schon vorher darüber gesprochen, dass das ganze Projekt eben ein Dokumentarfilm über das „richtige Leben“ werden soll. Sie haben sich von Anfang an die Maxime „Seid wie ihr seid“ sehr zu Herzen genommen. Natürlich gab es da auch Situationen, in denen sie mal keine Lust mehr hatten oder posiert haben, aber dann hat man die Kamera eben ausgemacht oder nachher geschnitten. Es war ein freundschaftliches Verhältnis, bei dem man sich nicht explizit zum Filmen getroffen hat. Man hat angerufen und gefragt, ob man mal wieder vorbeikommen kann und dann einfach bei passender Gelegenheit die Kamera eingeschaltet. Aber ich stand auch nicht nur als Beobachter daneben sondern habe auch mit ihnen interagiert, das Leben der drei hat mich auch jenseits des Films interessiert. Einmal haben sie mich zum Beispiel zusammen geschminkt und so richtig aufgebrezelt. Dabei hat Klara mir dann mit einer Nadel die Augenbrauen auseinandergezogen, genau, wie sie das im Film auch selber macht bei sich – da war ich ganz schön nervös. Aber nachher war es witzig, so durch Kreuzberg zu laufen.

FILMSTARTS: Klingt nach einer sehr schönen und organischen Dreharbeit.

Blümner: Ja, das war sie. Die Arbeiten haben sich über einen lange Zeitraum erstreckt, in dem man nie sechs Wochen am Stück gedreht hat. Wenn man sich längere Zeit nicht sieht, verändern sich auch einfach mehr Dinge. Dadurch ist auch erst gar kein Druck entstanden, der die Dreharbeiten wahnsinnig aufgeladen und vermutlich auch zu einem unnatürlicheren Film geführt hätte. Ich war geistig zwar immer dabei und wusste, was den Mädchen gerade durch den Kopf geht, aber es gab eben nie den Zwang, Termine zu verabreden, sondern vielmehr einen natürlich Fluss. Dass die Dreharbeiten ein Jahr gedauert haben, war auch am Anfang gar nicht geplant. Am Ende hatten wir etwa 100 Stunden Rohmaterial, aus denen dann der fertige Film wurde.

FILMSTARTS: Was den Satz, „Der Film entsteht im Schnitt“, wieder einmal zu unterstreichen scheint. Inwiefern haben deine Protagonistinnen jenseits ihrer Präsenz vor der Kamera an der Entstehung des konkreten Endproduktes mitgewirkt?

Blümner: Sie sind dann und wann im Schnittraum vorbeigekommen, haben sich Sachen angeschaut, aber nicht selbst das Material geschnitten. Aber natürlich haben sie dem fertigen Produkt ihren Segen erteilt und auch bei der Musikauswahl mitgearbeitet. Ich habe mir angehört, was sie hören, und dann allerdings eine eigene Auswahl getroffen. Das meiste ist Hiphop aus Berlin oder direkt aus Kreuzberg, von denen die Mädchen selbst sagen, dass er gut zum Film passt. Ihre Reaktionen nach der ersten Vorführung waren dann sehr emotional und interessant, weil sie zunächst geschockt waren. Aber nach dem zweiten oder dritten Mail waren sie dann doch begeistert. Es ist sicher auch einfach ein Prozess, sich selbst nach zwei Jahren Arbeit in komprimierten 90 Minuten auf der Leinwand zu erleben.

FILMSTARTS: Wie sieht denn jetzt nach Abschluss der Dreharbeiten dein Verhältnis zu den Mädchen, aber auch zu Kreuzberg selbst aus?

Blümner: Ich mochte Kreuzberg schon immer, weil es ein unglaublich lebendiger Stadtteil ist, der eben nicht so glatt ist, sondern in dem viel passiert und wo es immer Spaß macht, einfach da zu sein. Und das Verhältnis zu meinen Protagonistinnen ist jetzt noch enger geworden. Wir sind alle sehr stolz aufeinander und ich werde versuchen, den Kontakt zu halten und sie, soweit mir das möglich ist, zu unterstützen.

FILMSTARTS: Noch ein Wort zum Schluss?

Blümner: Sehr schön fand ich eine Sache, die Mina in einem Interview gesagt hat und die für die Aussage des Films im allgemeinen ganz wichtig ist: Andere Eltern sollen nicht denken, dass ihre Kinder anders wären. Nach dem Motto: Es gibt auch noch schlimmere als uns und trotzdem sind wir irgendwo alle gleich.

Das Interview führte Andreas Becker.

Zur Kritik: Prinzessinnenbad

Zum Interview mit den Hauptdarstellerinnen

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