Mit der „FILMSTARTS-Perle“ gibt euch jeweils am Sonntag ein FILMSTARTS-Redakteur eine ganz persönliche Film-Empfehlung. Das können übersehene, unbekannte oder unterschätzte Werke genauso sein wie Lieblingsfilme und Guilty Pleasures. In jedem Fall sind es ganz besondere Filme, die das Ansehen und das Wiedersehen lohnen.
Von Andreas Staben
Der Film, den ich euch diesmal vorstelle, ist nur eine knappe halbe Stunde lang und doch gehört er zu einem ungewöhnlich langlebigen Projekt. Er wurde in schwarzweiß gedreht und in Cinemascope, er ist romantisch und dokumentarisch, neuartig und altmodisch zugleich. Er stammt aus meinem zweitliebsten Filmland und wurde von einem jungen Regisseur gedreht, der das Kino liebte und es radikal verändern wollte: „Antoine und Colette“ ist ein wahres Kleinod und sein Schöpfer, François Truffaut, ist eine Schlüsselfigur für meine persönliche Kino-Leidenschaft.
Wie haben Sie das gemacht?
Als ich als junger Filmfan anfing, mich für die Geschichte des Kinos zu interessieren, stolperte ich eines Tages über das Büchlein „Mr. Hitchcock – Wie haben Sie das gemacht?“. Darin äußerte sich der Regisseur von „Das Fenster zum Hof“, „Vertigo“ und „Psycho“ über alle seine Filme, er berichtete von ihrer Entstehung, gab Anekdoten zum Besten und plauderte aus dem Nähkästchen. So aufschlussreich ich diesen Blick hinter die Kulissen und in die Gedankenwelt Alfred Hitchcocks auch fand und finde, der größte Spaß und die größte Faszination ging für mich von seinem Gesprächspartner aus: François Truffaut. Der stellte Fragen, die nur ein echter Filmexperte und ein wahrer Filmliebhaber stellen kann. Wer war dieser französische Regisseur, der seinen berühmten Kollegen so wissbegierig befragte?
Ich schaute mir also einige Filme von Truffaut an und entdeckte das Kino gewissermaßen neu. Werke wie „Jules und Jim“ und „Der Wolfsjunge“, in dem der Regisseur eine Hauptrolle spielte, vermittelten mir das Gefühl, direkt mit dem Filmemacher zu kommunizieren. Und wie zur Bestätigung dieser autobiografischen Komponente spielte Truffaut in „Die amerikanische Nacht“, seinem Film über das Filmemachen, einen Regisseur. Was in seinem Werk bereits ohne Hintergrundwissen spürbar war, wurde durch den Blick in die Biografie bestätigt: Leben und Schaffen sind bei Truffaut ganz besonders eng verwoben und das zeigt sich nirgendwo so klar wie in den fünf Filmen der Antoine-Doinel-Reihe, in denen der Filmemacher zwischen 1959 und 1978 den Lebensroman eines fiktiven Alter egos entwarf. „Antoine und Colette“ ist der zweite Film dieser fast einmaligen Serie und der einzige Kurzfilm.
Das Leben, das war das Kino
1959 begann François Truffauts Kino-Karriere mit seinem ersten Langfilm so richtig und Antoine Doinel erblickte das Licht der Leinwand: „Sie küssten und sie schlugen ihn“ wurde bei den Filmfestspielen in Cannes enthusiastisch gefeiert. Sein jugendlicher Hauptdarsteller Jean-Pierre Léaud, der noch nicht ahnen konnte, dass er über eine Spanne von fast 20 Jahren immer wieder die gleiche Figur spielen sollte, wurde auf den Schultern aus dem Palais getragen, während der 27-jährige Regisseur zum Schleusenöffner sowie zur Symbolfigur für die Bewegung avancierte, die als Nouvelle Vague in die Filmgeschichte einging. Eine biografische Rückblende zeigt, wie unwahrscheinlich diese Künstlerkarriere noch wenige Jahre davor war:
François Truffaut hatte eine, vorsichtig gesagt, nicht ganz einfache Kindheit und Jugend im Paris der 30er und 40er Jahre. Er flog aus mehreren Schulen – er schwänzte, um in Ruhe Balzac oder Proust zu lesen - und landete schließlich sogar in einem Heim für jugendliche Delinquenten – das war unverkennbar das Rohmaterial für „Sie küssten und sie schlugen ihn“. Später unternahm er aus Liebeskummer einen Selbstmordversuch und verpflichtete sich freiwillig zum Militärdienst in Indochina, machte dann aber einen Rückzieher und desertierte. Früh begeisterte der Autodidakt sich auch für das Kino („Die Spielregel“ von Jean Renoir etwa sah er dutzende Male), zu dem er in Debattierclubs dezidierte und originelle Meinungen vertrat. In dem renommierten Kritiker und Filmtheoretiker André Bazin fand er einen Förderer und väterlichen Freund, so dass er aus der Kinoleidenschaft schließlich einen Beruf machen konnte – zunächst als Filmkritiker.
Vom Cinephilen zum Cineasten
Als polemischer Wortführer bei den Zeitschriften „Cahiers du cinéma“ und „Arts“ forderte François Truffaut in den 50er Jahren vehement eine Erneuerung des Kinos. Er hatte es wie seine Mitstreiter und Kollegen Jacques Rivette, Eric Rohmer, Jean-Luc Godard und Claude Chabrol satt, „Qualitätsfilme“ vorgesetzt zu bekommen – den gediegenen, etwas schwerfälligen und künstlichen einheimischen Literaturverfilmungen zogen sie alle das amerikanische Genre-Kino vor: Dort wo andere nur Fließbandproduktionen erkennen konnten, entdeckten sie Filmkünstler. Vehement vertraten die jungen Wilden die sogenannte Autorenpolitik, die den Regisseur als alleinigen kreativen Schöpfer eines Films propagiert. Kino musste für sie alle wie ein Roman in der „ersten Person“ erzählt werden. Der Plan war klar: Diese bilderstürmerische Kritiker-Generation drängte es hinter die Kamera. So wurden François Truffaut und seine Kumpane zwischen 1957 und 1960 selber Filmemacher. Es war unverkennbar, dass sich mit den Debüts der Gang von den „Cahiers“, aber auch mit den zumeist ersten (Lang-)Filmen von Roger Vadim („...und immer lockt das Weib“), Louis Malle („Fahrstuhl zum Schafott“), Alain Resnais („Hiroshima mon amour“), Jacques Rozier, Agnès Varda oder Jacques Demy („Lola“) etwas Grundlegendes verändert hatte.
Paris gehört uns
Nach dem Durchbruch mit „Sie küssten und sie schlugen ihn“ und dem fast ebenso großen Erfolg von Godards „Außer Atem“, zu dem Truffaut die Story lieferte, konnten die jungen Filmemacher ihre Vision vom Kino etablieren: Es wurde an Originalschauplätzen (bevorzugt Paris) statt im Studio gedreht, man engagierte unverbrauchte Darsteller wie Jean-Paul Belmondo und Jean-Claude Brialy sowie die eigenen Kumpel für die Crew. Natürlich verfilmten diese Autorenfilmer bevorzugt ihre eigenen Drehbücher, die zumeist von Dingen handelten, die sie aus eigener Anschauung kannten. Werke wie „Im Zeichen des Löwen“ von Rohmer, Rivettes „Paris gehört uns“ oder Chabrols „Schrei, wenn Du kannst“ wirken nicht nur heute noch unheimlich frisch und von Enthusiasmus beseelt, sondern sie fangen auch das Lebensgefühl der Zeit ein und sind im Rückblick zugleich als durchaus typisch für den jeweiligen Regisseur erkennbar.
Die sehr persönliche Prägung der Filme war besonders für Truffaut Programm, genau diese subjektive Aneignung hatte er als Kritiker immer gefordert. Und so kehrte er 1961 bei der erstbesten Gelegenheit zu Antoine Doinel zurück. Gerade hatte er seine wunderschöne Ménage à trois „Jules und Jim“ mit Jeanne Moreau und Oskar Werner abgedreht, als er das Angebot erhielt, sich an einem Kompilationsfilm mit kurzen Episoden über die Liebe zu beteiligen: In „Antoine und Colette“ erzählt er davon wie der inzwischen 17-jährige Antoine sich bei einem Konzert zu den Klängen des Gangs zum Richtplatz aus Hector Berlioz' „Symphonie fantastique“ in die Abiturientin Colette verguckt. Und seine Entdeckung Jean-Pierre Léaud ist wieder dabei.
Eine Romanze en miniature
Truffaut entwirft eine Choreographie der Blicke und Gesten, die keinen Zweifel lässt: Antoine ist aufs Heftigste verliebt. Dummerweise bleibt die Umworbene auf Distanz, einen Liebesbrief des Verehrers lobt sie als „gut geschrieben“, ohne mit nur einem Wort auf seine Gefühle einzugehen. Auch als Antoine umzieht und sich ein Zimmer auf der anderen Straßenseite der Wohnung sucht, in der Colette mit ihren Eltern wohnt, bleibt sie unbeeindruckt. Ihr Vater und ihre Mutter dagegen schließen den netten Jungen von gegenüber ins Herz...
Die Episode des Umzugs ist - wie sollte es anders sein – autobiografisch, auch Truffaut hatte mit dieser Art des Annäherungsversuchs im Übrigen keinen Erfolg. Verbürgt ist auch, dass der Regisseur sich Hals über Kopf und letztlich unglücklich in seine junge Hauptdarstellerin (die am 24. April 2011 verstorbene Marie-France Pisier) verliebte. Unabhängig von diesen anekdotischen Einzelheiten ist „Antoine und Colette“ ein Film, der durch Leichtigkeit und Klarheit besticht. Mit gezielt gesetzten Off-Kommentaren, einer Rückblende zu „Sie küssten und sie schlugen ihn“ und dokumentarischen Sequenzen von Antoines Arbeit in einer Schallplattenfabrik werden die Figuren und Situationen deutlicher umrissen als in vielen langen Filmen. Faszinierend ist auch der Blick auf das Straßenbild (die Autos!) und die Inneneinrichtung (der Fernseher!) von 1961 sowie Truffauts Ohr für die Alltagssprache – hier siezen sich die jungen Leute noch. Zeitlos dagegen sind die Gefühle, von denen hier bittersüß und einfühlsam erzählt wird.
Doinel, Truffaut, Léaud
Die Rückkehr von Jean-Pierre Léaud als Antoine Doinel, der dem französischen Publikum natürlich noch im Gedächtnis war, gibt dem etwa drei Jahre nach „Sie küssten und sie schlugen ihn“ entstandenen „Antoine und Colette“ eine besondere Dimension. Aus dem Streuner und Rebellen ist ein eher ruhiger junger Mann geworden, dessen Abenteuer in den langen Filmen „Geraubte Küsse“ (1968), „Tisch und Bett“ (1970) und „Liebe auf der Flucht“ (1978), in dem auch Colette noch einmal auftaucht, weitererzählt werden sollten. Aus dieser fiktiven Biografie, in die viel von Truffaut und genauso viel von Léaud einging, ist „Antoine und Colette“ das unbekannteste und das schönste Kapitel und ist heute natürlich in diversen Truffaut-Collections auf DVD zu finden – die restlichen Teile der Kompilation „Liebe mit 20“ dagegen, für die er entstand, sind kaum einmal irgendwo zu sehen.
Der Filmemacher Truffaut bleibt mit Filmen wie "Die letzte Metro" immer in Erinnerung, aber auch seine Lebensgeschichte ist für Filmliebhaber spannend wie ein Roman. Die maßgebliche Biografie von Antoine de Baecque und Serge Toubiana ist auch auf deutsch erschienen. Wer die Erzählung des Privaten und des Beruflichen lieber in Truffauts eigenen Worten lesen möchte, der sei auf die veröffentlichte Korrespondenz des begeisterten und begnadeten Briefeschreibers verwiesen. Auch von diesem Talent lässt "Antoine und Colette", der im Tonfall einem persönlichen Brief eines alten Freundes ähnelt, einiges ahnen.
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