Filmstarts trifft... von Waldstätten und Assayas ("Carlos")
von Christoph Petersen; Mitarbeit: Annemarie Havran ▪ Donnerstag, 4. November 2010 - 00:00

Hauptdarstellerin Nora von Waldstätten und Regisseur Olivier Assayas sprechen mit uns über ihr Terroristen-Biopic "Carlos - Der Schakal", das in Deutschland in einer fünfeinhalb- und einer dreistündigen Fassung in die deutschen Kinos kommt.

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Filmstarts: Was ist für Dich das Faszinierende an Carlos, das Dich schlussendlich dazu bewogen hat, den Film zu machen?

 

Olivier Assayas: Es war ein gradueller Prozess. Das Projekt wurde über einen Produzenten an mich herangetragen und sollte zuerst ein reiner Fernsehfilm werden. Mich hat besonders gereizt, dass Carlos ein moderner Mythos ist, eine mysteriöse Figur mit einem sehr abenteuerlichen Leben. Es hat mich überrascht, dass seine Geschichte bisher noch nicht erzählt wurde. Es ist auch kompliziert, sein Leben zu verfilmen, denn es umfasst so viele unterschiedliche Länder, Kulturen und Sprachen. Seine Geschichte ist transnational. Das war auch beim Dreh sehr aufwändig, aber genau das hat mich an diesem Stoff interessiert. Es ist eine moderne Geschichte über die Komplexität der modernen Politik und bietet eine große Bandbreite an Perspektiven, nicht nur die einer Kultur oder eines Landes.

 

Olivier Assayas mit Édgar Ramírez am Set von "Carlos - Der Schakal".

 

Filmstarts: Carlos ist eine faszinierende Figur. Aber muss man da nicht auch aufpassen, dass man den Mythos um ihn herum nicht noch weiter bestärkt? Wie hast Du da die richtige Balance gefunden?

 

Olivier Assayas: Mein Credo war es, mich an die Fakten zu halten und sie nicht zu interpretieren. Ich habe versucht, seine Menschlichkeit herauszustellen. Es geht nicht darum, ihn zu beschuldigen, sondern ihn zu verstehen. Für mich ergeben die Dinge, die Carlos getan hat, keinen Sinn. Ich wollte den Sinn dahinter entdecken, indem ich seine Persönlichkeit zu verstehen versuche. Aber natürlich gebietet es der moralische Kompass des Zuschauers, selbst zu entscheiden, wie er es bewertet, dass Carlos Bomben an öffentlichen Plätzen gezündet und Zivilisten getötet hat. Ich habe Respekt vor meinem Publikum und möchte ihm keine Wertung aufdrücken.

 

Filmstarts: Würdest Du sagen, dass er sich selbst als eine Art Popstar verstanden hat? War es ihm wichtig, populär zu sein?

 

Olivier Assayas: Ja, und das ist einer der verrücktesten Aspekte seiner Persönlichkeit. Terroristen sollten keine Popstars sein, sondern eher Kreaturen aus der Dunkelheit, sie sollten im Schatten stehen und nicht im Rampenlicht. Wenn man zu präsent ist, ist man eigentlich kein guter Terrorist. Es ist also ein wenig paradox. Die Geschichte zeigt, dass er eher unfreiwillig zu seiner Bekanntheit gelangt ist. Aber dann hat es ihm gefallen. Er begann, seinen eigenen Stil zu kreieren und sich als eine Art Kunstfigur zu präsentieren. Das ist ein Hinweis darauf, dass er seinen Ruhm genossen hat.

 

Filmstarts: Du hast Carlos nie persönlich getroffen. Wenn Du es könntest, was würdest Du ihn fragen?

 

Olivier Assayas: Es ist nicht so, dass ich keine Fragen hätte, aber ich glaube, ich würde keine Antworten bekommen. Er wartet in einem französischen Gefängnis auf seinen Prozess und alles, was er sagt, könnte gegen ihn verwendet werden. Soweit ich weiß, hat Carlos nie die Wahrheit über seine Geschichte erzählt. So lange er im Gefängnis ist, wird er sein Leben nicht transparent machen. Vielleicht wird er eines Tages seine Memoiren schreiben und dann können wir eventuell einen flüchtigen Blick auf die Wahrheit werfen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann keiner seiner Aussagen wirklich geglaubt werden.

 

Édgar Ramírez als "Carlos - Der Schakal".

 

Filmstarts: "Carlos" sollte ursprünglich nur fürs Fernsehen produziert werden, hat nun aber doch den Sprung auf die große Leinwand geschafft. Sehen Sie den Film eher als Fernsehen oder als Kino?

 

Olivier Assayas: Für mich ist er absolut Kino. Es ist Kino in dem Sinne, dass ich nicht auf zwei verschiedene Weisen drehe. Ich kenne nur eine Art des Filmemachens, ich ändere meinen Stil nicht, nur weil ich fürs Fernsehen oder fürs Kino drehe. Aber dieser Film hätte außerhalb des Fernsehens nicht finanziert werden können, weil er zu lang ist. Die Produzenten hätten mich ausgelacht, wenn ich mit der Idee eines fünfstündigen Films an sie herangetreten wäre. Das Fernsehen hingegen kann einen Dreiteiler finanzieren.

 

Filmstarts: Wie kam es dann, dass "Carlos" auf dem Filmfestival in Cannes seine Premiere feierte? Und warum war er nach vielem Hin und Her am Ende doch nicht im Wettbewerb?

 

Olivier Assayas: Es war ein großer Konflikt unter den Organisatoren des Festivals. Thierry Frémaux, der Vorsitzende des Festivals, wollte den Film unbedingt  im Wettbewerb. Er hatte ihn zuvor gesehen und für ihn war klar, dass "Carlos" am Wettbewerb teilnimmt. Aber es ist immer ein komplizierter Prozess für französische Filme, am Festival teilzunehmen. Wenn man einen internationalen Film macht, erfährt man schon früh, ob man nach Cannes eingeladen ist oder nicht. Die französischen Filmemacher erfahren es hingegen erst auf den letzten Drücker, meistens erst ein bis zwei Tage vor der Pressekonferenz. Wir erfuhren also, dass "Carlos" in Cannes aufgeführt werden sollte, aber wir wussten nicht, welchen Status er haben würde. Erst am Tag vor der Pressekonferenz erfuhr ich telefonisch von Thierry Frémaux, dass der Film am Wettbewerb teilnehmen soll.

 

Aber dann kam die Frage auf, warum "Carlos" als Fernsehproduktion überhaupt in Cannes aufgeführt wird, geschweige denn am Wettbewerb teilnehmen soll. Auf einmal stand die Aufführung also wieder zur Debatte und es entstand ein großes Chaos. Sogar das französische Kultusministerium mischte sich sein. Letztendlich durfte der Film in Cannes aufgeführt werden, unter der Bedingung, dass er nicht am Wettbewerb teilnimmt. Das hat aber nicht wirklich etwas mit dem Festival oder seinen Regeln zu tun, es ist eher eine ungeschriebene Regel, noch dazu eine verrückte, die sich lediglich auf vom französischen Fernsehen produzierte Filme bezieht.

 

Filmstarts: In Deutschland vermischt sich Fernsehen und Kino immer mehr. Im Fall von "Carlos" scheint das gerechtfertigt, denn der Film entspricht Kino-Niveau. Aber mittlerweile gelangen auch immer mehr qualitativ nicht sonderlich hochwertige Fernsehproduktionen auf die Leinwand. Wie siehst Du das?

 

Olivier Assayas: Ich stimme vollkommen zu. Ich unterstütze die Trennung von Fernsehen und Kino, das ist eine sinnvolle Regulierung. Aber zu jeder Regel muss es auch eine Ausnahme geben. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass viele Filme, die in Frankreich im Kino laufen, wie Fernsehproduktionen aussehen, zum Beispiel wenn sich Comedy-Darsteller aus dem Fernsehen an Komödien im Kino versuchen. Bei "Carlos" ist es genau umgekehrt. Er wurde zwar durch das Fernsehen finanziert, ist aber das genaue Gegenteil von einem Fernsehfilm.

 

Filmstarts: Was würde Carlos heute tun, wenn er nicht im Gefängnis säße? Hätte er sich Al-Qaida angeschlossen?

 

Olivier Assayas: Ich glaube, er würde seinen Ruhestand in Venezuela genießen. Ich denke nicht, dass er noch politisch aktiv wäre. Es gibt nicht mehr viel Raum für ihn nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Das Besondere an ihm war seine Fähigkeit, sich zwischen dem Ostblock und dem Mittleren Osten zu bewegen. Er war eine Kreatur des Kalten Krieges. Im Westen könnte er sich heute nicht mehr frei bewegen, dafür ist sein Gesicht zu bekannt. Er ist sowas wie der Posterboy des internationalen Terrorismus.

 

"Carlos - Der Schakal" startet am 4. November in den deutschen Kinos.

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