Nach der ersten Folge von Euphoria war ich erst mal verstört. Wie beim berüchtigten Autounfall, bei dem man einfach nicht wegschauen kann, so sehr man sich auch dagegen sträubt. Es ist eine Geschichte über Highschool-Kids. Aber hier geht es vorrangig nicht wie so oft üblich um die erste Liebe und das erste Mal. In Euphoria stehen Jugendliche im Zentrum des Geschehens, die alle einen gewissen psychischen Schaden haben. Es geht um Drogenabhängigkeit, um eine gestörte Beziehung zum eigenen Körper und zum Sex, um Manipulation, Gewalt und Missbrauch. Doch diese Serie ist weit davon entfernt, seine Figuren deshalb an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil, alle Charaktere bekommen eine Backstory, die ihre negativen Seiten ausleuchten und erklären.
Wenn man das erst mal verstanden hat, wenn man kapiert hat, dass es in Euphoria um die Bewältigung von Trauer und Scham geht, um Eigenliebe, um diese große Lücke vom Jugendlichen zum Erwachsen werden, dann wandelt sich diese anfängliche Verstörtheit in große Liebe zu den meisten Figuren, mindestens aber in Verständnis für sie. Dann kann man nicht umhin, mit den Jugendlichen mitzuzittern.
Die Story wird erzählt aus der Perspektive der siebzehnjährigen drogenabhängigen Rue. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie begleitet jede Folge mit ihren Kommentaren aus dem Off. Das macht sie nicht gerade zu einer zuverlässigen Erzählerin, und aus diesem Blickwinkel heraus ist es auch verständlich, dass die Story nicht immer logisch ist, was ihr oft als Kritikpunkt vorgeworfen wird. Das sollte man akzeptieren, und man wird mit dieser Show großen Spaß haben. Auch, dass einige Plotpunkte groß aufgebaut und dann nie wieder erwähnt werden, wird nachvollziehbarer, wenn man sich klar macht, dass die Gehirne von Teenagern genau so funktionieren. Was heute noch das Wichtigste der Welt ist, kann morgen schon Schnee von gestern sein und „lame”.
Die großen Pluspunkte von Euphoria sind die grandiosen Jungschauspieler. Zendaya in der Hauptrolle als Rue kann man gar nicht genug loben. Ihre Verkörperung des Junkies ist unbeschreiblich gut. Ihr Spiel ist roh, verwundbar und losgelöst mitreißend. Kein Wunder, dass sie dafür völlig zu Recht mit Preisen überhäuft wurde. Unbedingt zu nennen ist auch Hunter Schafer, die eine Ausstrahlung hat, der man sich nicht entziehen kann. Doch auch Sydney Sweeney. Jacob Elordi. Alexa Demie und Storm Reid sind durch die Serie zu Klasse A-Schauspielern aufgestiegen.
Auch durch ihre Ästethik zeichnet die Show sich aus und hat zumindest im TV-Bereich neue Maßstäbe gesetzt. Man kommt nicht umhin, ihre Farbgestaltung, ihren Schnitt, aber vor allem die phantasievollen Kameraeinstellungen zu bewundern. Immer wieder begeistert sie durch ungewöhnliche Kamerafahrten, extralange Long Takes, extreme Close Ups oder ihre eindrucksvollen Zoom Ins und Zoom Outs. Selten steht die Kamera still, was das ganze Setting sehr lebendig macht. Nie aber ist dieses Stilmittel für die Ästethik allein angewendet, immer dient sie der Story, der Situation und der Figurenzeichnung.
Doch leider ist Euphoria nicht perfekt, das soll hier auch nicht verschwiegen werden. Mir persönlich war die Nudität der Show zu hoch, noch nie in meinem Leben habe ich mehr männliche Geschlechtsteile gesehen als in Euphoria, und auch die weiblichen Darstellerinnen waren öfter nackt als es der Story geschuldet war. Ich finde nicht, dass das sein muss.
Auch im Storytelling gibt es einige Mißstände. So gut Serienmacher Sam Levinson es schafft, Rues Geschichte vollständig zu erzählen, desto nachlässiger geht er oft mit seinen anderen Figuren um. Charaktere, die in der ersten Staffel eine wichtige Rolle spielten und einen guten Plot hatten, werden in der zweiten Staffel zu bloßen Stichwortgebern und Randfiguren degradiert und umgekehrt. Das war für einige Figuren extrem bedauerlich, denn ihre Geschichte war alles andere als auserzählt. Doch es schien, als hätte Levinson einfach keine Idee oder keine Lust auf weitere Verwendung für sie gehabt.
Im Großen und Ganzen aber ist Euphoria eine Serie, die den derzeitigen Hype komplett verdient hat, die Richtlinien für kommende Shows setzen wird und die man gesehen haben sollte, wenn man „mitreden” will. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass Euphoria ihre Zeit überdauern wird und auch noch Gesprächsstoff liefern wird, wenn sie längst nicht mehr produziert werden wird.