Um es kurz zu machen: "Legion" ist eine Serie, die keiner Erwartungshaltung gerecht wird. Und das im positivsten Sinne. Statt eines neuen bonbonbunten übertrieben selbstironischen Effektheaters, wie es vor allem "Thor: Tag der Entscheidung" aktuell vorgeworfen wird, bekommt man hier einen charakterzentrierten Psychothriller vorgesetzt, der in Sachen Experimentierfreudigkeit und künstlerischem Anspruch auf dem TV-Markt vielleicht höchstens noch mit dem britischen Erfolgsformat "Utopia" verglichen werden kann. Selbst vor Musicalszenen, Schwarzweiß-Passagen, Stummfilmelementen und durchgeknallten Traumwelten schreckt Showrunner Noah Hawley nicht zurück.
Dass das Konzept aufgeht ist unter anderem dem brilliant aufspielenden Dan Stevens zu verdanken, der Davids Unschuld ebenso eindringlich verkörpert wie die unberechenbaren Seiten des titelgebenden Mutanten. Dessen wahre Macht lässt sich erst gegen Ende der Staffel wirklich erahnen. Auch seine Co-Stars sind überwiegend hervorragend besetzt, allen voran Aubrey Plaza, Bill Irwin und Jemaine Clement (eine Hälfte des neuseeländischen Comedy-Duos "Flight of the Conchords").
Im Gegensatz zur Mehrheit der bekannten Comicverfilmungen bekommen es die Helden hier mit einem vielschichtigen und mysteriösen "Schurken" zu tun, der weit entfernt von den üblichen verrückten Wissenschaftlern oder Möchtegern-Weltbeherrschern angesiedelt ist. Auch der Konflikt mit der Regierung, den man aus "X-Men" schon ganz gut kennt, geht anders aus als erwartet. Ein paar Querverbindungen zu den existierenden Filmen dieses Universums gibt es übrigens am Rande, man übertreibt es aber auch nicht mit den Franchise-Fanservice. Kenner der Comicvorlage wissen womöglich bereits, welche Rolle David Haller alias Legion im Kontext der übrigen Figuren einnimmt, für alle anderen gibt es aber umso mehr zu entdecken.
Wem also der Stilwillen von "Logan" gefallen hat, wer bei "Utopia" mitfiebert, schräge Charaktere liebt und einen wilden Ritt durch alle filmischen Stilmittel verkraftet, der wird "Legion" lieben. Die erste Staffel der Serie hat durchaus das Zeug dazu, eine der besten Comicverfilmungen des Jahrhunderts zu werden. Schauspiel, Kamera, Szenenbild (oft im Retro-Chic der 60er) und Schnitte sind derart passend aufeinander abgestimmt, wie man es auch im Kino gerne öfter sehen würde. Die Mehrheit der Folgen überzeugt mit einer dichten Atmosphäre und Erzählweise, nur in der vorletzten Episode macht sich eine unnötige Dehnung bemerkbar.
Das Ende überzeugt mit mehr Psychologie als Spezialeffekten und gibt einen Ausblick in Richtung zweite Staffel, die in Sachen Originalität hoffentlich an die Stärken dieser Vorlage anknüpfen kann. Es ist nicht leicht, in der zunehmend unüberschaubaren Serienlandschaft eindeutige Highlights auszumachen, "Legion" gehört ab sofort definitiv dazu.