Der kolumbianische Robin Hood - „Narcos"
Pablo Escobar war ein Massenmörder, Drogenbaron und Präsidentschaftskandidat. Die Netflix-Serie "Narcos" erzählt von seinem Aufstieg - und trifft dabei genau den richtigen Ton.
Die kolumbianischen Drogenbosse, vereint im berühmt-berüchtigten Medellín-Kartell, gehörten zu Beginn der Achtzigerjahre zu den mächtigsten Männern der Welt. In ihrer Blütezeit setzen die sogenannten Narcos bis zu 60 Millionen Dollar am Tag mit Kokain-Handel um, ein Großteil der Drogen wurde auf teils kreativen und verwegenen Transportwegen in die USA eingeflogen - ein Milliardengeschäft. Pablo Escobar, der Anführer und Initiator des "Medellín-Kartells", der massenweise Menschen umbringen, Gebäude, Autos, sogar Linienflugzeuge mit gefährlichen Widersachern in die Luft sprengen ließ, rangierte 1989 auf dem siebten Platz der Reichen-Liste des Wirtschaftsmagazins "Forbes“. Pablo Escobar wurde vom Volk als Robin Hood gefeiert, weil er das Drogengeld, nicht mehr wissend, wohin damit, an die Armen verteilte. Dieser Escobar schien bisher ein zu kontroverser Charakter für den amerikanischen Mainstream zu sein, vor allem weil bis heute ungeklärt ist, auf welche Art und Weise und mit welchen dubiosen Mitteln die Anti-Drogenbehörde DEA Jagd auf ihn und das Kartell machte. Die Streaming-Plattform Netflix wirft nun erstmals einen abgeklärten Blick auf die hindernisreiche Jagd der Polizei auf die „Narcos". In zunächst zehn Episoden wird Escobars Aufstieg zum Chef des Medellín-Kartells erzählt - als konsequent in Englisch und Spanisch gedrehte Handlung, die auch mit historischen Aufnahmen versehen ist. Das Besondere an "Narcos" ist vor allem die lakonische Tonart, mit der die schier unglaubliche Saga von Reichtum, Größenwahn, Sex- und Gewaltexzessen rückblickend und mit resignierter Nüchternheit aus dem Off von dem DEA-Ermittler Steve Murphy (Boyd Holbrook) erzählt wird. Der echte Murphy fungierte, zusammen mit seinem in der Serie von Pedro Pascal verkörperten Kolumbien-Gegenpart Javier Peña, als Berater für "Narcos" - die beiden Agenten erklärten sich erstmals bereit, ihre Erinnerungen für eine TV-Produktion zur Verfügung zu stellen. Anders als in zahlreichen Filmen, die in jüngerer Zeit über den amerikanischen Drogenkrieg gedreht wurden, von Oliver Stones "Savages" und Ridley Scotts "The Counselor" bis zum Thriller "Sicario" von Denis Villeneuve, geht es hier nicht darum, Gewaltexzesse anprangernd auszukosten oder moralische Urteile zu fällen, sondern darum, mit einer durchaus packenden Erzählung durchaus komplizierte Zusammenhänge zu erklären und mit den Charakteren mitzufiebern. Dass der Aufstieg der „Narcos" auch und vor allem durch die ungezügelte Kokain-Nachfrage in den USA erfolgen konnte, dass die jahrzehntelange politische Einmischung der Amerikaner in Lateinamerika oft die Falschen begünstigte, ist ein Fakt, der in "Narcos“ zwar mitschwingt, aber nicht plakativ wird. Der brasilianische Schauspieler Wagner Moura ("Elysium") stellt Pablo Escobar in einer schelmisch-sanftmütigen Art dar, die uns nicht nur die kriminellen Motive von „Don Pablo“ nachvollziehen lässt, sondern auch den Menschen dahinter präsentiert. Es ist eine angenehm neutrale, zurückhaltende Perspektive, die dem global expandierenden US-Sender Netflix auch außerhalb der USA Zuschauer und Abonnenten sichern dürfte. Die durchweg positive Resonanz der Kritiker auf die erste Staffel gibt Netflix bereits Recht.
Viele der von Escobar angehäuften Millionen wurden übrigens bis heute nicht gefunden. Glaubt man „Narcos“, sollte man vielleicht mal bei sich im Garten graben...