Der Fluch einer exorbitant guten ersten Staffel einer Serie ist nun mal, dass man jede ihrer weiteren Folgen an eben dieser ersten Staffel misst. Selbst dann, wenn die einzelnen Staffeln alle komplett eigenständig in Inhalt, Schauspielern, Ort und Zeit sind. Nehmen wir es daher schon mal vorweg: Die aktuelle vierte Staffel "Night Country" ist immer noch gut; aber eben nicht brillant.
Diesmal bekommen wir eine düstere Mischung aus Mystik, Krimi und Thriller serviert. In einem kleinen Kaff in Alaska bricht die Polarnacht herein. In Mitten der ganztägigen Dunkelheit verschwindet die komplette Besatzung einer Forschungsstation und wird wenig später (bis auf einen Wissenschaftler) unter merkwürdigen Todesumständen im Eis aufgefunden. Ihr Fall verbindet sich im Laufe der Ermittlungen schnell mit einem ungelösten alten Mordfall, bei dem eine junge sozial engagierte Iñupiat-Frau bestialisch ermordet und verstümmelt worden war.
Durch die Vermischung der zwei Fälle müssen sich auch die beiden jeweils darin involvierten Polizistinnen Liz Danvers (Jodie Foster) und Eva Navarro (Kali Reis) widerwillig zusammenraufen. Ihre Untersuchungen gestalten sich schwierig, denn sowohl eine umweltverschmutzende aber mächtige Minengesellschaft als auch die örtliche Politik wollen die Fälle schnellstmöglich zu den Akten gelegt sehen.
Dass "Night Country" die gesamte Handlung auf ein paar wenige Polarnächte in einer kleinen Siedlung am Ende der Welt komprimiert, hat Vor- und Nachteile: Die Atmosphäre ist dadurch durchweg bedrückend und unheimlich. Und in Ermangelung irgendwelcher optischer Ablenkungen gerät das Ganze schnell zu einer Art Kammerspiel, bei dem man sich umso mehr auf die Handlung und ihre Protagonisten konzentriert.
Der Nachteil von alledem ist aber, dass die Geschichte für diese Art inszenatorischer Verdichtung leider zu dünn und vor allem zu geradlinig geraten ist, um sie über sechs Episoden hinweg zu tragen. Wer aufmerksam mitdenkt, weiß so schon nach dem Ende des dritten Teils, wie der Hase läuft und bekommt daher in den nächsten zwei Folgen auch kaum noch überraschend Neues erzählt. Die Macher versuchen zwar, die im Mittelteil also recht gut vorhersehbare Story mit ein wenig Mystery Horror zu strecken, aber ehrlich gesagt passt das leider nicht gut in die Krimigeschichte hinein. Spannend wird dann erst wieder der rasend schnelle letzte Teil, in dem dieses klassische "Whodunit?" endlich aufgelöst wird und auch die (meisten) Rätsel erklärt werden.
"Night Country" nimmt sich viel Zeit, um seine Hauptfiguren auszuleuchten. Jede von ihnen ist auf ihre Art kaputt und "funktioniert" eher nur als dass sie wirklich "lebt": Da ist weit und breit niemand mit sowas wie einer funktionierenden Beziehung, Familie oder Moral. Das passt zwar alles prima zur düsteren Gesamtstimmung der Staffel, wirkt dann aber doch manchmal ein bisschen zu dick aufgetragen. Insbesondere auch deshalb, weil all diese gefühlsmäßig versteinerten Charaktäre dann plötzlich doch allesamt noch ihr persönliches Happy-End erleben dürfen, nachdem sie zuvor fünf lange Folgen wie emotionale Zombies durch die Handlung gestolpert sind: Das wirkt einfach unplausibel, zu aufgesetzt und künstlich. Und alles noch dazu in den letzten 20 Minuten der Staffel, in der im Schnelltempo soviel passiert wie in allen fünf Folgen zuvor -sagen wir es mal so: Das Timing der Staffel hätte besser sein können.
Zu den Schauspielern: Jodie Foster als (im wahrsten Sinne des Wortes..) abgefuckte örtliche Polizeichefin Liz Danvers spielt einfach großartig: Rau, desillusioniert, emotional eingefroren, kühl, abgeklärt und routiniert nörgelt sie sich als "old white woman" als jemand durch den Fall, der eigentlich immer alles im Griff hat; bis dann im nächsten Augenblick gerade eben doch wieder alles außer Kontrolle gerät und sie mit dem großen Lappen aufräumen muss. Auch der junge Finn Bennett als ihr unterstellter hyperintelligenter Officer Peter Prior gefällt, wie er sich stoisch jede Anweisung seiner Polizeichefin gefallen lässt, selbst dann, wenn er weiß, dass seine eigene Ehe und Familie damit den Bach runter gehen: Ein kluger Kopf, der sich trotzdem sehenden Auges durch den Job sein Leben in Zeitlupe kaputt machen lässt -das hat etwas schön hinterhältig kratzbürstiges und Bennetts gut gespielter unterkühlter trauriger Defätismus bleibt einem auf jeden Fall in Erinnerung.
Der Rest des Ensembles? Der spielt solide, fällt damit aber auch nicht wirklich auf.
Nettes Detail für Fans der Serie: Wenn Raymond Clark halb wahnsinnig sagt "Time is a flat circle", dann sind das dieselben Worte, die Rust Cohle in der ersten Staffel von True Detective auch ausspricht. Und mit ziemlich genau derselben Bedeutung dazu: Friedrich Nietzsche wäre jedenfalls stolz auf beide..
Fazit: Wieder einmal eine überdurchschnittlich gute, atmosphärische Story mit furiosem Finale. Einen Punkt Abzug gibt's aber für die unsinnigen Mysterieelemente und die unnötigen Längen.