Mit den stilistischen Zutaten des Grindhouse-Kinos formte der spanische Regisseur Alex de la Iglesia schrille Werke, in denen er drastische Extravaganzen zwischen Sex, Gewalt und schwarzem Humor in den Dienst schwerer Dramen stellt. Die oftmals religiöse Thematik des Frühwerks fügte den Filmen eine an den dänischen Regisseur Carl Theodor Dreyer erinnernde Reflexion über die Last des menschlichen Daseins hinzu, die de la Iglesia in ein buntes Pop-Universum mit seinem Höhepunkt „Perdita Durango“ überführte. Aber auch ohne explizite religiöse Anspielungen und Grindhouse-Stil erwies sich de la Iglesia als Meister der schwarzen Komödie, wie er mit „Allein unter Nachbarn - La Comunidad“ bewies.
Comic-Schule
In seiner Jugend war der am 4. Dezember 1965 im spanischen Bilbao geborene Alex de la Iglesia ein großer Comic-Fan. Die Werke Stan Lees und Alex Raymonds beeindruckten den jungen de la Iglesia so sehr, dass er selbst anfing, Comics zu zeichnen. Sein späteres filmisches Schaffen wurde stark davon beeinflusst. Nach der Schulausbildung studierte de la Iglesia an der Universität von Deusto Philosophie und begann anschließend beim Fernsehen als Szenenbildner. Erste Schritte im Filmgeschäft machte er als Ausstatter des spanischen Thrillers „Todo por la pasta“ aus dem Jahr 1991, bei dem Enrique Urbizu Regie führte. Die Erfahrung ermutigte ihn, einen eigenen Kurzfilm auf die Beine zu stellen.
Der Mirinda-Erfolg
1991 realisierte Alex de la Iglesia das absurde, in Schwarz-Weiß gedrehte Genre-Stück „Mirindas asesinas“ über einen Killer, der in einer Bar eine Mirinda bestellt und auf die Forderung des Barmanns nach Bezahlung des Getränks mit dem einzigen reagiert, was er beherrscht: Gewalt. Der stilistisch ausgefallene und mit schwarzem Humor durchsetzte Kurzfilm erregte die Aufmerksamkeit von Pedro Almodóvar, der in de la Iglesia einen Bruder im Geiste des schrillen Stils erkannte. Während Almodóvar aber melodramatische Aspekte in den Fokus rückt, gehört die Welt de la Iglesias dem schwarzen Humor, gepaart mit der Direktheit von Sex und Gewalt. Almodóvar produzierte de la Iglesias Langfilmdebüt „Aktion Mutante“ über eine Gruppe körperlich beeinträchtigter Terroristen, die gegen den Schönheitswahn kämpfen und dabei mitsamt einer entführten Industriellen-Tochter auf einem öden Planeten landen. Bissig satirisch kritisierte de la Iglesia gesellschaftliche Oberflächlichkeiten und füllte sein Werk mit überzeichneten Figuren, comicartiger Gewalt und Anspielungen an „Star Wars“ und den Italo-Western. Der Film heimste unter anderem 3 Goyas ein - dabei handelt es sich um das spanische Pendant zum Oscar.
Komödie und Tragik
Noch erfolgreicher als „Aktion Mutante“ wurde Alex de la Iglesias 1995 erschienener Nachfolger „El día de la bestia“. In der rasanten Okkult-Kommödie kämpft ein katholischer Priester gegen den seiner Meinung zu Weihnachten erscheinenden Antichrist. Unterstützung findet er bei einem Death-Metal-Fan und dem Moderator einer Okkult-TV-Show. Mit „El dia de la Bestia“ perfektionierte de la Iglesia seine Verbindung von Drama und absurdem Witz. Auch bei der Thriller-Tragödie „Perdita Durango“ bewies de la Iglesia seinen Willen zur stilistischen Vielfalt, fuhr die Komödienanteile aber drastisch zurück und setzte stattdessen stärker auf die Mittel des schmierigen B-Action-Kinos der 1970er. In dem Film trifft die Herumtreiberin Perdita Durango auf den mexikanischen Banditen Romero Dolorosa. Aus Spaß entführen sie ein weißes Teenagerpärchen, das sie bei einer kriminellen Aktion in die USA begleiten muss. Die von Rosie Perez zwischen Wut und Nachdenklichkeit verkörperte Perdita und ihr Kumpane Romero, den Javier Bardem als irrsinnigen Wüstling anlegt, vermögen ihre Gefühle nur noch über Gewalt auszudrücken. Im Finale führt de la Iglesia seine extravagante Tour de Force zwischen Kino-Magie, bitterer Erlösung und zerstörter Hoffnung auf ein besseres Leben tragisch und konsequent zuende. Die Last des menschlichen Daseins und die Absurdität einer schrillen Poprealität – hier durch die Neon-Lichter von Las Vegas repräsentiert – sind eins geworden.
Der Ernst der Komödie
Durch Alex de la Iglesias Stilwillen entsteht oft das Missverständnis, er würde bloß Wert auf den nächsten Scherz legen. Und doch gibt er seine aufgewühlten Figuren nie der Lächerlichkeit preis. So beschritt er den eingeschlagenen Weg auch weiterhin. In „La Comunidad – Allein unter Nachbarn“ verkörpert Carmen Maura eine Maklerin, die in einem von ihr betreuten Haus einen Haufen Geld findet und sich den Nachstellungen der gierigen Nachbarn erwehren muss, die verhindern wollen, dass die Maklerin das Geld aus dem Gebäude schafft. Gewitzt forscht de la Iglesia hier dem reinsten Materialismus nach. In der tragischen Hommage an den Italo-Western „800 Bullets“ kämpfen die Darsteller einer Western-Stunt-Show um die Integrität ihres Italo-Western-Erbes und im 2004 veröffentlichten „Ein ferpektes Verbrechen“ gerät ein schmieriger Kaufhausangestellter in einen Strudel aus Jobverlust, ungeschickt begangenem Mord, Erpressung und Halluzinationen. Es folgte der souveräne Thriller „The Oxford Murders“ mit Elijah Wood und John Hurt, die einen Serienkiller mit Hilfe mathematisch-philosophischer Theorien jagen. „Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod“, de la Iglesias Reflexion über die Endzeit des Franco-Regimes, wurde beim Filmfestival von Venedig mit dem Regiepreis ausgezeichnet und kommt im Dezember 2011 in die deutschen Kinos.
Von 2009 bis zum Februar 2011 war Alex de la Iglesia Präsident der spanischen Filmakademie, trat aber aus Protest über ein Gesetz zurück, dass die Sperrung von Internetseiten verzögerte, auf denen Raubkopien heruntergeladen werden können.