+++ Meinung +++
„Matrix“ war eine filmische Revolution. „Matrix Reloaded“ und „Matrix Revolutions“ haben ebenso hitzige Diskussionen über ihren Inhalt angeregt wie über ihre Qualität. Daraufhin haben sich die Wachowski-Schwestern lange geziert, in die digitale Welt von Neo, Trinity und Morpheus zurückzukehren. Aber dann war es plötzlich so weit: Lilly Wachowski weigerte sich zwar, sich erneut der Saga anzunehmen, doch ihre Schwester Lana stürzte sich mit Eifer zurück in die Matrix. An den Kinokassen war Ende 2021 allerdings wenig von dem zuvor so oft geäußerten Faninteresse daran zu spüren: Die weltweiten Einnahmen von „Matrix Resurrections“ reichten nicht einmal an das Budget des Science-Fiction-Sequels heran, in dem Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss wieder in ihre alten Rollen schlüpfen.
Seither ist annähernd ein Jahr vergangen – hoffentlich genug Zeit, um verdientes neues Interesse an dem unterschätzten Film zu entfachen. Ganz gleich, ob ihr „Matrix 4“ im Kino geliebt, geachtet, geächtet oder ausgelassen habt: Ab dem 21. Oktober 2022 wartet die außergewöhnliche Fortsetzung im Streaming-Abo von WOW darauf, dass sie von euch eine neue Chance erhält!
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"Matrix Resurrections": Darum geht's
Am Anfang ist Verleugnung: Wir treffen Thomas Anderson (Keanu Reeves) als Programmierer wieder, der die erfolgreiche „Matrix“-Trilogie verantwortete. Von den Diskussionen über seine Videospiel-Saga hat er aber die Schnauze voll, ebenso vom ständigen Beknien seines Chefs (Jonathan Groff), endlich Teil vier anzupacken! Thomas will einfach seine Ruhe haben und die nette Frau aus seinem Stammcafé (Carrie-Anne Moss) kennenlernen, auf die er ein Auge geworfen hat. Dem geknickten Thomas ist jedoch keine Ruhe gegönnt. Stattdessen ziehen ihn zwei fabelhaft gekleidete Sonderlinge (Yahya Abdul-Mateen II und Jessica Henwick) zurück in seine Matrix-Wahnvorstellungen. Falls es überhaupt Wahn ist – und nicht doch die wahrhaftige Wirklichkeit...
Eine wärmere, freundlichere Farbpalette. Buntere, froher anmutende Kostüme, die den kühl-abweisenden Lederlook der Original-Trilogie ersetzen. Ein rasanterer, dynamischerer, aber auch ungeordneter wirkender Inszenierungsstil in den Actionsequenzen. Scherze darüber, wie ätzend es ist, dass Warner auf einen vierten Teil drängt. Und so, so viel zwischenmenschliche Wärme, die an Stelle der kühl-theoretisierenden Philosophiemonologe aus den Vorgängern tritt:
Manche Fans feierten nach Kinostart die Neuerfindung der Matrix, andere fühlten sich vor den Kopf gestoßen, und viele wussten nicht, was sie mit diesem Beinahe-Reboot-aber-irgendwie-doch-Sequel anfangen sollten. Und schon hatte „Matrix Resurrections“ ernüchternde 5,7/10 Sterne in der IMDb sowie 2,9/5 auf dem Filmfanportal Letterboxd, was Teil vier auf beiden Plattformen zum schwächsten „Matrix“-Kinofilm macht. Aber wie uns schon die einst ablehnende, sukzessiver milder werdende Reaktion auf Teil zwei und vor allem Teil drei der Reihe lehrte:
So schnell ist die Rezeptionsgeschichte eines „Matrix“-Films nicht auserzählt! Denn hinter „Matrix Resurrections“ verbirgt sich viel mehr als ein Mittelfinger gen Warner, der dann Platz für einen bunteren, ungestümeren und warmherzigeren Schnelldurchlauf der Geschehnisse aus Teil eins bis drei macht...
Noch einmal mit Gefühl
„Matrix Resurrections“ ist eine persönliche, verletzliche Erzählung, mittels derer Lana Wachowski einige ihrer dunkelsten Gedanken mit sich selbst ausdiskutiert sowie klarstellt, dass sie heute trotz dieser Tiefphasen mehr Selbststolz und Lebensfreude aufweist als zu Beginn ihres „Matrix“-Wegs. Deshalb gesteht sie Neo und Trinity nun mehr Nähe und Komfort zu als einst und ersetzt die „Hätte, wäre, wenn und aber, könnte doch nur...“-Monologe der Trilogie (nach einem leugnerischen Auftakt) durch Austausch und Entschlossenheit.
Bereits vor Kinostart erläuterte die Filmemacherin, dass die Initialzündung für ihren Film der Kummer war, der sie nach dem Tod ihrer Eltern einholte. Sie suchte den Trost von Bezugspersonen – und erkannte in einem einsamen Moment, dass sie ihn allein von Neo und Trinity erhalten kann, die sie kurzerhand „wiederbelebte“. Seit Kinostart entdeckten geneigte Fans zudem zahlreiche Filmdetails, die an Momente aus Wachowskis Leben angelehnt sind, die sie in Interviews, während Ansprachen und auf Paneldiskussionen teilte. So rekreiert sie in „Matrix Resurrections“ unter veränderten Vorzeichen jenen Augenblick, in dem ein Herr sie mit bestimmtem, undurchdringlichem Blick davon abhielt, sich das Leben zu nehmen.
Wie schon die „Matrix“-Trilogie enthält auch „Matrix Resurrections“ zahlreiche Verweise auf Subkulturen, Philosophie, ikonische Literatur und populäre Filme – aber sie rücken ein Stück in den Hintergrund. Selbst die bereits erwähnte Selbstironie von „Matrix Resurrections“ weicht auf, erweist sich als Gesprächseinstieg statt als zynischer Schutzmechanismus, wie er im gegenwärtigen Kino wiederholt auftaucht. All dies gestattet es der besagten persönlichen Komponente des Films, sich freier zu entfalten.
Man könnte sagen: „Matrix Resurrections“ kommt spürbar mehr vom Herzen und wird mit gelebter Erfahrung vermittelt, statt dass die Bindung zwischen Kunst und ihrer Schöpferin verkopft, verklausuliert und theoretisiert wird. Selbiges gilt konsequenterweise für die Trans-Metaphorik, die stets Teil des Matrix-Codes war, allerdings in diesem Film lauter, klarer, stolzer denn je erscheint. Doch all das muss man nicht entschlüsseln, um „Matrix Resurrections“ genießen zu können. Decodieren war früher – ganz im Sinne von Teil vier heißt es nun: Fühlt es doch einfach!
Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels anlässlich des Starts im Streaming-Abo.
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