Horrorfilme erscheinen umso grausamer, wenn der gezeigte Schrecken auf einen wahren Hintergrund zurückgreifen kann. „Conjuring – Die Heimsuchung“, „The Amityville Horror“ oder „Wolf Creek“ sind dafür nur eine Handvoll guter Beispiele. „The Sacrament“ von Ti West geht aber noch einen Schritt weiter, denn die Geschichte ist nicht einfach nur von tatsächlichen Ereignissen inspiriert. Es geht hier zudem auch nicht um verfluchte Häuser, paranormale Erscheinungen oder bestialische Serienkiller, die in verschlafenen Kleinstädten ihr Unwesen treiben. Stattdessen dreht sich alles um eine Sekte, die ihr Ende zusammen mit dem Tod von mehr als 900 (!) Menschen gefunden hat.
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Das ist die schockierende Geschichte hinter "The Sacrament"
„The Sacrament“, der momentan bei Freevee, dem kostenlosen, werbefinanzierten Streamingdienst von Amazon, abgerufen werden kann, hat sich das sogenannte Jonestown-Massacre zum Vorbild genommen. Dreh- und Angelpunkt war hier die neureligöse Vereinigung People's Temple, die von Jim Jones im südamerikanischen Guyana geführt wurde. Hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, versuchte Jones nach eigener Aussage, eine antirassistische und antikapitalistische Gemeinschaft zu organisieren. Nachdem es zu Presseberichten über Drogenexzesse und sexuellen Missbrauch gekommen war, entschloss sich der US-Kongressabgeordnete Leo J. Ryan dazu, der Sache vor Ort nachzugehen und Untersuchungen anzustellen.
Leo J. Ryan, drei Reporter und ein Peoples-Temple-Mitglied wurden daraufhin am 18. November 1978 von anderen People-Temple-Mitgliedern brutal ermordet. Unmittelbar dazu leitete Jim Jones einen Massenselbstmord in die Wege, der bereits zuvor mehrere Male geprobt wurde. Über 900 Menschen fanden an dem Tag durch in Pappbechern verabreichte Giftcocktails (bestehend aus Zyankali) ihren grausamen Tod. Darunter auch 270 Kinder. Das ist wahrlich der Stoff, aus dem Horrorfilme gemacht sind. Und Ti West hat daraus einen wirklich eindrucksvollen gemacht, der nach wie vor mehr Aufmerksamkeit verdient hätte!
Deswegen ist "The Sacrament" ein echter Geheimtipp
+++ Meinung +++
Im Zentrum der Handlung steht ein Reporter-Team um Fotograf Patrick (Kentucker Audley), das nach Südamerika aufbricht, um eine kleine, westlich zivilisierte Gemeinde namens „Parish Eden“ im Herzen des Urwalds aufzusuchen. Patrick hofft, seine Schwester Caroline (Amy Seimetz) zu finden, die sich nach einem Drogenentzug der Kommune angeschlossen haben soll. Obwohl die Fassade des dörflichen Glücks von allen Bewohnern der Gemeinde aufrecht gehalten wird, stellen die Reporter schon bald fest, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.
Aus dieser Ausgangslage, die vom Jonestown-Massacre inspiriert ist, aber eigene, fiktionalisierte Pfade beschreitet, gelingt es Ti West meiner Meinung nach, einen ungemein subtilen Blick auf religiösen Wahn zu legen. Anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen, nimmt sich Ti West – und dafür steht der Regisseur seit jeher – Zeit, um nach und nach die Abgründe zu entlarven, die in der abgeschirmten Kommune vorherrschen. Dass „The Sacrament“ dabei auf den oftmals schlecht beleumundeten Found-Footage-Stil zurückgreift, erschafft für mich eine effektive Unmittelbarkeit, die die Zuschauer*innen geradewegs in das Geschehen hineinzieht. Man erlebt und erforscht den Eden-Parish-Mikrokosmos zusammen mit dem Kamerateam – und wird genauso eingelullt, überrumpelt und hintergangen wie dieses.
Sobald klar ist, was Sache ist, zeigt Ti West, dass er nicht nur ein wahrer Könner in Sachen entschleunigtem, aber stetig packendem Spannungsaufbau ist, sondern auch ein Händchen für waschechtes Terror-Kino besitzt – eine Stärke, die er zuletzt auch in dem Retro-Slasher „X“ ausspielen konnte, der für uns zu den besten Horrorfilmen des Jahres 2022 zählt. Ab dem Moment, der die große Katastrophe einleitet, ist „The Sacrament“ nicht mehr nur Schauerstück, sondern eine keinesfalls vor expliziter Gewalt zurückschreckende Tour de Force, die den Zuschauer*innen ein ums andere Mal einen kalten Schauer über den Rücken jagt.
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Ein großes Lob muss ich auch Gene Jones ausgesprochen, der als allseits verehrter Father eine berauschend-charismatische Performance abliefert. Jones schafft es, sein Sekten-Oberhaupt konsequent durch feine Nuancen offenzulegen und den Zuschauer*innen so einen Blick auf die wahre Natur dieses Menschen zu erlauben. Das klingt abgedroschen, ist durch dessen feingliedriges Spiel aber ungemein einnehmend, wenn sich das harmlose Großväterchen nach und nach als durchtrieben-erbarmungsloses Monstrum zu erkennen gibt, das hunderte Menschen in den Tod reißt, nur weil sein Plan nicht aufgegangen ist.
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