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    Lohnt sich "Andor"? So gut ist die neue "Star Wars"-Serie auf Disney+
    Benjamin Hecht
    Benjamin Hecht
    -Redakteur
    Liebt Episode I-VI, „Clone Wars“ und „The Mandalorian“. Die Sequel-Trilogie war für „Star Wars“-Fan Benjamin aber eine riesige Enttäuschung.

    „Andor“ startet am heutigen 21. September auf Disney Plus und ist radikal anders als alle vorherigen „Star Wars“-Filme und -Serien. Warum bzw. ob das überhaupt eine gute Sache ist, erfahrt ihr in unserem Ersteindruck zu den ersten vier Episoden.

    Star Wars“, dieser Name steht für mutige Jedi-Ritter, epische Lichtschwert-Duelle, bombastische Raumschiffschlachten, übernatürliche Machtfähigkeiten und den immer währenden Kampf zwischen Gut und Böse. In den ersten vier Episoden von „Andor“, die wir bereits sehen durften, gibt es nichts davon. Unscheinbare Leute verrichten hier ihr unscheinbares Tagewerk. Ein von seiner Vergangenheit geplagter Mann wird durch unglückliche Umstände zum Gejagten. Und moralische Schwarz-Weiß-Einteilungen sucht man hier vergebens. „Andor“ ist ambivalent, nüchtern, und erkundet lange missachtete Facetten des „Star Wars“-Universums. Der neue Ansatz tut dem Franchise gut, auch wenn die Serie das ganz große Potenzial erstmal nur andeutet.

    Am heutigen Mittwoch, den 21. September 2022, starten die ersten drei Folgen von „Andor“ auf Disney+. Danach erscheint im Wochentakt jeweils mittwochs eine neue Episode. Insgesamt wird Staffel 1 aus zwölf Folgen bestehen, eine zweite finale Staffel mit weiteren zwölf Kapiteln soll zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt folgen.

    ›› "Star Wars: Andor" bei Disney+*

    Darum geht's in "Star Wars: Andor"

    Bereits im Vorfeld ließ Serienschöpfer Tony Gilroy (Drehbuchautor und Regisseur der Nachdrehs von „Rogue One“) keine Gelegenheit aus, um seine Vision von „Andor“ deutlich zu machen. Fanservice werde es nicht geben, stattdessen „realistisches, leidenschaftliches und dramatisches Storytelling“, das selbst dann noch funktioniere, „wenn man einen Scheiß auf ‚Star Wars‘ gibt“, äußerte er sich in einem Interview. Ja, Tony Gilroy wählte sehr deutliche Worte, bei denen durchaus auch Kritik an den jüngeren Filmen und Serien mitschwang. Schließlich verließ sich „Star Wars“ in den letzten Jahren extrem darauf, die Nostalgie-Kuh zu melken und die Leinwand respektive den Bildschirm mit unzähligen Querverweisen auf frühere „Star Wars“-Abenteuer zu malträtieren, was nicht bei jedem gut ankam.

    Die Serie „Andor“, in der die Vorgeschichte des aus „Rogue One“ bekannten Rebellen Cassian Andor (Diego Luna) erzählt wird, setzt fünf Jahre vor dem Spin-off-Film an: Cassian stapft im dunklen Mantel durch verregnete Straßen. Die wenigen Neonlichter diverser Geschäfte und Lokale kontrastieren die im nächtlichen Blau getönten Mauern. Cassians Ziel: ein Bordell. Er ist auf der Suche nach seiner verschollenen Schwester und befürchtet, dass sie sich womöglich prostituiert.

    Cassians Ausflug bleibt erfolglos, hat aber schwerwiegende Konsequenzen. Denn auf dem Rückweg wird er in einen Konflikt verwickelt, bei dem zwei Menschen sterben. Zurück auf seinem Planeten Ferrix angekommen, verfolgt ihn die Tat. Andor wird von nun an als Mörder gesucht. Während sich die Schlinge enger zieht, taucht ein mysteriöser Fremder namens Luthen (Stellan Skarsgard) auf. Er weiß erschreckend viel über Andors Vergangenheit, ist von dessen Talenten beeindruckt und möchte ihn für die Rebellion gegen das Imperium gewinnen...

    "Andor" ist anders!

    „Andor“ bricht in vielerlei Hinsicht mit den Seh- und Hörgewohnheiten der Fans. Das beginnt schon in der allerersten Szene, die mit ihrem verregneten, urbanen und neongespickten Setting aussieht, als wären wir im „Blade Runner“-Universum gelandet statt in „Star Wars“. Und auch der Score ist ungewohnt: Wir hören hier weder die pompöse, Blechbläser-lastige Marschmusik, mit der John Williams den „Star Wars“-Sound geprägt hat, noch die epischen Chöre eines „Duel Of The Fates“ oder die tribalistischen Trommelhiebe aus „The Mandalorian“ und „Boba Fett“, mit denen Ludwig Göransson die Galaxis bereicherte.

    Der dreifach oscarnominierte Komponist Nicholas Britell (u. a. „Moonlight“) widersteht der Versuchung, bekannte Themen zu kopieren, und lässt seinen Score überwiegend von Streichern tragen, deren langgezogenen Töne die steigende Nervosität des Protagonisten, nun ja, unterstreichen. Zwischendurch entlädt sich die Spannung auch mal, zum Beispiel, wenn vor einem dramatischen Höhepunkt plötzlich ein Schlagzeug die musikalische Bühne einnimmt und „Star Wars“ eine noch nie dagewesene rockige Note verleiht.

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    Auch auf der visuellen Ebene ist „Andor“ kein „The Mandalorian“, „The Book Of Boba Fett“ oder „Obi-Wan Kenobi“. Statt sich wie die anderen „Star Wars“-Serien auf Disney+ auf die sogenannte StageCraft-Technologie zu verlassen, also riesige LED-Bildschirme, die das Set kreisrund umschließen, wurde bei „Andor“ dankbarerweise wieder mehr auf echte Handarbeit gesetzt. In „Andor“ beschränkt sich CGI auf ein Minimum. Für diese Serie wurde eine ganze Stadt errichtet – und die ist der große Star der ersten Folgen.

    Eine "Star Wars"-Milieustudie

    Ob Luke, Obi-Wan und Anakin, Rey, der Mandalorianer oder Boba Fett: In „Star Wars“ geht es fast immer um die Abenteuer einer kleinen Anzahl von Personen. Auch „Andor“ hat einen eindeutigen Protagonisten, aber dennoch fühlt es sich nicht so an, als ginge es nur um ihn. Denn vor allem in den ersten drei Folgen der Disney+-Serie wird die Arbeiterstadt auf dem Planeten Ferrix ebenso tiefgehend charakterisiert wie die eigentliche Hauptfigur.

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    Wir bekommen einen für „Star Wars“ untypischen Einblick in den Alltag normaler Leute. Seien es die Verkäufer von Raumschiffteilen, Arbeiter auf einem Schrottplatz oder Mitarbeiter*innen einer privaten Sicherheitsfirma, die im Auftrag des Imperiums über Ferrix wacht. Innerhalb der Stadt herrscht ein tiefer Zusammenhalt, es gibt bestimmte Signale, mit denen sich die Einwohner*innen verständigen, und einen geregelten Schichtbetrieb, der den Tagesablauf großer Teile der Bevölkerung bestimmt. Anstatt sich auf wenige Figuren zu fokussieren, verteilen sich die Dialogzeilen auf unzählige Mini-Rollen. Das sorgt dafür, dass sich Ferrix innerhalb kürzester Zeit wie ein lebendiger, realer Mikrokosmos anfühlt.

    Dieses Vorgehen macht es einerseits unglaublich leicht, sich in der Welt von „Andor“ zu verlieren. Das Wordbuilding und somit die Immersion profitieren sehr davon. Doch es hat auch seine Schattenseiten.

    Ist "Andor" zu gewöhnlich?

    Denn nach der brillanten ersten Szene dauert es einfach sehr lange, bis wieder etwas Aufregendes passiert. Große Teile der ersten beiden Folgen bestehen daraus, dass Cassian herumläuft und mit Leuten redet, nur damit wir sie alle mal kennenlernen. Da kann zwischenzeitlich schon mal Langeweile aufkommen. Außerdem sind die Figuren um ihm herum fast schon zu gewöhnlich und da bei den Schauspieler*innen wohl mehr auf Quantität denn auf Qualität gesetzt wurde, hinterlässt kaum einer davon einen nachhaltigen Eindruck.

    Diego Luna hingegen macht seine Sache hervorragend. Wenn es darauf ankommt, ist sein Cassian Andor so schlagfertig, pragmatisch und trockenhumorig wie Han Solo, doch seine tragische Vergangenheit, die in Rückblenden erzählt wird, folgt ihm überall hin. Anstatt den coolen, charismatischen Space-Cowboy zu geben, spielt Luna seinen „Star Wars“-Antihelden als introvertierten Außenseiter, der lernen musste, sich irgendwie durchzukämpfen und dabei teils auch zu moralisch fragwürdigen Methoden greift. Diese widerstreitende Charakterzüge machen Cassian vielschichtig, unberechenbar und faszinierend.

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    Dennoch hat er nicht die einnehmende Präsenz, die viele andere „Star Wars“-Figuren auszeichnet. Es dauert schon bis Folge 3, bis Stellan Skarsgard auftaucht und mit seiner stoischen Mimik und bedeutungsschwangeren Stimme eine Aura beschwört, die selbst einen wütenden Rancor plötzlich brav zuhören lassen würde.

    In diesem Moment wird deutlich, was Andor über weite Strecken gefehlt hat, und was einen herausragenden Schauspieler (Stellan Skarsgard) von einem sehr guten (Diego Luna) und von mittelmäßigen (die zahlreichen Nebendarsteller) unterscheidet.

    Faszinierend ambivalent

    Wir sind es gewohnt, dass die Rebellen die Guten sind und das Imperium die Bösen. Und auch wenn das im Großen und Ganzen wohl kaum zu bestreiten ist, so zeigt „Andor“ dennoch, dass die Rollen in einzelnen Szenarien nicht immer so klar verteilt sind. Cassian selbst ist kein Unschuldslamm und auch Luthen ist als militanter Rebell bereit, über Leichen zu gehen, um das Imperium zu stürzen. Der Zweck heiligt die Mittel, könnte man sagen, doch nie zuvor wurde dieses Vorgehen so sehr in Frage gestellt, wie in „Andor“.

    Anhand der Figur Syril Karn (Kyle Soller), der als zuständiger Sicherheitsinspektor nach Andor fahndet, bekommen wir eine zweite Perspektive auf die Geschehnisse. Sein Anliegen ist durchaus verständlich: Er will den Mord an zwei seiner Kollegen aufklären. Doch beim Versuch, den Verantwortlichen zu fassen, macht er ein Martyrium durch. Syril Karn startet als unangenehm peinliche Karikatur eines stocksteifen, überambitionierten Karrieristen. Doch je länger „Andor“ dauert, desto mehr gewinnt er an Profil.

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    Zwar ist Karn der Hauptbösewicht zu Beginn der Disney+-Serie, doch nüchtern betrachtet haben Andor und Luthen viel mehr Blut an den Händen als er und es wird zu 100 Prozent nachvollziehbar, warum sie aus seiner Sicht die Schurken sind.

    Fazit: „Star Wars: Andor“ braucht eine Weile, um in die Gänge zu kommen, bietet aber trotz einiger zäher Momente und blasser Nebenfiguren die Grundzutaten für eine wirklich herausragende „Star Wars“-Serie. Das Wordbuilding ist beeindruckend, die audiovisuelle Präsentation überzeugend und die Ambivalenz, die Cassian Andor auch schon in „Rogue One“ auszeichnete, wird hier faszinierend weitergedacht. Mit dem Auftreten Stellan Skarsgårds nimmt in Folge 3 dann auch noch die Geschichte an Fahrt auf. Jetzt bleibt abzuwarten, ob die kommenden Episoden das große Potenzial zu nutzen wissen.

    Ein Muss für „Star Wars“-Fans ist „Andor“ aber aufgrund des radikal neuen Ansatzes aber jetzt schon. 

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