Auch wenn sein „The Grudge“-Reboot nicht nur bei der internationalen Kritik, sondern auch beim Publikum gnadenlos durchgerasselt ist, zählt Nicolas Pesce zu den interessantesten Horror-Regisseuren der Gegenwart. Mit seinem gefeierten Debüt „The Eyes Of My Mother“, das sich nicht nur atmosphärisch packend, sondern auch psychologisch vielseitig zeigte, konnte der inzwischen gerade einmal 32-jährige Regisseur für viel Aufsehen sorgen.
Mit „Piercing“, der heute, am 1. Juli um 23.20 Uhr seine Free-TV-Premiere auf Tele 5 feiert, legte der junge Filmemacher eindrucksvoll nach. Seine verschrobene Hommage an das verwinkelte Kino des Brian De Palma („Der Tod kommt zweimal“, „Dressed To Kill“) ist nicht nur hochgradig stilbewusst in Szene gesetzt, sondern auch verdammt unangenehm. Um etwaige Kürzungen müsst ihr euch bei der heutigen TV-Ausstrahlung zudem keine Sorgen machen, denn nach 23 Uhr dürfen Filme mit einer FSK-18-Freigabe in voller Länge gezeigt werden.
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Darum geht’s in "Piercing"
Selbst wenn Reed (Christopher Abbott) sein eigenes, neugeborenes Baby in den Händen hält, wächst in ihm das unstillbare Verlangen, einfach zuzustechen. Um diesen Drang endlich loszuwerden, schmiedet er den Plan, eine ihm vollkommen unbekannte Frau zu ermorden. Dazu will er einen anstehenden Businesstrip nach New York nutzen. Reed verabschiedet sich also von seiner Familie, macht sich auf die Reise und plant alles minutiös durch.
In seinem Hotelzimmer angekommen probiert er sogar verschiedene Mengen Chloroform an sich selbst aus, um so haargenau bestimmen zu können, wie lange sein Opfer betäubt sein wird. Doch als dann das von bestellte Call Girl Jackie (Mia Wasikowska) eintrifft, das er mit einem Eispickel töten will, gerät alles aus dem Ruder. Denn die junge Frau, die sich erst einmal eine halbe Ewigkeit im Bad einsperrt, ist mindestens genauso abgefuckt wie ihr potenzieller Killer...
Ein abgefuckter Fetisch-Alptraum
Dass es sich bei „Piercing“ nur um einen besonderen Film handeln kann, erkennt man schon an der Vorlage, die von Ryu Murakami verfasst wurde. Dabei handelt es sich um den Autor, der auch das Buch zu Takashi Miikes verstörendem Horrorfilm „Audition“ verfasst hat – und wir alle können uns noch bestens an das Geräusch der Klavierseite erinnern, die sich hier langsam durch Knochen schneidet. Man muss also mit einigen Wassern gewaschen sein, wenn es um Murakami-Adaptionen geht.
Auch „Piercing“ ist ein außergewöhnlicher Film und konnte sich in der FILMSTARTS-Kritik bärenstarke 4 von 5 Sternen verdienen. Chefkritiker Christoph Petersen schreibt über den Film: „Ein minimalistisches Noir-Verwirrspiel mit surrealem Touch und Splitscreen-Szenen, die Erinnerungen an die Filme von Brian De Palma heraufbeschwören. Und mit jedem weiteren Twist geht es tiefer hinein in den Kaninchenbau aus abgründigen Fetischen und verstörendem Verlangen.“
Piercing„Piercing“ ist durchaus harte Kost und zieht einen in seinen schier irralen Bann, der zusätzlich davon unterstrichen wird, dass New York hier wie eine Modellbaumetropole gestaltet ist. Interessant an dem Horrorfilm, dessen fiebrige, alptraumhafte Stimmung sich durch das beengte Kammerspielsetting immer weiter verdichtet, ist allerdings nicht nur die Gewalt, sondern auch die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten. Denn Nicolas Pesce baut hier immer wieder auf schwarzen und abgründigen Humor, um so die Psychosexualität des Duos zu erforschen.
Beschrieben wird „Piercing“ in der Kritik bezüglich dieses Aspekts auch als „die dunkle Seite von ‚Pretty Woman‘, wo aus 'Küss mich!' kurzerhand 'Stich mich!' wird.“ So abgefuckt der Film auch sein mag, durch Christopher Abbott („Possessor“) und Mia Wasikowska („Stoker“) gewinnt „Piercing“ einen romantischen Charme, der gleichermaßen verstörend wie entwaffnend ist. Wer also mal wieder einen wirklich interessanten Genre-Geheimtipp sucht, sollte hier definitiv einen Blick riskieren.
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