Mein Konto
    Schwere Vorwürfe gegen Disney aus den eigenen Reihen: Zensiert das Maushaus LGBTQ+-Stories?
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Bei „Bambi“ muss er heute noch weinen und auch sonst haben die Zeichentrickklassiker von Disney die Kindheit von Björn Becher geprägt.

    Dass sogenannte „Don’t Say Gay“-Gesetz im US-Staat Florida sorgt für Verwerfungen bei Disney. Nun werden von Tochterfirma Pixar heftige Vorwürfe laut, dass Disney Einfluss auf Animationsfilme nehme, um LGBTQ+-Stories zu unterdrücken.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen

    Seit rund zwei Jahren ist Bob Chapek der mächtige Mann an der Spitze von Disney und hat dabei bislang nicht immer eine glückliche Figur abgegeben. Doch nun steht er aufgrund seines Umgangs mit dem sogenannten „Don’t Say Gay“-Gesetz endgültig im Kreuzfeuer der Kritik – und zwar auch aus den eigenen Reihen. Um zu erklären, was das mit den von uns so geliebten Thema „Film“ zu tun hat und warum es nicht nur den aktuellen Disney-Chef, sondern das ganze Maushaus betrifft, müssen wir allerdings etwas ausholen und kurz ein wenig in die Welt der Politik schauen.

    Das ist das "Don’t Say Gay"-Gesetz in Florida

    Bereits Ende Februar brachte das Repräsentantenhaus in Florida ein neues Gesetz auf den Weg, das landesweit für Proteste sorgt und nun gerade auch vom Senat des Bundesstaates bestätigt wurde. House Bill 1557, im Volksmund auch nur noch die „Don’t Say Gay“-Bill genannt, verbietet Diskussionen an Kindergärten und in den ersten drei Schulklassen über sexuelle Orientierungen und Geschlechteridentitäten.

    Umstritten ist, ob Wörter wie „gay“ überhaupt in den Mund genommen werden dürfen. Gegner des Gesetzes äußern den Vorwurf, dass Lehrer*innen damit nicht mal auf eine Frage ehrlich antworten dürfen, warum die Mitschülerin oder der Mitschüler zum Beispiel von zwei Vätern zur Schule gebracht wird. Die hinter dem Gesetz stehenden Republikaner weisen diesen Vorwurf zurück. Spontane Auseinandersetzungen mit jeglicher LGBTQ+-Thematik seien weiter erlaubt, nur keine feste Aufnahme in den Lehrplan. Doch in Sachen Unklarheiten geht das das Gesetz ohnehin noch weiter...

    Denn recht nebulös wird auch in höheren Altersklassen die Auseinandersetzung mit dem Thema nur so weit erlaubt, wie es dem Alter und der Entwicklung der jeweiligen Kinder im Unterricht angemessen sei. Weil parallel Eltern weitreichende Klagerechte gegen Lehrer*innen und Schulen eingeräumt wird, ist die Befürchtung groß, dass aus Furcht in einer Art Selbstzensur jegliche Diskussion auch bei höheren Altersstufen unterdrückt wird.

    Denn kaum jemand dürfte Lust haben, regelmäßig bei Gericht darzulegen, warum der eigene Unterricht für das Alter angemessen war. Der Vorwurf: Genau das ist das Kalkül hinter dem Gesetz – wie schon bei einem Anfang des Jahres ebenfalls in Florida verabschiedeten Gesetzesentwurf, Rassismus-Themen auf den Lehrplänen zu verbieten.

    In den USA gibt es deswegen zahlreiche Demonstrationen und Schüler*innen-Verbände machten den Slogan „Say Gay Anyway“ salonfähig, den mittlerweile auch zahlreiche Stars von Marken des Maushauses wie Marvel und „Star Wars“ aufgriffen, darunter Mark HamillPedro Pascal und Mark Ruffalo (ihre Tweets findet ihr exemplarisch für zahlreiche weitere im Verlauf des Artikels). Doch was hat nun Disney damit zu tun?

    Der Ex-Boss und die Stars sprechen, Disney selbst schweigt

    Disney ist eine der einflussreichsten Firmen in Florida, wo in Orlando unter anderem mit Disney World der legendäre Themenpark-Komplex des Maushauses steht. Nachdem sich der vorherige Disney-Boss Bob Iger (wie übrigens auch US-Präsident Joe Biden) direkt nach der ersten Runde auf dem Weg zum Gesetz im Februar kritisch äußerte, schwieg sein Nachfolger Bob Chapek erst mal ausgiebig.

    In einer Stellungnahme verwies Chapek darauf, dass es nichts bringe, sich als Unternehmen öffentlich zu positionieren und dies nur zu weiterer Spaltung beitrage. Weil Disney aber im Hintergrund fleißig Geld an Politiker*innen spendet, darunter auch an viele, die das Gesetz befürworten, kam es zum Shitstorm: Chapek kassierte öffentlich aber auch intern massive Kritik, sodass er nun doch reagierte.

    In einem Call mit den ihn auch kritisierenden Aktionären des Unternehmens verteidigte sich Chapek. Man sei gegen das Gesetz und nutze seinen Einfluss hinter den Kulissen, um die republikanischen Politiker*innen umzustimmen. Er kündigte Millionen-Spenden an LGBTQ+-Organisationen an, die aktuell gegen das Gesetz vorgehen (wobei sich eine prominente Organisation bereits weigerte, das Geld anzunehmen). Vor allem verwies er aber darauf, dass Disney mit seinen Filmen ja zeige, wie sehr man die LGBTQ+-Gemeinde unterstütze. In einem internen Memo an die eigenen Angestellten wurde er dann noch einmal konkreter:

    „Für unsere Firma ist es der beste Weg durch die inspirierenden Inhalte, die wir produzieren, die Willkommenskultur, die wir schaffen und die diversen Organisationen, welche wir unterstützen, für dauerhafte Veränderung zu sorgen.“ Und genau hier sind wir nun bei unseren geliebten Filmen.

    Disney-Doppelmoral? Pixar widerspricht dem Disney-Boss

    Denn unterstützt Disney mit seinen Filmen wirklich die LGBTQ+-Gemeinde? Schon bei einer Außenansicht kann man da anderer Meinung sein, denn wie viele queere Figuren fallen euch bei dem Maushaus ein? Da muss man dann schon lange überlegen und landet bei sehr wenigen Figuren, deren Umsetzung teilweise zweifelhaft ist:

    LeFou ist im „Die Schöne und das Biest“-Remake schwul, das musste aber separat vom Film erklärt werden, damit es Zuschauer*innen überhaupt auffällt. Hier und da haben wir queere Figuren zwar deutlicher wahrnehmen können, etwa im Marvel-Film „Eternals“ (zwei Männer leben als Ehepaar zusammen) und im Pixar-Hit „Onward: Keine halben Sachen“ (da ist eine Nebenfigur mit wenigen Zeilen Text homosexuell), insgesamt ist die Repräsentation queerer Menschen in Disney-Filmen aber weder besonders sichtbar, noch umfangreich.

    Doch viel schlimmer: Disney unterdrückt angeblich sogar stärkere LGBTQ-Repräsentation in seinen Filmen.

    Dieser Vorwurf stammt nun zumindest von den Mitarbeiter*innen der Animationsschmiede und des Disney-Tochterunternehmens Pixar. In direkter Antwort auf Chapeks oben zitiertes Memo heißt es in einem von diesen verfassten und verschickten Memo: Selbst wenn die Antwort auf diskriminierende Gesetze das Schaffen von Inhalten wäre, sei es ja nicht erlaubt, diese überhaupt zu kreieren. Im übersetzten Wortlaut:

    „Wir bei Pixar haben alle persönlich beobachten können, wie wunderschöne Geschichten voll mit diversen Figuren aus dem Disney-Hauptquartier zurückkamen und nur noch Krümel von dem übrig blieben, was sie vorher waren. Fast jeder Moment öffentlicher homosexueller Zuneigung wird auf Verlangen von Disney rausgeschnitten – trotz der Proteste sowohl der Kreativteams als der Führungsebene bei Pixar.“

    Die Kritik dürfte sich nicht nur an Chapek richten. Denn es klingt nicht so, als wäre es erst seit seinem Amtsantritt vor rund zwei Jahren schwierig, entsprechende Geschichten zu erzählen. Bisher gibt es noch keine öffentliche Reaktion von Disneys Führung auf die deutlichen Vorwürfe von Pixar. Es bleibt sicher auch mit Spannung abzuwarten, ob in Zukunft noch Details folgen, inwiefern vielleicht konkrete Filme verändert wurden oder ganze Filmideen deswegen nicht umgesetzt werden können.

    Mit „Rot“ startet am heutigen 11. März 2022 übrigens der neuste Pixar-Film auf Disney+, der zwar keine LGBTQ+-Themen behandelt, aber trotzdem zu Pixars Bestrebungen gehört, unterschiedlichste Figuren in den Mittelpunkt zu rücken – und sich in den USA auch von entsprechender Seite dem absurden Vorwurf ausgesetzt sah, dass er nicht-inklusiv sei, weil es keine weiße Identifikationsfigur gibt.

    Auf Disney+ gibt es zudem mit dem Kurzfilm „Out“ aus der Pixar-Nachwuchsreihe SparkShorts den bislang einzigen Disney-Animationsfilm, der sich wirklich explizit mit LGBTQ+-Themen beschäftigt.

    facebook Tweet
    Ähnliche Nachrichten
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top