Selten löst ein deutscher Fernsehfilm einen Skandal aus, der so groß ist, dass er noch Jahrzehnte später ein Teil des kulturellen Gedächtnisses ist. Und noch seltener ist ein deutscher Fernsehfilm so eindrucksvoll geraten, dass er nach seiner TV-Premiere auf die hiesigen Leinwände kommt und anschließend in über 120 Ländern im Kino eingesetzt wird.
Regisseur und Autor Rainer Erler ist aber genau dies gelungen: Sein blutiger Thriller „Fleisch“ zeichnete 1979 ein drastisches Bild professionell organisierter, gewissenloser Organhändler und fesselte nicht nur das Publikum, sondern entfesselte obendrein lang anhaltende, hitzig geführte Diskussionen. Heute erscheint der TV-Meilenstein mit neuem Bildmaster erstmals auf Blu-ray.
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Die Handlung von "Fleisch"
Monika (Jutta Speidel) ist glücklich mit dem lebensfrohen, wenngleich ständig kurz vor der Pleite stehenden Studenten Michael (Herbert Herrmann) verheiratet. Gemeinsam verbringen sie die Flitterwochen in seinem Heimatland, den USA. Als die Turteltauben einen Halt in New Mexico machen, können sie ihr Glück kaum Glauben – sie finden ein sensationell günstiges, dennoch annehmbares Motel. Kurz danach wendet sich alles zum Schlechten: Michael wird von Sanitätern entführt und ist nun heiße Ware für eine gewissenlose Organisation von Organhändlern, die einer reichen Kundschaft „Ersatzteile“ aus jungen, gesunden Körpern versprechen…
Nicht nur die Handlung spielt in den USA, auch die Produktion passierte auf der anderen Seite des Atlantiks: Die Dreharbeiten zum fast zweistündigen Thriller fanden unter anderem in New Mexico, New Jersey und New York City statt. Aufwand, den man von deutschen Fernsehfilmen so nicht gewohnt ist. Passend, ist doch auch die Reaktion auf „Fleisch“ außergewöhnlich.
Der "Fleisch"-Skandal
Der Gedanke, dass Menschen abgeschlachtet werden, damit man ihre Organe an die Meistbietenden verschachern kann, ist im Horrorkino kein Novum mehr. Unter anderem „Turistas“ lässt grüßen. 1979 traf dieses Konzept das TV-Publikum allerdings vollkommen unvorbereitet, was zusammen mit Rainer Erlers zielgenau-brachialer Inszenierung den Sturm der Entrüstung erklären dürfte, den „Fleisch“ ausgelöst hat.
So protestierten Stimmen aus der Ärzteschaft, der Film sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Weiter hieß es, er würde mit seiner spekulativen Handlung unfundiertes Misstrauen gegen die Medizin schüren. Da illegaler Organhandel in den vergangenen Jahrzehnten jedoch sehr wohl für drastische Schlagzeilen sorgte, wird „Fleisch“ rückwirkend dagegen als prophetisch beschrieben – so etwa 2008 vom SPIEGEL.
Das lässt den Aufschrei von 1979 in einem ganz anderen Licht erscheinen. Damals mahnte beispielsweise Bundespräsidentengattin Mildred Scheel, die Auswertung des Films müsse verhindert werden, weil er eine Zukunft darstellen würde, „die niemals Realität werden darf“. Dass seine Kritik an absehbaren Missständen eingangs stärker angegangen wird, als die von ihm behandelten Probleme, war für Erler jedoch Standard: Er drehte unter anderem auch hitzig debattierte Filme über Atommüll, Genmanipulation und maßlose Ölbohrungen.
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