+++ Meinung +++
Keine Frage, was das Wolfsrudel in „Hangover“ und den beiden Fortsetzungen erlebt, ist schon ziemlich irre. Aber es ist für mich noch lange nicht das Maß der Dinge, wenn es um extreme Party-Eskalationen geht. Einen gehörigen Schritt weiter gehen in dieser Hinsicht zum Beispiel „Ballermann 6“ und „Project X“, die aktuell beide via Netflix gestreamt werden können.
Was „Ballermann 6“ und „Project X“ in Sachen Hemmungslosigkeit auf ihre Zuschauer loslassen, ist schon beachtlich. Vor allem, wenn man sich einmal vor Augen führt, dass sich die Protagonisten schlussendlich mit keinerlei Konsequenzen für ihre Eskapaden konfrontiert sehen. Von Teilen der Presse wurde das in beiden Fällen nicht nur hinterfragt, sondern auch vehement verurteilt – ein enttäuschend biederer Blick aufs Kino...
Darum geht es in "Ballermann 6" und "Project X"
In „Ballermann 6“ dreht sich alles um die die Vollzeitchaoten Tommie (Tom Gerhardt) und Mario (Hilmi Sözer), die sich nichts sehnlicher wünschen, als nach Mallorca zu reisen, um am Ballermann beim Eimersaufen so richtig die Sau rauszulassen. Schon vor ihrer Abreise handeln sie sich gewaltig Ärger mit zwei rachsüchtigen Typen ein, um auf der Partyinsel mitten in die Beziehungskrise eines eifersüchtigen Yuppies und seiner genervten Freundin zu stolpern…
In „Project X“ gerät das Geburtstagsfest von Thomas (Thomas Mann) so richtig außer Kontrolle. Was anfangs als kleine Feierlichkeit im elterlichen Domizil geplant war, artet urplötzlich in die Mutter aller Hauspartys aus. Die kühnsten Erwartungen von Thomas und seinen Freunden werden übertroffen, nachdem am Abend nicht nur eine Handvoll Gäste am Start sind, sondern die komplette Highschool das Anwesen stürmt. Die Chaosnacht des Jahrhunderts ist vorprogrammiert...
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Was „Ballermann 6“ und „Project X“ gleichermaßen erstaunlich macht, ist die allgemeine Verantwortungslosigkeit, die von den Regisseuren Gernot Roll und Nima Nourizadeh regelrecht zur erzählerischen Tugend erhoben wird. Anstatt Zeit zu verlieren und sich in unnötigen Handlungssträngen zu verstricken, kennen die beiden Party-Orgien nur eine Richtung: Immer straight noch vorne. Gas geben, um schnellstmöglich über die Stränge schlagen zu können.
"Ballermann 6" und "Project X" sind trunken vom Rauschzustand
Dass keiner der beiden Filme über 90 Minuten Laufzeit in Anspruch nimmt, zeigt bereits sehr gut auf, dass das Hauptaugenmerk auf der vergnügungssüchtigen Kurzweiligkeit liegt. „Ballermann 6“ hat da sogar noch einen kleinen Vorteil, weil wir uns als Zuschauer nicht erst mit den beiden dauerbesoffenen Prolls vertraut machen müssen, kennen wir diese doch schon aus dem ebenfalls kultigen Vorgänger „Voll normaaaal“.
„Project X“ beschreibt seine Figuren hingegen aus der Bewegung heraus. Thomas und seine Freunde werden nicht nur von all ihren plötzlich in Erfüllung gehenden Wünschen heimgesucht, sondern auch vom Tohuwabohu der Party überfordert. Da landet dann eben nicht nur ein Auto im Pool, auch ein Drogendealer kreuzt mit Flammenwerfer auf, bis irgendwann ein Polizeihubschrauber über dem Grundstück kreist, auf dem gerade unzählige Jugendliche die Zeit ihres Lebens verbringen.
Ohnehin aber geht es „Ballermann 6“ und „Project X“ nicht wirklich um seine Protagonisten. Es geht ihm um die Situationen, in der diese sich durchsetzen müssen (oder eben alles einfach nur über sich ergehen und sich einfach mittreiben lassen müssen). Das bedeutet in diesem Fall wohl: Bei all dem Alkohol, der nackten Haut, der Lautstärke und den Massen an Menschen nicht einfach vor Erschöpfung in Ohnmacht zu fallen. Es lebe der Rausch!
"Endlich normale Leute": "Ballermann 6" und "Project X" scheren sich nicht um Anstand
Wer am Ende von „Ballermann 6“ und „Project X“ auf eine pädagogisch-wertvolle Botschaft hofft, die die Akteure wieder zur Besinnung bringt, der hat sich in beiden Fällen geschnitten. Natürlich sind weder Tommie und Mario noch Thomas und seine Kumpels durchtriebene Unmenschen. Der moralische Kompass in ihrem Handeln allerdings hat für diese jeweiligen 90 Minuten erst einmal Auszeit - hier wird der Mensch auf seine niedersten Triebe zurückgeworfen, was Tommie entsprechend kommentiert: „Endlich normale Leute!“
Dabei handelt es sich nicht nur um den Alkohol, der in so rauen Mengen fließt, dass Tommie und Mario sogar ein Bad in diesem nehmen, sondern die gesamte Reizüberflutung. Um Anstand geht es weder in „Ballermann 6“ noch in „Project X“. Wo sich das Wolfsrudel am Ende wieder ihren gesellschaftlichen Rollen fügen muss, lassen die ekstatischen Partyräusche hier den Kontrollverlust siegen - und deshalb schaue ich mir das auch lieber an als „Hangover“, selbst wenn der hier auf FILMSTARTS die vollen 5 Sterne abgeräumt hat.
Thomas und seine Freunde werden am Ende von „Project X“ wie Könige gefeiert, weil sie es bewusst zugelassen haben, jede Grenze zu sprengen. Tommie und Mario kehren schlussendlich nach Deutschland zurück und zeigen sich trotz all des Ärgers, den sie sich eingehandelt haben, vollkommen unbelehrbar. Der Ausflug ins nächsten Partymekka wird schon geplant – und das ist auch gut so!
Gerade jetzt, wo wir uns nach all der Corona-Züruckhaltung erst langsam wieder daran gewöhnen müssen, dass irgendwann auch Exzess wieder möglich sein wird, könnte man „Project X“ und „Ballermann 6“ da fast eine gesellschaftsrelevante Aussage zusprechen. Aber zum Glück auch nur fast...
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