+++ Meinung +++
Als Til Schweiger eine Doku über Bastian Schweinsteiger ankündigte, war ich sehr gespannt. Als der Film mit dem auf so viele Arten sperrigen Titel „SCHW31NS7eiger Memories - Von Anfang bis Legende“ dann auf Streamingdienst Amazon Prime Video erschien, war ich allerdings ziemlich entsetzt, was Produzent Til Schweiger und Regisseur Robert Bohrer da aus ihrem Material gemacht haben.
» "SCHW31NS7eiger Memories - Von Anfang bis Legende" bei Amazon Prime Video*
Ich will gar nicht so groß darauf eingehen, dass sich Til Schweiger selbst übertrieben in Szene setzt – zum Beispiel beim ungelenken Small-Talk mit Schweinsteiger beim gemeinsamen Nudelessen und als Experte, der die Entwicklung des deutschen Fußballs lobt. Das haben schon so viele getan. Zudem könnte ich über diese wenige Minuten hinwegsehen, wenn der Rest von „Schweinsteiger Memories“ (man verzeihe mir, wenn ich den Film den Rest des Textes so nenne) gut funktionieren würde.
Viel problematischer finde ich, wie selbst die emotionalsten Momente in der Karriere der Fußballlegende durch eine penetrante Über-Inszenierung zerstört werden.
Bei "Schweinsteiger Memories" verursacht selbst der WM-Sieg keine Gänsehaut
Größtenteils hangeln sich Bohrer und Schweiger chronologisch durch die Karriere des Fußballspielers – nur seine maue Zeit bei Manchester United tauscht man in der Abfolge mit dem WM-Titelgewinn in Brasilien, um immer abwechselnd Triumph und Enttäuschung schildern zu können. Unterbrochen wird das von Gesprächen mit Freunden und Weggefährten des Stars, die erzählen, wie toll er war, und einigen privaten Aufnahmen.
Zwangsläufig gibt es dabei viele berühmte Bilder von Siegen, aber auch Niederlagen mit seinem Verein, dem FC Bayern München, und mit der Nationalmannschaft. Es sind Bilder, die man schon tausendmal gesehen hat, die aber trotzdem Gänsehautpotential haben, wenn man Fan ist.
Ich hatte diese in der Doku aber nie, war vielmehr mit fortschreitender Laufzeit immer mehr verärgert. Denn obwohl Bilder und Ausgänge bekannt sind, wird die Spannung so extrem und schnell richtig nervig in die Länge gezogen, dass die Szenen irgendwann völlig zäh sind.
Ein Beispiel ist die berühmte Niederlage beim sogenannten Champions-League-„Finale dahoam“ der Bayern gegen Chelsea, bei dem ein Eckball der bis dahin chancenlosen Engländer zum Gegentor führt. Eine Ewigkeit sieht man Spieler in Großaufnahme, die auf die Ecke warten, hört Kommentare, dass nur Drogba das Tor schießen könne, bis der Ball endlich mal in Zeitlupe reingeschlagen und – nach einer weiteren Unterbrechung durch ein Interview – (Oh, welch Überraschung!) von Drogba mit dem Kopf im Tor versenkt wird.
Dieser Spannungsaufbau wäre schon nervig gewesen, wenn man wirklich auf einen ungewissen Ausgang hingefiebert hätte. Aufgrund des bekannten Endes wirkt es erst recht völlig unsinnig.
Und als wären die dauernden Zeitlupen und Unterbrechungen durch noch eine Erklärung eines Interviewpartners nicht schon genug, wird unter wirklich jede Szene eine schreckliche Musikuntermalung gelegt. Daraus entwickelt sich ein penetrant störender, alles überlagernder Klangteppich, der den letzten Anflug von Emotionen bei mir endgültig abtötete.
Ein spannendes Rätsel bietet "Schweinsteiger Memories" dann doch
Einen durchaus emotionalen Moment gibt es dann zwar (Schweinsteigers Verabschiedung zum Karriereende von seinen Mannschaftskollegen bei Chicago Fire in der Kabine), doch der einzige Grund, warum ich „Schweinsteiger Memories“ empfehlen kann, ist ein kleines Rätsel bzw. Suchspiel alias „Wo ist Philipp?“
Denn obwohl Philipp Lahm den Großteil von Schweinsteigers Karriere auch auf dem Platz stand (beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft), fehlt er im Film fast völlig. Dass Philipp Lahm vielleicht keinen Bock hatte oder man ihn nicht als sogenannten Talking Head für die Interviewszenen haben wollte, geschenkt.
Aber es ist schon ziemlich auffällig, wie der Kapitän des Teams bei allen Triumphen quasi überhaupt gar keine Rolle spielt – nicht nur in den Erzählungen, sondern auch auch in den Bildern. Nahezu alle Szenen sind so geschnitten, dass Lahm (fast) nicht präsent ist. Tore und Vorlagen von ihm, die etwa zu Triumphen beitrugen, fehlen im Gegensatz zu Toren anderer Spieler. Fast so, als wäre er bei deutschen Meisterschaften, Champions-League-Sieg und WM-Titel nur ein unwichtiger Statist gewesen.
Man kann also ein kleines Suchspiel machen, um die wenigen Momente zu finden, in denen Philipp Lahm doch am Bildrand oder im Hintergrund ganz kurz zu erhaschen ist (oder in seinem auffälligsten Moment bei einem Fehler)...
Obwohl „Schweinsteiger Memories“ ursprünglich für Streamingdienst Amazon Prime Video produziert wurde und bislang exklusiv nur dort im Abo abrufbar war, hat ihn Das Erste nun kurzfristig ins Programm aufgenommen. Am heutigen Neujahrstag ist die Dokumentation ab 16.30 Uhr zu sehen, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass Schweinsteiger mittlerweile ARD-Fußballexperte ist.
*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.