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    Unsere Kritik zu "The Boys": Mehr als nur brutale Avengers

    Kann die Adaption der blutigen und kompromisslosen Comic-Reihe „The Boys“ frischen Wind ins omnipräsente Superhelden-Genre bringen? Wir haben die komplette erste Staffel der Amazon-Serie vorab gesehen und verraten es euch.

    Amazon

    „Die Menschen lieben Superhelden“, weiß auch der raubeinige Billy Butcher (Karl Urban), der in der düsteren Comic-Adaption „The Boys“ nicht gerade gut auf die kostümierten Verbrechensbekämpfer zu sprechen ist. Und zu einer Zeit, in der gerade erst das Marvel-Abenteuer „Avengers: Endgame“ zum erfolgreichsten Film aller Zeiten avanciert ist, kann man ihm natürlich mehr denn je zustimmen. Die Superhelden aus „The Boys“ sind in Wahrheit aber alles andere als heldenhaft – und genau das macht den großen Reiz der kompromisslosen satirischen Genre-Abrechnung aus.

    Keine Über-, sondern Unmenschen

    Während alle Welt die mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Retter abgöttisch verehrt, muss auch der unbedarfte Elektro-Verkäufer Hughie (Jack Quaid) auf tragische Weise erfahren, dass die vermeintlichen Helden weniger Über- als vielmehr profitgeile Unmenschen sind. Als Hughie nämlich gerade den Heimweg mit seiner Freundin genießt, rauscht der superschnelle A-Train (Jessie Usher) einfach rücksichtslos durch sie hindurch, woraufhin von ihr nur blutiger Matsch und ihre Hände übrig bleiben, die der geschockte Hughie noch fest umklammert.

    Da A-Train ein Mitglied der vom strahlenden Homelander (Antony Starr) angeführten Superhelden-Truppe The Seven ist (eine in einer Art Avengers-Tower hausende Justice-League-Persiflage), die den mächtigen Konzern Vought im Rücken hat, kann er den Vorfall ohne Konsequenzen schnell vergessen machen. Hughie ist außer sich und daher umso empfänglicher für den erwähnten Billy Butcher, der ihn wenig später aufsucht und ihm eine Möglichkeit bietet, doch noch Gerechtigkeit für den Tod seiner Freundin zu bekommen. Gemeinsam wollen sie dem Treiben der korrupten „Helden“ ein Ende bereiten – doch das ist bei so einem Gegner natürlich leichter gesagt als getan.

    Eine Welt mit echten Superhelden

    Wie sähe die Welt tatsächlich aus, wenn es Superhelden wirklich gäbe? Dieser Frage haben sich auch Garth Ennis und Darick Robertson ohne Rücksicht auf Verluste in ihrer von 2006 bis 2012 veröffentlichten „The Boys“-Comic-Reihe gewidmet – und dabei viele unschöne Antworten gefunden. Auch wenn für die Serien-Adaption aus der Feder von „Supernatural“-Schöpfer Eric Kripke nun einige Kanten der Vorlage abgeschliffen wurden, bleibt man der darin entworfenen faszinierenden Welt doch sehr treu und denkt naheliegende Ideen zu einem Alltag mit Superhelden nicht nur weiter, sondern auch sehr konsequent zu Ende.

    Glaubhaft verdeutlichen Kripke und sein Pilotfolgen-Regisseur Dan Trachtenberg („10 Cloverfield Lane“, „Uncharted“) direkt in der ersten Episode, welchen ikonischen Status die Helden in der Gesellschaft genießen und wie dieser möglichst gewinnbringend vermarktet und ausgeschlachtet wird. Strahlende Ritter, wie man sie aus einem Gros der Mainstream-Comics aus dem Hause Marvel und DC (sowie den zugehörigen Verfilmungen) kennt, sucht man hier (größtenteils) vergeblich.

    Gegenentwurf zu Marvel & Co.

    Von ihrer eigenen Macht korrumpiert, haben die am stärksten gefeierten Helden – oder Supes, wie sie in der Serie genannt werden – die meisten Leichen im Keller. Ihren moralischen Kompass haben sie schon lange verschrottet, Kollateralschäden bei ihren Einsätzen nehmen sie allenfalls schulterzuckend in Kauf, während die Konzern-Maschinerie, die hinter ihnen steht, alles tut, um ihr Saubermann-Image in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. Oder wie der Seven-Anführer es an einer Stelle treffend auf den Punkt bringt: „Ich bin Homelander und ich kann tun und lassen, worauf ich Bock hab’.“

    Die „The Boys“-Adaption kommt als Superhelden-Anti-These dabei wie schon Zack Snyders „Watchmen“-Verfilmung vor zehn Jahren natürlich auch zu einem besonders günstigen Zeitpunkt. War damals die erste große Welle der modernen Comic-Adaptionen durch und das Marvel Cinematic Universe gerade im Entstehen, ist das MCU spätestens mit seinem vorläufigen Höhepunkt „Avengers: Endgame“ zu einem Mega-Franchise angewachsen, während auch Sony und Warner/DC weiter fleißig dabei sind, ihre Comicfilm-Universen auszubauen. Eine Dekonstruktion der omnipräsenten Helden-Spektakel dürfte vielen daher gerade recht kommen – besonders, wenn sie so abliefert wie nun „The Boys“.

    Jan Thijs / Amazon

    Ernster als gedacht

    Die erschreckenden Abgründe des Superheldentums entdecken wir in „The Boys“ nicht nur zusammen mit Hughie, sondern auch mit Superhelden-Neuling Starlight (Erin Moriarty), die sich ihr Leben lang nichts sehnlicher gewünscht hat, als Mitglied der Seven zu werden. Als dieser Traum dann eines Tages tatsächlich in Erfüllung geht, folgt das böse Erwachen dank eines Willkommens in bester Harvey-Weinstein-Manier aber direkt auf dem Fuße. Das wird – wie vieles in der Serie – aber weit weniger plakativ vermittelt als in der Comic-Vorlage, hat jedoch trotzdem einen ganz ähnlich starken Effekt, schließlich wird so noch viel deutlicher, dass wir es trotz aller übermenschlichen Fähigkeiten hier immer noch mit sehr menschlichen Schicksalen zu tun haben.

    Generell ist „The Boys“ nicht so stumpf auf Krawall gebürstet, wie es auch die ersten Trailer zur Serie vielleicht noch vermuten ließen. Mit Gewalt wird zwar tatsächlich nicht gegeizt und die Figuren nehmen wahrlich kein Blatt vor den Mund – was alles adäquat auch das Setting illustriert –, doch damit haben sich die Verkaufsargumente der Comic-Adaption keineswegs erschöpft. Im Kern ist das Ganze zweifellos eine treffsichere Satire mit viel schwarzem Humor, unterm Strich fällt „The Boys“ dann aber doch erstaunlich ernst aus, was dank der smarten Erdung des grundsätzlich überzogenen Settings aber auch bestens funktioniert.

    So wird sich nicht nur auf der originellen Grundidee ausgeruht, sondern darum auch eine waschechte Verschwörungsgeschichte gesponnen (nicht ohne Grund gibt Comic-Autor Garth Ennis „L.A. Confidential“ und andere Werke von Autor James Ellroy als Inspirationsquelle an). Die hätte man hier und da mit leichter Reduzierung der Folgenlänge (fast alle gehen rund eine Stunde) vielleicht noch etwas straffen können, als roter Faden taugt sie aber allemal.

    (Anti-)Helden aus Fleisch und Blut

    Viel spannender sind aber noch die Figuren selbst, in deren Charakterisierung über weite Strecken viel Sorgfalt gesteckt wurde. Sowohl auf der Seite der Seven als auch bei ihren Widersachern werden nach und nach tieftragische Hintergrundgeschichten enthüllt, die den Protagonisten mehr Fleisch verleihen, ohne aber ihren Charakter zu verwässern. Und das geschieht meist elegant im Vorbeigehen und nicht mittels ausufernder Rückblicke. Etwas blass ist da am ehesten noch Hughie, der zwar zunächst als Motor für die Handlung fungiert, als Anfänger bei der Superhelden-Bekämpfung dann aber die meiste Zeit eher passiv bleibt.

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    Darsteller Jack Quaid („Die Tribute von Panem“) kann da auch nicht allzu viel ausrichten, zumal er besonders von zweien seiner Co-Stars an die Wand gespielt wird: „Star Trek“- und „Dredd“-Star Karl Urban (der als „Thor 3“-Finsterling Skurge übrigens selbst schon Teil eines MCU-Abenteuers war) feuert eine einnehmende Coolness-Show irgendwo zwischen dem narzisstischen Verlierer-Charme eines Jack Sparrow und der fast schon psychotischen Unberechenbarkeit eines Tyler Durden ab. Trotz aller lockeren Sprüche scheint es unter der Oberfläche des passionierten Selbstjustizlers stets zu brodeln. Die Gefahr, dass sein kumpelhafter Umgang jederzeit umschlagen kann, ist allgegenwärtig.

    Ein perfektes Gegengewicht bekommt er dabei mit Antony Starr („Banshee“), der voll in seiner Rolle als Captain-America-Superman-Mix Homelander aufgeht und spielend von einem Moment auf den nächsten vom Vorzeige-Strahlemann zum bedrohlichen Ober-Arsch umschaltet.

    Fazit

    „The Boys“ lebt von einer starken Prämisse, die mit viel Bedacht und überraschendem Ernst etabliert wird, sowie den erfreulich ambivalenten Figuren in beiden Lagern der entworfenen dichten Superhelden-Welt, die sie auch dank ihrer bestens aufgelegten Darsteller mit Leben füllen. Das Potential der unzähligen Möglichkeiten, die sich aus dem erfrischenden Setting ergeben, mag zwar noch nicht komplett ausgeschöpft sein, doch macht auch das nur noch mehr Lust auf die zum Glück bereits bestätigte zweite Staffel.

    Alle acht Folgen der ersten Staffel „The Boys“ können ab sofort auf Deutsch und Englisch bei Amazon Prime Video abgerufen werden.

    Neu bei Amazon Prime im Juli: Megabrutale "Avengers" in Serie und ein echtes Horror-Highlight
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