„Wenn Sie jemanden umbringen wollen, dann mich!“, erklärt Tom Hanks als Captain Phillips verzweifelt aber heldenhaft, als somalische Piraten sein Frachtschiff gewaltsam kapern und er seine Crew-Mitglieder schützen will, indem er sich selbst opfert. Vorweg sei gesagt: Dieser Satz fiel in Wirklichkeit nicht, sondern geht auf die Kappe von Hollywood. Dennoch wurde der wahre Richard Phillips, Kapitän des Maersk Alamama Containerschiffs, vermutlich nicht zuletzt wegen solcher Sätze in „Captain Phillips“ nach seiner erfolgreichen Befreiung als wahrer Held gefeiert. Auch viele Medienberichte stellten ihn als solchen dar. Doch fast der Hälfte der 20 Crew-Mitglieder des Schiffs wirft dem Kapitän im Nachhinein vor, sein Handeln habe ihr Leben erst gefährdet.
Das Crew-Mitglied Jimmy Sabga erklärt ABC News im Jahr 2013: „Der Film erzählt eine äußerst fiktionalisierte Version dessen, was in Wirklichkeit passiert ist. […] Kapitän Phillips hat Anordnungen nicht befolgt, das Schiff wurde attackiert und er ist verantwortlich dafür.“
Dennoch verklagten die neun Mitglieder nicht Richard Phillips, sondern unter anderem die Containerschiff-Reederei Maersk Line Limited nach den Ereignissen. Sie werfen dem Unternehmen vor, die Besatzung „wissentlich, vorsätzlich und absichtlich“ in ein gefährliches Piraten-Gebiet geschickt zu haben, weil diese Route weniger Geld kostete. Phillips hätte diese Route allerdings umfahren können – tat es jedoch nicht, obwohl er über die Gefahr informiert wurde. Daher kritisieren einige Besatzungmitglieder die Tatsache, dass der Kapitän in den Medien und im Film als Held dargestellt wird.
Doch wie heldenhaft stellt Paul Greengrass' Werk Richard Phillips überhaupt dar? Wir haben diese Frage anhand von zwei wesentlichen Szenen beleuchtet und sie auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft.
Richard Phillips hat Warnungen ignoriert
Am Anfang des Films liest Richard Phillips eine E-Mail, in der vor Piraterie gewarnt wird. Als Konsequenz fordert er aber lediglich eine Sicherheitsübung an, ohne seine Crew über die Warnung zu informieren. Außerdem wird gezeigt, wie er nach einem ersten gescheiterten Kaperungsversuch von Piraten entscheidet, nicht abzudrehen, sondern die gefährliche Route beizubehalten – obwohl sich ein Teil der Crew dafür ausspricht, Abstand zur somalischen Küste zu gewinnen.
Die E-Mail, die im Film angedeutet wird, war in der Realität wohl spezifischer und es gab offenbar sieben Benachrichtigungen. Darin wurde empfohlen, einen Mindestabstand von 600 Meilen (das sind über 965 Kilometer) einzuhalten. Phillips hat der Crew diese Information eigenen Angaben nach zufolge tatsächlich vorenthalten, während das Schiff sogar lediglich 300 Meilen von der Küste entfernt war. Im Film werden diese Details zwar nicht gezeigt, doch immerhin wird klar, dass Phillips um die Gefahr wusste, diese aber nicht ernst genug nahm.
In einem Interview mit ABC News erklärt er seine Entscheidung, die Route beizubehalten und die Mail zu ignorieren: „Ich glaube nicht, dass 600 Meilen Abstand sicher gewesen werden, ich glaube, dass 1.200 Meilen Abstand nicht sicher gewesen wären. Wie ich der Crew sagte, war es nicht eine Frage ob, sondern wann [wir in Gefahr sein werden]. Wir waren immer in diesem Gebiet. Für mich hätte es das Risiko nicht verringert.“
Der Kapitän betrat das Rettungsboot nicht freiwillig
In der Szene, in welcher der von der Crew gefangen gehaltene Kapitän der Piraten freigelassen werden soll, wenn die Seeräuber mit dem Rettungsboot der Maersk Alamama verschwinden, weigert sich Kapitän Phillips nach Aufforderung eines Piraten zunächst, mit in das Boot zu steigen. Er ergibt sich erst, als die Situation zu eskalieren droht. Erst dann erklärt er dem Crew-Mitglied Shane Murphy (Michael Chernus): „Denken Sie an die Besatzung. Wir müssen [die Piraten] von Bord schaffen.“
Ob dieser Satz in der Realität genauso gefallen ist, wissen wir nicht. Aber dennoch wird im Film trotz solcher Hollywood-Sätze immer wieder deutlich, dass Richard Phillips erster Impuls nicht ist, sich heroisch für die Besatzung zu opfern. Stattdessen wird gezeigt, dass auch der Kapitän voller Furcht ist. Im Interview mit ABC News erklärt Phillips seine Sicht der Dinge und liefert eine Erklärung, warum er dennoch als Held aus der Geschichte hervorging:
„Die Medien haben alles falsch dargestellt. Ich weiß nicht, wie ich das hätte kontrollieren können. Wenn ich im Rettungsboot bin und die Medien sagen, ich hätte mich dafür geopfert… In meinem Buch steht auch, dass ich mich nicht geopfert habe, ich war ja schließlich schon längst ihre Geisel.“
Das sagt Regisseur Paul Greengrass
Bei einem Reddit-„Ask Me Anything“-Thread geht Paul Greengrass ausführlich auf die Kritik ein, sein Film habe die Vorkommnisse nicht akkurat wiedergegeben. So erklärt er unter anderem, dass er und sein Team jedes Detail der Geiselnahme untersucht und mit jedem Crew-Mitglied geredet hätten. Daher sei er zu 100 Prozent zufrieden damit, wie die Ereignisse im Film wiedergegeben werden – inklusive die Rolle, die Captain Phillips bei dem Vorfall gespielt habe. Greengrass verdeutlicht:
„Die Tatsachen sind klar. Captain Phillips‘ Schiff wurde attackiert und das Schiff, die Crew und die Fracht gelangten wohlbehalten und ohne Verletzungen oder Tote an den Hafen. Auch ist es eine Tatsache, dass Captain Phillips in das Rettungsboot gegangen ist, um sicherzustellen, dass die Crew sicher ist, weil er auf diese Weise sicherstellte, dass kein Pirat mehr auf dem Schiff ist. Und Fakt ist auch, dass Captain Phillips dann fünf Tage die Qual ertrug, in Händen von Entführern zu sein, die ihn beinahe getötet hätten. Das ist die Geschichte, die wir erzählt haben, und die ist korrekt.“
Außerdem erklärt der Regisseur, dass ihm bewusst ist, dass er in einem zwei-Stunden-Film nicht alle Handlungen jedes einzelnen Crew-Mitglieds wiedergeben konnte. Dennoch sei er zuversichtlich, dass er in seinem Werk gezeigt habe, dass die Besatzung auch unabhängig von Richard Phillips heroisch gehandelt habe. Aus diesen und weiteren Gründen steht Greengrass daher zu seinem Film.
Am heutigen Samstag (22. Juni) könnt ihr euch „Captain Phillips“ bei RTL 2 im Fernsehen anschauen und euch selbst ein Bild davon machen, wie heldenhaft der Kapitän dargestellt wird.
Wie viel Prozent Wahrheit in ihm und weiteren Filmen stecken, die auf wahren Begebenheiten beruhen, erfahrt ihr in der unteren Bildergalerie. Die Prozentzahl zeigt, wieviele Ereignisse im Film nachweislich so passiert sind. Die Zahlen stützen sich auf eine Studie von Journalist David McCandless (via Information is beautiful).
Faktencheck: So viel Realismus steckt wirklich in Filmen, die auf einer wahren Geschichte basieren