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    Bezahlt gefälligst für eure Pornos?!

    Auf dem 13. Pornfilmfestival Berlin haben in den vergangenen Tagen zwei spannende Podiumsdiskussionen zum Buzz-Thema „Ethical Porn“ stattgefunden. Eine davon trug den provokanten Titel „Fucking Pay For Your Porn?!“.

    Pornfilmfestival Berlin

    Nach Fairtrade Kaffee und Fairtrade Schokolade ist inzwischen auch Fairtrade Porn schwer angesagt. Aber was genau gehört eigentlich zu einem „ethischen Porno“? Und ist das wirklich mehr als nur ein Marketingbegriff, um dem Konsumenten (und eventuell auch den Machern) ein Stück weit das schlechte Gewissen zu nehmen?

    Im Rahmen des Pornfilmfestival Berlin wurde bei gleich zwei Panels mit diesen Fragen gerungen. Zunächst veranstalteten zwei Darsteller unter dem Titel „Performers Safety And Ethics“ eine Diskussionsrunde mit dem Publikum, bei dem die zahlreichen anwesenden Performer, Produzenten und Regisseure sich in drei Segmenten darüber austauschen konnten, was vor, während und nach einem Pornodreh alles wichtig sei, um speziell aus der Sicht der Darsteller von einem Ethischen Porno sprechen zu können. Dabei wurde unter anderem ein extra Ansprechpartner am Set nur für die Performer vorgeschlagen – eine Maßnahme, die der Bezahlsender HBO zufälligerweise nur einen Tag später bei all seinen Produktionen mit intimen Szenen verpflichtend eingeführt hat.

    Die HBO-Entscheidung passt dann auch zu dem, was sich in allen Diskussionen immer wieder rausgestellt hat: Es gibt nirgendwo einfach nur „die Guten“ (etwa die alternativen, feministischen Produktionen) und „die Schlechten“ (etwa die großen Mainstream-Produzenten). Vielmehr müsse man immer im Einzelfall schauen, was gut läuft und was nicht. Denn oft haben die kleinen, künstlerischen Produktionen zwar die richtigen Ideale, aber zugleich ist es für die großen Produktionsfirmen viel einfacher, verbindliche Standards einzuführen und durchzusetzen. Auch eine faire Bezahlung ist für die großen Player leichter als für kleine, oftmals gar nicht auf Gewinnerzielung ausgelegten Alternativ-Produktionen.

    Applaus statt Tomaten

    Zwei Tage später folgte dann das Berliner Anarcho-Porno-Kollektiv Meow Meow mit einem Vortrag mit dem Titel „Fucking Pay For Your Porn?! A Self-Reflection On Porn Practices“. Nun ist das Wort „Selbstreflexion“ im Namen einer Veranstaltung eigentlich ein sicheres Zeichen dafür, dass man hier möglichst schnell das Weite suchen sollte. Schließlich läuft das meistens nach demselben Muster ab, das auch dem alten Vorstellungsgespräch-Gag zugrunde liegt, wo der Bewerber auf die Frage nach seinen Schwächen antwortet: „Meine größter Fehler ist, dass ich zu perfekt bin.“

    Aber weit gefehlt. Mit welcher argumentatorischen Klarheit die Meow-Meow-Akteure anschließend verschiedene (Werbe-)Begriffe und Forderungen wie eben „Ethical Porn“, aber auch „Authentizität“ und „Fucking Pay For Your Porn!“ mindestens in Frage gestellt (und eigentlich sogar als zu unpräzise oder gar irreführend entlarvt) haben, spricht tatsächlich für eine sehr ehrliche und sehr ausführliche Selbstreflexion. Dabei hatte der zugleich sehr pragmatische und nicht irgendwie idealistisch-abgehobene Vortrag (auf den sich dieser Artikel in den folgenden Absätzen hauptsächlich beziehen wird) nie den Tonfall einer Abrechnung, sondern eher den einer Aufklärung. Jede Menge Denkanstöße statt einfacher Antworten!

    Viele Macher der überwiegend alternativen, queeren Filme im Festivalprogramm würden sich wohl selbst als „Ethische Pornofilmer“ bezeichnen. Dazu kommt das erste Panel, in dem nach den richtigen Zutaten für einen solchen „Ethischen Porno“ gefahndet wurde. Und dann diese zweite Veranstaltung, wo mit gerade diesem Begriff erst mal so richtig aufgeräumt wurde. Es ist sehr sympathisch, dass die Festivalveranstalter solche Widersprüche zulassen und aushalten. Kein Vergleich zu den nur zur eigenen Rückversicherung dienenden Moraldiskussionen auf vielen anderen Filmfestivals, wo Diskussionen zu Themen von #MeToo bis zur fairen Bezahlung von Festivalmitarbeitern meist nach einer ersten provokanten Eröffnungsfrage direkt in einen nichtssagenden Eiertanz abgleiten. Am Ende gab es für Meow Meow großen Applaus. Bei anderen Branchentreffen wären bei einem solch ehrlichen Sich-selbst-infrage-Stellen wohl eher Tomaten geflogen.

    Ethischer Porno

    Im Zentrum des ersten Blocks des Meow-Meow-Vortrags stand wie gesagt der große Modebegriff „Ethical Porn“. Der vortragende Theo Meow erzählte dabei, dass ihm der Begriff von Anfang an Bauchschmerzen bereitet habe, auch weil die Medien eben so rasant darauf angesprungen sind. Die einzelnen Widersprüche des Konzepts hat er aber erst später entdeckt oder erforscht. Visuell eindrucksvoll deutliche machte er dies anhand von zwei Powerpoint-Folien. Auf der ersten wurden all die Sachen aufgezählt, die man gemeinhin mit „Ethical Porn“ in Verbindung bringt, etwa „faire Bezahlung“ oder „keine Frauen degradierenden Sexhandlungen“.

    Meow Meow 2018

    Das klang alles unheimlich logisch und eigentlich auch so, als ob da niemand ernsthaft etwas dagegen haben könnte. Aber es ist wie beim Fairtrade Kaffee – auf den zweiten Blick ergeben sich all diese kleinen Widersprüche hinter der idealischen Idee, die dann auch auf der zweiten Folie mit roter Handschrift als Anmerkungen zu den einzelnen Schlagworten dazu gekrickelt wurden. Am Ende war mehr Rot als Schwarz zu sehen.

    Meow Meow 2018

    Und dabei ging es gar nicht mal in erster Linie um die Anbieter, die den Begriff einfach nur frech als Werbebotschaft missbrauchen (der Begriff ist rechtlich schließlich nicht geschützt und kann von jedem verwendet werden.) Es geht viel mehr um die Widersprüche, die sich selbst dann noch ergeben, wenn es die Beteiligten mit „Ethical Porn“ wirklich ernst meinen. Das geht schon bei der Bezahlung los: Schließlich haben gerade die kleinen, radikalen, feministischen Produktionen oft auch am wenigsten Geld – und so zahlen sie auch schlechter als viele Großproduktionen, die für sich selbst definitiv nicht den „Ethical Porn“-Anspruch erheben würden. Und was ist, wenn man zu viel bezahlt? Werden dann nicht Leute angezogen, die eine solche Summe einfach nicht ablehnen können, obwohl sie eigentlich gar nicht in einem Porno mitspielen wollen? Allein schon die passende Bezahlung zu finden, ist jedenfalls viel härter als man denken würde.

    Ähnliche Überlegungen wurden noch zu vielen weiteren „Ethical Porn“-Grundsätzen angestellt. Alle mit demselben Ergebnis: So einfach oder eindeutig ist das alles gar nicht. Wenn euch das Thema interessiert, hat Meow Meow bereits angekündigt, den kompletten Vortrag demnächst bei sich auf der Website anbieten zu wollen. Dort gibt es dann auch die beiden oben angesprochenen Folien. Auf jeden Fall stand so am Ende das Ergebnis: „Ethical Porn“ sollte kein Begriff sein, den man für das Marketing nach draußen verwendet, dafür ist er viel zu unklar und widersprüchlich. Stattdessen sollte „Ethical Porn“ vielmehr als Grundsatz für die ganze Branche dienen, anhand dessen sich über die eigenen Methoden, Praktiken und Ziele reflektieren lässt.

    Authentizität in Pornos

    Ein weiteres Schlagwort, mit dem ebenfalls immer mehr Pornoanbieter werben (weil eben auch die Nachfrage danach immer stärker wächst), ist der Begriff „Authentizität“. Gemeint sind damit Werbebotschaften wie „reale Leidenschaft, reale Orgasmen“ oder „echte Mädchen von nebenan“. Allerdings steckt hinter dieser „echten Leidenschaft“ für die Performer oft sogar mehr Arbeit. Es gibt etwa einige Produktionsfirmen, die ihre Darsteller (und Regisseure) bei solchen „authentischen Produktionen“ nach einem speziellen Punktesystem bezahlen, bei dem etwa „reale Orgasmen mit sichtbarem Kontrollverlust für x Sekunden“ extra entlohnt werden. Da steht dann hinter der vorgeblichen Natürlichkeit plötzlich ein knallhartes neoliberales Boni-Abrechnungssystem.

    Und auch sonst ist das mit der „Authentizität“ eben so eine Sache. Die vortragende Performerin Candy Flip erzählt etwa, dass sie privat im Bett eher leise sei. Aber um in einem Film „authentische Leidenschaft“ zu transportieren, müsse sie nun mal Stöhnen, was dann aber Schauspielerei und eben kein Einfach-nur-man-selbst-Sein mehr sei. Diese härtere Arbeit würde zugleich aber nicht anerkannt werden, weil es im Idealfall am Ende eben so aussieht, als hätten die Performer einfach nur Spaß vor der Kamera.

    Zu den Pornoanbietern, die ganz besonders mit dem Markenzeichen „Authentizität“ werben, gehören übrigens auch die beiden prominenten Festivalsponsoren Ersties.com und Lustery. Also noch mal Kudos an das Festival, dass so etwas hier möglich ist. (Ich will ja nicht wissen, was Volkswagen dazu sagen würde, wenn ein von ihnen gesponsortes Festival plötzlich ein kritisches Panel zur Dieselaffäre veranstaltet.)

    Fucking Pay For Your Porn!?

    Zurück zum Titel sowohl des Panels als auch dieses Artikels. Speziell im vergangenen Jahr hat sich verstärkt das Argument verbreitet, dass es feministisch sei, für seine Pornos zu bezahlen. Die Mitglieder von Meow Meow sind sich da allerdings nicht ganz so sicher, weshalb sie dem Slogan „Fucking Pay For Your Porn!“ noch ein vielsagendes Fragezeichen hinzugefügt haben. Das Bestehen auf das Bezahlen sei nämlich zugleich auch klassistisch. Schließlich könne nicht jeder für seine Pornos bezahlen, die dann zu einem Luxusgut nur für die elitäre Klasse würden. (Mal ganz abgesehen davon, dass speziell in Deutschland nur jeder Dritte eine Kreditkarte besitzt, die man in den allermeisten Fällen aber unbedingt braucht, um für Pornos zu bezahlen, weil etwa PayPal eine Zusammenarbeit strikt ablehnt.)

    Für Meow Meow ist es deshalb okay, dass man ihre Pornos stiehlt, wenn man sie sich nicht leisten kann. Nur sie weiter zu verteilen oder gar selbst durch eigene Uploads mit ihn Geld zu verdienen, ist natürlich nicht in Ordnung. Ebenso wenig gelten lassen die Mitglieder das Argument, dass Leute Pornoproduktionen aus moralischen Gründen nicht finanziell unterstützen wollen. Und dass so ein Verhalten tatsächlich ziemlich verlogen wäre, leuchtet ja wohl auch jedem ein: Wer Pornoproduktionen moralisch ablehnt, der sollte sie sich aber bitteschön auch gar nicht erst ansehen.

    In der anschließenden Fragerunde schien es dann alllerdings ziemlich einhellige Unterstützung für den Vorschlag zu geben, statt dem Slogan „Fucking Pay For Your Porn“ lieber den ebenfalls an die grüne Bewegung angelehnten Hashtag #SupportYourLocalPornographer zu verwenden.

    Presse und Porno

    In einem dritten Panel ging es wiederum um die Frage, wie alternative Pornomacher mit der Presse umgehen sollten. Schließlich sind Themen wie „Feministische Pornos“ gerade auch im Mainstream schwer angesagt. Zugleich haben Porno und Presse aber auch eine Geschichte voller Missverständnisse hinter sich. Und die erste Frage der Moderatorin ging dann auch in die Richtung, dass die Teilnehmer der Diskussion doch mal von ihren (schlimmen) Erfahrungen mit der Presse erzählen sollten. Ich selbst hab mich in dem Moment schon mal innerlich auf 90 Minuten Trump’sche Presseschelte von links eingestellt. Aber Pustekuchen! Statt sich vor Publikum mal so richtig über die doofe, undifferenzierte Presse auszukotzen, folgte eine erstaunlich produktive und differenzierte Diskussion mit vielen pragmatischen Tipps, um dem Presseansturm standzuhalten und die lohnenswerten von den fragwürdigen Anfragen zu unterscheiden.

    Die verschiedenen Diskussionen und Tipps im Umgang mit Journalisten jetzt hier einzeln auszuführen, wäre wohl zu sehr Inside Baseball. Zudem hat die presseverantwortliche Produzentin der queeren Porno-Produktionsfirma Pink & White Productions aus San Francisco versprochen, demnächst ein vollständiges Transskript der Veranstaltung bei sich auf der Website zur Verfügung zu stellen. Deshalb an dieser Stelle nur so viel dazu: Wer zwischen Trump und GroKo seinen Glauben an die Gesellschaft zu verlieren droht, der sollte dann spätestens im nächsten Jahr mal beim Pornfilmfestival Berlin vorbeischauen. Ein wirklich guter Ort, um ihn wiederzufinden. Und jede Menge Ponos gibt’s noch obendrauf.

    Update:

    Inzwischen gibt es den vollständigen Vortrag von Meow Meow auch als Video: 

    Das Pornfilmfestival Berlin, ein alternatives, unabhängiges Filmfestival rund um die Themen Sexualität, Politik, Feminismus- und Genderfragen, findet jährlich in den Berliner Kinos Moviemento, Babylon Kreuzberg und Spektrum statt. Alle weiteren Infos findet ihr auf der Website des Festivals.

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