Netflix hat im Juli 2018 angekündigt, alle Nutzerkritiken auf der Streaming-Plattform löschen zu wollen. Als Begründung nannten die Verantwortlichen, dass dieses Feature von immer weniger Abonnenten genutzt werden würde. Mitte August wurden die Nutzerkritiken dann wie angekündigt vollständig entfernt.
So weit die Fakten, über die wir bei der Ankündigung und der Umsetzung auch jeweils berichtet haben.
Wer die offizielle Begründung nun in Frage stellt
Der Autor Andy Meek hat sich nun auf dem reichweitenstarken Technikportal Boy Genius Report (bgr.com), das abgesehen von einer gewissen Apple-Hörigkeit bisher nicht durch schlechten Journalismus aufgefallen ist, am 8. September ebenfalls mit dem Thema Netflix-Nutzerkritiken auseinandergesetzt. Dabei stellt er unter der Überschrift „Coincidence? Netflix killed user reviews right after bad scores piled up for Netflix originals” die These auf, dass die offizielle Begründung für den Schritt womöglich nur die halbe Wahrheit ist. Anschließend legt er anhand einer Datenauswertung von Cordcutting.com dar, dass in den vergangenen sechs Jahren die Nutzerwertungen für Netflix-Originale immer weiter runtergegangen sind.
Zwar würden einige Original-Formate immer noch sehr gut bewertet werden, aber die durchschnittliche Wertung ist von 4,2 von 5 Sternen im Jahr 2012 auf nur noch 3,2 von 5 Sternen im Jahr 2018 sehr deutlich gesunken. Nun will Netflix im Jahr 2018 bekanntermaßen mehr als zwölf Milliarden Dollar für Original-Content ausgeben – und da könnten dem Unternehmen die schlechten Nutzerkritiken natürlich ein schmerzhafter Dorn gewesen sein, den man nun elegant von seiner Plattform verbannt hat.
Was ist davon zu halten?
Der von Cordcutting.com festgestellte Abfall der Nutzerwertungen für Netflix-Originale scheint zu stimmen und stimmig. Schließlich hat Netflix zunächst ja auch nur ausgewählte Prestige-Serien produziert, während das Streaming-Portal inzwischen – inhaltlich wie qualitativ – deutlich breiter gestreute Produktionen als Netflix-Originale veröffentlicht. Im Schnitt schlechtere Wertungen ergeben also absolut Sinn und es gibt auch sonst keinen Grund, an der Datenerhebung abgesehen von den üblichen Messabweichungen zu zweifeln.
Dass Andy Meek aber diese Entwicklung ohne weitere Anhaltspunkte mit der Entscheidung von Netflix zusammenbringt und diese unkommentiert nebeneinander stehenlässt, erscheint uns journalistisch mindestens fragwürdig und als kaum mehr als eine rausgeblasene Verschwörungstheorie. Es ist sicherlich eine interessante Korrelation – und bei einem Interview mit einem Netflix-Verantwortlichen wäre es durchaus redlich, da mal nachzuhaken, ob die schlechter gewordenen Netflix-Original-Wertungen nicht auch zu der Entscheidung beigetragen haben könnten. Aber darüber hinaus wurde hier ein Artikel auf halber Strecke zur fertigen Story frühzeitig rausgehauen.