Es war kein guter Start für die Netflix-Serie „Insatiable“: Schon als der erste Trailer erschienen ist, wurde auf der Plattform Change.org eine Petition ins Leben gerufen, die forderte, das satirische Format nicht zu veröffentlichen. Über 232.000 Menschen haben sie bereits unterzeichnet (Stand: 17. August 2018, 18.00 Uhr) – und täglich kommen weitere Unterstützer dazu, obwohl die Serie mittlerweile planmäßig auf Netflix gestartet ist. Der Vorwurf lautet heruntergebrochen: Fat-Shaming. Aber nach der ersten Folge kann ich sagen: „Insatiable“ hat weit mehr Probleme...
Die vielen anderen Ärgernisse von „Insatiable“, auf die ich später eingehen werde, haben auch die Kritiker erkannt. Das Echo in der Fachpresse ist größtenteils vernichtend. Auf der Kritikensammelseite Metacritic wird aus 14 Rezensionen ein miserabler Score von 23 von 100 möglichen Punkten errechnet, bei Rotten Tomatoes werden nur 11 Prozent der berücksichtigten Artikel als positiv eingestuft. Die Zuschauer hingegen scheinen die Serie zu feiern: Ganze 7,5 von 10 Punkten schenken sie dem grausigen Werk auf Metacritic. Auch auf IMDb gibt es Lob von vielen Usern, insgesamt kommt die Serie dort auf eine Wertung von soliden 6,9 von 10 bei über 5.000 abgegebenen Stimmen. Wie um Himmels Willen kann das denn nur sein?
Worum geht es in "Insatiable"?
Die Teenagerin Patty (Debby Ryan) wird aufgrund ihres Übergewichts von ihrem Umfeld gemobbt und niedergemacht. Als sie nach einem Zwischenfall massiv abnimmt, setzt sie sich das Ziel, grausame Rache an allen Menschen zu üben, die ihr jemals wehgetan haben. Außerdem will sie mit der Unterstützung des Anwalts Bob Armstrong (Dallas Roberts) an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen...
Achtung: Ab hier gibt es einige Spoiler zur ersten Folge von „Insatiable“.
Die WTF-Momente
Kurz zur Erklärung: Es gibt nicht genug Zeichen, um zu beschreiben, auf wie vielen Ebenen „Insatiable“ verkehrt ist. Doch ich probiere es mit einigen What-The-Fuck-Momenten, die mich während der ersten Folge überkommen und die dazu geführt haben, dass ich keine weitere Episode mehr sehen möchte. Da wäre erst einmal der Fat-Suit, den Schauspielerin Debby Ryan als Patty zu Anfang der Serie trägt. Ich verstehe ja, dass die Macher die Protagonistin dicker darstellen müssen, um zu zeigen, wie ihr Umfeld sie aufgrund ihres Übergewichts mobbt. Allerdings wirkt es eher, als würden sie den Umstand nutzen, um daraus Gags zum Selbstzweck zu generieren, und sich so vielmehr selbst über ihre Protagonistin lustig machen. Düstere Komödie hin oder her. In jeder Mobbing-Szene schwingt Hohn mit und man kann das Leid eines jungen Mädchens, das aufgrund ihres Aussehens gemobbt wird, nicht ernst nehmen. Genau darauf versucht die Serie allerdings aufzubauen. Pattys daraus resultierenden Rachegelüste sind folglich nur bedingt nachvollziehbar.
Patty ist aus heiterem Himmel dünn, quasi fast von einer Szene zur nächsten. Voilá, so schnell geht das. Zum Verständnis: Nachdem ein Obdachloser sie unsensibel auf ihr Gewicht anspricht, schlägt sie ihm ins Gesicht, woraufhin er zurückschlägt und ihr den Kiefer bricht. Das führt dazu, dass sie einige Wochen nur Flüssignahrung aufnehmen kann und eine Top-Figur bekommt. Ihr Anwalt Bob (Dallas Roberts) verleitet sie zu einer Falschaussage, weil er in ihr eine neue Schönheitskönigin sieht, die seine Karriere pushen könnte. Und Schönheitsköniginnen brauchen eine weiße Weste! Patty lässt sich unhinterfragt dazu verleiten, vor Gericht zu lügen und zu sagen, sie hätte aus Notwehr gehandelt. Denn hey, der obdachlose Mann hat sie ja zuvor unfreundlich auf ihr Gewicht angesprochen und ist sowieso ‚nur‘ ein Obdachloser, von dem sie sich gar nichts sagen lässt. So ähnlich formuliert es das Mädchen jedenfalls. Die Teenagerin kämpfte zwar selbst immer damit, aufgrund ihres Aussehens abgewertet zu werden, hat aber kein Problem damit, andere abzuwerten.
Ein weiterer „Das ist nicht ihr ernst!“-Moment ergibt sich durch die unsympathische Regina Sinclair (Arden Myrin). Sie beschuldigt Bob fälschlicherweise und vollkommen spontan, eine Schönheitskönigin-Kandidatin unsittlich berührt zu haben. Das ist ein sehr sensibles Thema, das besonders in Zeiten der #metoo-Debatte furchtbar gedankenlos von den Machern angegangen wird. Denn der Umgang schürt den Generalverdacht, Frauen würden sich Missbräuche nur ausdenken, um Männern zu schaden. Das Frauen- und Männerbild ist ohnehin eine Katastrophe: Frauen geizen nicht mit ihren Reizen, um zu bekommen, was sie wollen (wie zum Beispiel Pattys Mutter, als sie Bob darum bittet, ihre Tochter vor Gericht zu vertreten) und Männer werden sogleich dumm und willenlos, sobald ihnen ein weibliches Wesen schöne Augen macht. Haben wir das Klischée nicht schon längst hinter uns gelassen?
Neben Patty gibt es da ihre alkoholkranke Mutter Angie (Sarah Colonna), die zumindest in der ersten Folge nur am Rande wichtig ist, damit Patty mit ihr zu einem Anonyme-Alkoholiker-Treffen gehen kann (warum eigentlich?). Denn dort trifft das Mädchen den Obdachlosen zufällig wieder, der sie zuvor geschlagen hat (nachdem sie ihn geschlagen hat) und beschließt plötzlich, sich von ihm entjungfern zu lassen, damit er sich in sie verliebt und sie ihn zurückweisen kann. Welch grandioser Racheplan! Den Sex lässt die Teenagerin dann aber doch sein – nur um sich ernsthaft zu überlegen, ihn ANZUZÜNDEN!?
Was ist aus dem „Charmed“-Star Alyssa Milano geworden? Sie spielt Coralee, die Ehefrau von Bob. Das, was wir in der Pilotfolge über ihre Persönlichkeit erfahren, beschränkt sich vor allem darauf, dass sie eine Krebsstiftung gegründet hat, nur um in die High-Society zurückzukehren (und vermutlich nicht, um ihrer Schwiegermutter zu gedenken). Mit einer Benefizgala will sie auf Analkrebs aufmerksam machen. Der einzige Mensch, dem das aber wirklich wichtig zu sein scheint, ist Bob, dessen kurze Rede mit unnötigen Doppeldeutigkeiten von Regina Sinclairs Furzgeräuschen unterbrochen wird. Ob sich die Macher auch gleichermaßen getraut hätten, Brustkrebs oder Hirntumore ins Lächerliche zu ziehen?
Keine weitere Folge mehr sehen...
Unterm Strich lässt sich sagen: Keine einzige Figur ist sympathisch! – Und nein, ich möchte mich nicht durch eine weitere Folge quälen müssen, bis mir irgendwer ans Herz wächst. Denn die Figuren wirken nicht mehrdimensional, sondern leer, rachsüchtig und nur an der Oberfläche empathisch. Im Allgemeinen findet die Serie nicht die richtige Balance zwischen Ernst und Komik. Es spricht nichts dagegen, ernste Themen mit Humor zu nehmen und auch der Verarbeitung schwerer Probleme kann es durchaus dienen, etwas auf die Schippe zu nehmen, Satire darf ja bekanntlich (so ziemlich) alles. Aber in „Insatiable“ wird sich derart hässlich über Menschen und Schicksale lustig gemacht, dass jeglicher satirische Ansatz verpufft. Das geschieht alles unter dem Vorwand, gegen Mobbing und für die Stärkung von vielfältigen Körperbildern einzutreten, doch wird am Ende aufgrund des fehlenden Fingerspitzengefühls leider genau der gegenteilige Eindruck erweckt.
Es werden allein in der ersten Folge so viele Themen in einen Topf geworfen (die hier nicht alle erläutert sind) – und kein einziges erfährt eine würdige Annäherung: Mobbing, falsche Anschuldigungen der sexuellen Belästigung, Falschaussagen vor Gericht, Krebs, Abwertung von bestimmten Menschengruppen, Alkoholismus, Homosexualität und zuletzt gar Suizid. Alles greift die Serie in der ersten Folge leichtfertig auf, ohne wirklich etwas damit anzufangen oder daraus ziehen zu können. Was bleibt, ist ein oft bitterer (und unnötiger) Beigeschmack von Spott.