Mein Konto
    "Im Herzen der See": Wurden die Überlebenden der Katastrophe wirklich zu Kannibalen?

    Mit „Im Herzen der See“ verfilmte Ron Howard eine tragische wahre Geschichte, auf der auch „Moby Dick“ basiert. Doch wurden die Überlebenden des Essex-Unglücks tatsächlich zu Kannibalen, wie im Film geschildert?

    Warner Bros

    In Ron Howards Abenteuer-Drama „Im Herzen der See“ wird das Walfangschiff Essex im Jahr 1820 von einem Wal angegriffen und versenkt. Doch das ist nur der Anfang einer tragischen Geschichte: In der Folge treiben die Überlebenden der Katastrophe auf der Suche nach Rettung für mehrere Monate in kleinen Beibooten über den Ozean, leiden unter Wasser- und Nahrungsmangel, der Einsamkeit sowie der unerbittlich brennenden Sonne. Und schließlich kommt es zur vielleicht traurigsten Szene des Films: Nachdem sie zuvor schon die Überreste der Verstorbenen verspeisten, losen die letzten Überlebenden aus, wer sein Leben lassen und den anderen als rettende Nahrung dienen soll. George Pollard (Benjamin Walker), Kapitän der gesunkenen Essex zieht das kürzeste Los, doch sein Cousin Owen Coffin (Frank Dillane), opfert sich an seiner statt.

    Warner Bros.

    Aber sind diese Ereignisse nur zugunsten der Dramatik des Hollywood-Blockbusters aufgebauscht oder vergriff sich die Besatzung des Walfängers tatsächlich an den Leibern ihrer Kameraden, um ihr eigenes Leben zu retten und loste sogar aus, wen es treffen soll?

    Die Wahrheit hinter "Im Herzen der See"

    Auch wenn man es stellenweise gar nicht glauben will, sind die in „Im Herzen der See“ geschilderten Ereignisse tatsächlich größtenteils authentisch. Der Film basiert auf dem Sachbuch „In the Heart of the Sea: The Tragedy of the Whaleship Essex“ von Nathaniel Philbrick, welches wiederum hauptsächlich auf zwei Augenzeugenberichten basiert: Zum einen auf einem Bericht des Schiffsjungen Thomas Nickerson (in jung gespielt von Tom Holland), der seine Erinnerungen Jahre später zu Papier brachte, zum anderen auf dem Buch „Narrative of the Most Extraordinary and Distressing Shipwreck of the Whale-Ship Essex“ des ersten Maats Owen Chase (Chris Hemsworth), welches nur wenige Monate nach dessen Rettung im Jahr 1821 erschien.

    Im Herzen der See

    Natürlich ist heute kaum noch nachvollziehbar, inwiefern beide ihre Geschichten damals schon frisierten, dennoch kann man aus den Übereinstimmungen und weiteren Augenzeugenberichten relativ sichere Schlüsse ziehen. So lässt sich wohl vor allem eines zweifellos bestätigen: Die wenigen und mittlerweile in zwei voneinander getrennten Booten herumtreibenden überlebenden Männer hörten auf, die Toten der See zu übergeben, als der Hungertod schon an die Planken klopfte, und verspeisten sie stattdessen. Auf dem Boot, auf dem zuletzt (wie auch im Film) Kapitän Pollard, dessen 17-jähriger Cousin Owen Coffin sowie die Matrosen Charles Ramsdell und Barzillai Rai ihrem Ende entgegensahen, wurde sogar tatsächlich gelost. Auch in Wirklichkeit wurde Owen Coffin erschossen und verspeist – sein ehrenhaftes Selbstopfer entspringt hingegen wohl dem Drehbuch von Charles Leavitt („Blood Diamond“).

    Warner Bros.

    Doch während es schon im Film nicht leicht ist, die vollständig ausgemergelten Seemänner kurz vor ihrer Rettung mit sonnengegerbter Haut und verfilzten Haaren zu sehen, wie sie vor sich hin vegetieren oder flimmernden Wahnvorstellungen verfallen, war die Realität noch viel, viel grausamer. Den erlösenden Moment, in dem Pollard und Ramsdell, die letzten beiden Verbliebenen in einem der Boote, von einem anderen Schiff gefunden werden, beschreibt Nathaniel Philbrick mit den folgenden, grausamen Worten:

    „Der Crew des Walfängers Dauphin bot sich ein grauenvolles Bild: Menschenknochen übersäten die Planken des Boots, das die Seefahrer kurz zuvor in der Dünung gesichtet hatten. Zwei ausgemergelte Gestalten kauerten in Bug und Heck. Die Haut mit Geschwüren übersät, nagten die Schiffbrüchigen mit hohlwangigen Gesichtern an den Knochen ihrer toten Kameraden. Selbst als schon die Retter herbeieilten, wollten sie nicht von ihrem grausigen Mahl lassen.“

    Basiert "Moby Dick" wirklich auf der Geschichte?

    In „Im Herzen der See“ wird zudem auch impliziert, dass der Klassiker „Moby Dick“ auf der Geschichte rund um die Essex und ihre Besatzung basiert. Im Film wird das dadurch dargestellt, dass Herman Melville (gespielt von Ben Whishaw) den Überlebenden Thomas Nickerson (in alt: Brendan Gleeson) aufsucht und ihm seinen Erlebnisbericht abkauft. In der letzten Szene sieht man dann, wie er den berühmten ersten Satz seines Walfang-Epos zu Papier bringt: „Nennt mich Ismael.“

    Warner Bros.

    Und tatsächlich kann man sagen, dass „Moby Dick“ zumindest zum Teil auf der Katastrophe rund um die Essex basiert: Statt Thomas Nickerson traf der damals selbst als Seemann tätige New Yorker um 1840 herum Owen Chase und zudem auch dessen Sohn, von dem Melville schließlich ein Exemplar von Chase‘ Essex-Buch erhielt. Davon inspiriert und unter Einbezug seiner eigenen Erfahrungen als Seefahrer, vor allem der als Walfänger, sowie weiterer Berichte nautischer Ereignisse, begann Melville 1850 mit der Arbeit an seinem Opus magnum, das im Jahr darauf schließlich erschien – und sich bis zum Tod des Autors im Jahr 1891 nur rund 3.000 Mal verkaufte.

    Ron Howards „Im Herzen der See“ mit Chris Hemsworth, Tom Holland, Cillian Murphy, Brendan Gleeson und Ben Wishaw läuft am heutigen Sonntag, den 22. Juli 2018, um 20:15 Uhr auf SAT.1.

     

    facebook Tweet
    Ähnliche Nachrichten
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top