Platz 73: „Die Reise nach Tokio“
(Yasujirô Ozu, Japan 1953)
„Die Reise nach Tokio“ ist nicht nur das bedeutendste, sondern auch das beste Werk im herausragenden Filmoeuvre des eigenwilligen japanischen Meisterregisseurs Yasujiro Ozu („Später Frühling“, „Ein Herbstnachmittag“). Das Melodram aus dem Jahr 1953 schildert die Reise des alten Ehepaares Shukichi (Chishû Ryû) und Tomi Hirayama (Chieko Higashiyama), die aus der Provinz in die Hauptstadt Tokio kommen, um ihre Kinder Kōichi (Sô Yamamura) und Shige (Haruko Sugimura) zu besuchen. Die bringen jedoch nur wenig Zeit und Aufmerksamkeit auf, um ihren Eltern den Aufenthalt angenehm zu machen. Ozu thematisiert elegant die Entfremdung von Generationen, von Jung und Alt, und dokumentiert subtil die Diskrepanzen zwischen Stadt und Land, die gesellschaftlich immer mehr auseinanderdriften. Es ist eine ganz einfache Geschichte, aber wie diese erzählt wird, macht aus dem Familiendrama ein stilles Meisterwerk. In seinem typischen Stil mit der Kamera auf Augenhöhe der landestypisch auf dem Fußboden hockenden Schauspieler fängt Ozu in langen ruhigen Einstellungen subtil die Feinheiten der familiären Kommunikation ein. Zwischen enttäuschten Erwartungen und unerwartetem Unbehagen, zärtlicher Zuneigung und vertrauensvollem Verständnis entfaltet sich ein tief bewegendes Porträt japanischer Verhältnisse in den 1950ern, das in seiner menschlichen Wahrhaftigkeit bis heute das Publikum auf der ganzen Welt berührt.