Platz 88: „Angst essen Seele auf“
(Rainer Werner Fassbinder, Deutschland 1974)
Als Rainer Werner Fassbinder 1982 im Alter von nur 37 Jahren starb, hinterließ er ein Gesamtwerk von mehr als 30 Kinofilmen, dazu kamen zahlreiche Fernseh- und Theaterarbeiten. In seinem Schaffensdrang wie in seinem künstlerischen Anspruch kannte er keine Kompromisse und keine Schonung – auch nicht sich selbst gegenüber. Diese Unbedingtheit prägt auch das sozialrealistische Melodram „Angst essen Seele auf“, die Geschichte der unglücklichen Liebe zwischen Emmi (Brigitte Mira), einer deutschen Putzfrau jenseits der 60, und dem etwa 30 Jahre jüngeren marokkanischen Gastarbeiter Ali (El Hedi Ben Salem). Fassbinder schenkt seinen Protagonisten Momente voll utopischer Kraft, Innigkeit und Glück, aber er zeigt uns auch mit brutaler Direktheit die Vorurteile, den Rassismus und die Borniertheit, die die Romanze nahezu unmöglich machen. Eine der schockierendsten Sequenzen ist jene, in der Emmi Ali ihrer Familie vorstellt, worauf einer der Verwandten mit wütenden Fußtritten den Fernseher zertrümmert – zugleich ist das auch eine von vielen Reminiszenzen an das Hollywood-Melodram „Was der Himmel erlaubt“ des von Fassbinder bewunderten Douglas Sirk, das für „Angst essen Seele auf“ Pate stand. Wer an solchen Quervergleichen Spaß hat, der kann auch noch Todd Haynes' vierfach oscarnominierten „Dem Himmel so fern“ von 2002 dazu nehmen, einem Quasi-Remake des Sirk-Films, in dem aber auch zahlreiche Echos von Fassbinders Werk anklingen.