Ist der Superheldenfilm tatsächlich dem Untergang geweiht? Gerade nach dem Flop von „Fantastic Four“ (mit einem weltweiten Einspiel von nur 165 Million Dollar blieb die 130 Millionen Dollar schwere Produktion deutlich hinter den Erwartungen von 20th Century Fox zurück) gab es auf etlichen Internetportalen wieder Diskussionen darüber, ob das nicht schon der Anfang vom Ende für Comic-Megaproduktionen sein könnte. Aber nicht nur Kommentatoren und Journalisten, auch einige Hollywoodpersönlichkeiten haben sich zu dem Thema zu Wort gemeldet, darunter auch Steven Spielberg, der mit Filmen wie „Der weiße Hai“ oder „Jäger des verlorenen Schatzes“ das moderne Blockbuster-Kino selbst mitbegründet hat. Spielberg verglich den Superheldenfilm dabei mit einem anderen, ebenfalls uramerikanischen Genre: „Wir waren dabei, als der Western gestorben ist, und es wird die Zeit kommen, zu der die Superheldenfilme denselben Weg gehen werden.“ Spielberg begründete seine Aussage damit, dass der Zyklus des Superheldenfilms – ähnlich wie einst der des Westerns – einfach irgendwann ablaufen werde: „Es kommt der Tag, an dem diese Art der Geschichten von einem anderen Genre, das wir neu entdecken und über das womöglich ein junger Filmemacher gerade in diesem Moment nachdenkt, abgelöst werden.“
Der Vergleich mit dem Western kommt dabei nicht von ungefähr. Immerhin dominiert der Superheldenfilm aktuell die Blockbuster-Kinolandschaft wie kein zweites Genre; eine Position, die auch der Western (zumindest in den USA) lange Zeit innehatte. Und auch thematisch ist der Superheldenfilm eigentlich nicht mehr als eine mit Fantasy-Elementen angereicherte, zeitgenössische Form des Western: In beiden Genres liegt der Fokus auf einem Heldentypus, der sich im Kampf zwischen Gut und Böse beweisen muss und als moralische Instanz mit außergewöhnlichen Fähigkeiten für das ansonsten ohnmächtige Volk einsteht. Frühe, nicht selten maskierte Westernhelden wie Zorro oder der Lone Ranger sind deutliche Vorbilder für Superhelden wie Batman oder Spider-Man.
Spielberg mag mit seiner These am Ende Recht behalten, dass der Superheldenfilm ebenso wie der Western eines Tages nur noch ein Schattendasein führen könnte, aber es gibt einige Argumente, die zumindest dafür sprechen, dass dies nicht allzu bald der Fall sein wird: Zum einen erlebt der Superheldenfilm nach Startschwierigkeiten in den 80ern („Howard The Duck“) und 90ern („Captain America“) gerade mal seit etwas mehr als einer Dekade – nämlich seit Bryan Singers „X-Men“ im Jahr 2000 – einen derart durchschlagenden Erfolg. Die Western-Regisseure hingegen schlugen in den 60ern und 70ern mit ungeschönten Abgesängen auf den zuvor so sehr romantisierten Wilden Westen selbst die letzten Nägel in den Sarg des Western –selbst wenn zum Ende hin noch einmal Meisterwerke wie „The Wild Bunch“ oder „Zwei Banditen - Butch Cassidy and the Sundance Kid“ heraussprangen. Solche Abrechnungen mit dem eigenen Genre sucht man unter den Superheldenfilmen mit sehr wenigen Ausnahmen („Watchmen“) hingegen noch vergeblich.
Aktuell scheint es auch nur schwer vorstellbar, dass die Studiomaschinerie Hollywoods in nächster Zeit mit ihrem Gelddruck-Genre allzu große Risiken eingehen wird. Erst vergangenes Jahr wurde Edgar Wrights Versuch, mit „Ant-Man“ von der typischen Formel des Marvel Cinematic Universe (MCU) abzuweichen, von Marvel und Disney nur wenige Wochen vor Drehbeginn gestoppt. Und 20th Century Fox entriss während der Produktion Josh Trank den „Fantastic Four“-Reboot, den der Regisseur als dialoglastiges und düsteres Indie-Drama aufziehen wollte. Dass der Film jetzt derart floppte, wird übrigens kaum dazu führen, dass die Studios in Zukunft ihre Regisseure einfach ohne Intervention walten lassen; stattdessen werden sie einfach noch früher eingreifen und eigenwillige Regisseure für die Projekte gar nicht mehr erst in Betracht ziehen. Ohne derlei Risiken wird es also ganz sicher keine plötzliche Talfahrt des Superheldenfilms geben, sondern allenfalls ein schleichend-langsames Abebben.
Zudem sind Iron Man & Co. im Gegensatz zu ihren lassoschwingenden Vorgängern kein vorwiegend amerikanisches, sondern ein absolut globales Phänomen. Und in einer Zeit, in der China auf dem besten Weg ist, die USA als bedeutendster Kinomarkt der Welt zu überholen, sind solch universell funktionierende Helden der feuchte Traum eines jeden Hollywood-Produzenten. Darüber hinaus ist es trotz der gefühlten Omnipräsenz der Superheldenfilme eine falsche Annahme, dass das Genre den Markt gerade wie einst der Western absolut überschwemmen würde. Während in den Hochzeiten des Genres mehr als einhundert Western pro Jahr in die Kinos kamen, gab es zuletzt meist nur in etwa drei bis vier große Superhelden-Blockbuster pro Jahr. Selbst mit dem anstehenden Ausbau des DC Cinematic Universe sowie weiteren geplanten Superhelden-Produktionen von Fox und Sony wird das jährliche Pensum vorerst nicht fünf bis acht Filme überschreiten, was trotz dieser scheinbar beachtlichen Anzahl immer noch weit entfernt ist vom massenhaften Western-Ausstoß in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dafür sorgen bereits die hohen Produktionskosten und die langen Produktionszeiten: Mit durchschnittlichen Kosten jenseits der 100 Millionen Dollar wird es in absehbarer Zeit sicherlich keine Flut an billig runtergekurbelten Superheldenfilmen geben, wie es einst beim Western der Fall war.
Marvel-Chef Kevin Feige hat Spielbergs Stellungnahme übrigens auch erst kürzlich aufgegriffen, sie aber etwas mehr nach seinen eigenen Vorstellungen umgedeutet: „Der Western war 40 bis 50 Jahre populär, und sie tauchen immer noch hier und da mal auf. […] Acht Jahre sind jetzt seit ‚Iron Man‘ und dem Beginn des MCU vergangen. Vielleicht wird das Superheldengenre also noch weitere 42 Jahre durchhalten.“ Wenn Feige mit seiner augenzwinkernden Prophezeiung recht behalten sollte, steht uns also noch fast ein halbes Jahrhundert voller Superheldenfilme bevor. Das mit den Zukunftsvoraussagen ist natürliche immer eine ungewisse Sache, weshalb wir lieber noch einmal zurückblicken auf das Box-Office-Abschneiden der Superhelden-Blockbuster seit „X-Men“, welches gerade in den letzten Jahren eine ziemlich vielsagende Tendenz aufweist: