Kleines Schaf, großer Spaß
Eigentlich finde ich Konsenskino ja eher doof. Wenn alle sich auf etwas einigen können, wenn wirklich alle mit etwas zufrieden sind, dann spricht das ja schon stark dafür, dass bei der Qualität lediglich der kleinste gemeinsame Nenner berücksichtigt wurde. Aber dann kam „Shaun das Schaf“: Kennt jemand ein Kind, das Shaun langweilig findet? Oder einen Erwachsenen, der den fünfminütigen Knetgummi-Abenteuern nichts abgewinnen kann? Es müsste schon ein herzloser Zuschauer sein, denn Shaun ist alles andere als der kleinste gemeinsame Nenner, sondern grandioser, niemals bösartiger Slapstick. Die kurzen Folgen haben die perfekte Länge für ein Betthupferl – bei den Großeltern gibt es jeden Abend zwei davon (jedes Kind darf sich eine Schlafengeh-Episode aussuchen) und dann geht es auch – noch mit Nachkichern im Bauch – sofort ab in die Federn.
Dass sich das schlaue Schaf Shaun, der Bauer, die Schweine und natürlich Wachhund Bitzer sogar einen festen Platz in der „Sendung mit der Maus“ erspielt haben, darf bei der konstant hohen Qualität der Geschichten nicht verwundern. Das britische Animationsstudio Aardman führt mit „Shaun“ seinen Erzählstil fort, den es bereits mit seinen großartigen „Wallace & Gromit“-Kurzfilmen sowie den urkomischen „Creature Comforts“-Clips perfektioniert hat. Noch wichtiger sind im Hause Aardman aber die starken Charaktere, deren Vielschichtigkeit hinter der schlichten Oberfläche der animierten Knetfiguren zunächst verborgen bleibt. Auch bei „Shaun“ erschließt sich ihre Tiefe erst nach einigen Folgen, aber dann sind Shaun, Bitzer und der Bauer auf einmal so lebendig geworden, dass man ihre kleinen Missgeschicken und Sorgen - selbst wenn es, das ist natürlich klar, unweigerlich gut ausgeht - plötzlich mit echter Anteilnahme verfolgt. Und das, obwohl niemals ein Wort gesprochen wird: Nicht zuletzt aufgrund dieser Kunst der nonverbalen und deshalb jedem verständlichen Ausdrucksweise ist „Shaun“ zu einem der international erfolgreichsten Dauerbrenner im Familienfernsehen aufgestiegen.
Trotzdem ist die Serie aber auch fest in ihrem Heimatland verankert, aus jedem Bild tropft ein wenig Britishness. In der neuesten Staffel „Der falsche Hund“, die am heutigen Freitag auf DVD erscheint, rücken in vielen Episoden die Menschen – vor allem also der Bauer und seine Eitelkeiten – ein wenig mehr in den Vordergrund, als das sonst üblich war. Und so geht es neben dem typischen Schaf-Slapstick eben auch mal um einen Hundeschönheitswettbewerb, wie er britischer kaum sein könnte. Die meisten Abenteuer spielen sich aber immer noch auf dem Hof ab und natürlich sind auch die Hühner, die Schweine und der Stier (also die kleinen Bösewichte im Shaun-Universum) wieder mit von der Partie.
Sicherlich erfindet „Shaun das Schaf“ das serielle Erzählen nicht neu, aber es gelingt hier mit verdichteten Fünfminutenfolgen und obwohl sich in der Welt nicht viel verändert, vollständig ausgestaltete Charaktere entstehen zu lassen. Aber während die Protagonisten in den kurzen Episoden schlicht und einfach bleiben dürfen, gerade das macht sie ja für Kinder so zugänglich, wird es spannend sein zu beobachten, wie Shaun und seinen Hofgenossen im kommenden Jahr der Sprung auf die große Leinwand und damit ins längere Spielfilmformat gelingen wird. „Shaun das Schaf – Der Film“ startet hierzulande nämlich schon am 19. März 2015 in den Kinos.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.