Mit Superman durchs wilde Kurdistan
Wir neigen ja dazu – ich nehme mich davon selbst nicht aus –, unseren Kindern lieber Filme zu zeigen, in denen die Welt noch in Ordnung ist und bleibt. Und gerade für jüngere Kinder ist es tatsächlich mehr als angemessen, sie nicht mit Fragen von Leben und Tod zu konfrontieren, mit denen sie noch nicht umgehen können: Meine eigenen haben es ja schon als kleinen emotionalen Weltuntergang empfunden, dass sich Mogli am Ende von „Das Dschungelbuch“ von Baghira und Balu trennt. Aber dieses Heile-Welt-Vorgaukeln ist nur eine Weile lang eine gute Idee und die Vorstellung, man müsse Kinder beim Umgang mit Medien immer in Wattebäuschchen einpacken, finde ich eher schrecklich; am Ende der Grundschulzeit ist ihnen „der Ernst des Lebens“ sicherlich eh schon in der einen oder anderen Form bewusst geworden. Für mich selbst war etwa „Stand By Me“ so ein Ernst-des-Lebens-Film – da geht es um ein Gemeinschaftsabenteuer, aber auch schon ums Erwachsenwerden, das Leben und sogar den Tod. Und im Gegensatz zur überkomplexen Realität können Filme als moderne Mythen solche Themen auch schon für Kinder greifbar machen.
Die finnisch-irakisch-schwedische Koproduktion „Bekas“, die an diesem Freitag auf Blu-ray und DVD erscheint, ist ebenfalls ein solches Werk: kein Film für Grundschüler oder emotional sensible Kinder, erzählt er doch eine klare und kindertaugliche Geschichte, in der auch große, sonst schwer verdauliche Themen angegangen werden. Zwei kurdische Brüder, arme Waisenkinder, erhaschen im Nordirak des Jahres 1990 durch das Dachfenster eines Kinos einen flüchtigen Blick auf Richard Donners „Superman“. Verzaubert von der Traumfabrik Hollywood zieht es sie fortan in die Ferne, hinaus aus ihrer Gegenwart in die „große Stadt“ Amerika, in der Superman lebt. Auf ihrer Weltkarte ist das nur eine Handbreit weit entfernt, von der Größe von Kontinenten und Ozeanen wissen sie noch nichts.
So wird aus „Bekas“ nach einführenden Alltagsschilderungen schnell ein waschechtes Roadmovie: Die zwei Jungen und ihr Esel Michael Jackson machen sich auf den Weg, ausgestattet mit Brot, Wasser, einem Medaillon und reichlich Sehnsucht. Dabei verrät der ältere Dana seinem siebenjährigen Bruder Zana nicht, dass er in Wahrheit einem Mädchen hinterherreisen möchte, dessen Familie auch nach Amerika auswandert. Auf ihrem Weg treffen die auf sich allein gestellten Brüder keinesfalls nur hilfsbereite Menschen, sie werden auch mit der Gleichgültigkeit der Gesellschaft ihnen gegenüber konfrontiert. Und das ist nicht das einzige Thema, über das man nach (oder besser noch: vor) dem Film mit seinen Kindern sprechen sollte.
Es hilft nämlich, wenn der Nachwuchs zumindest ein wenig über Saddam Hussein weiß, wer dieser Mann war und warum ihn die Kurden nicht mochten. Und es schadet auch nicht (dazu gibt es übrigens eine tolle „Geolino“-Kinderreportage), schon einmal von Tretminen gehört zu haben. Eine solche spielt am Ende von „Bekas“ nämlich eine zentrale Rolle (die finale halbe Stunde ist insgesamt sehr dramatisch und aufregend, aber keine Sorge, es geht gut aus). So blickt der autobiographisch gefärbte Film von Regisseur Karzan Kader in eine raue, rohe Welt, in der Kinder wie selbstverständlich geschlagen werden, dann aber auch ganz unerwartete Freundschaften und Allianzen immer wieder Hoffnung spenden.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.