Allociné: Was hat Sie an dem Projekt gereizt? Normalerweise sind Sie ja eher in dem Thriller- und Krimifach einzuordnen...
: Ich liebe es, Polizeithriller oder Rotlicht-Milieufilme wie zum Beispiel zu drehen. Da kann ich "Kino" machen. Und zwar im Sinn von Godards Unterscheidung von "Kino" und "Film". Ich sehe im Thriller-Genre die Chancen zur Suche nach Stil, zu erzählerischer Konsequenz und zu einer Art intellektuellen Subkultur. Ganz egal ob ich dabei hauptsächlich fürs TV arbeiten muss. Was man dagegen allgemein heute "Kino" nennt, egal ob kommerziell oder künstlerisch gemeint, das ist in meinen Augen nur eine Ansammlung von thematisch austauschbaren Festivalfilmchen.
Der "Kakadu" war für mich von Anfang an eine Ausnahme. Ein echter und mutiger Kinostoff, der keine Lehrmeinung zur DDR zu verkaufen hatte. Denn der Film schildert im Grunde nur einen Moment der Hoffnung, einen kleinen "Summer of Love" in der DDR 1961, der dann mit dem Mauerbau in jeder Hinsicht ein Ende nimmt. Er erzählt eine kleine Liebesgeschichte in einem Moment, in dem die Zeit still zu stehen scheint, während die große Historie schon zum nächsten Schlag ausholt. Und es waren wunderbare Menschen, die in dem Drehbuch geschildert wurden.
Der Film beginnt mit heiterer russischer Musik. Sie setzt dann im Film später an Stellen, wie zum Beispiel jener der Schlägerei im Park, ein. Auch die russischen Tänze wirken sehr belustigend. Wollten Sie damit die Umstände in der damaligen DDR karikieren?
Jede Jugend hat das Recht, die selbst angemaßten Autoritäten, die sich ihnen vor die Nase setzen, wenigstens bis auf die Knochen zu verspotten: die Politiker, die Lehrer, die Eltern, die Staatsdiener - ob sie nun prügeln wie in der DDR oder ob sie vorwiegend Steuern eintreiben und in Talkshows rumsitzen wie im heutigen Deutschland. Die DDR war ein Obrigkeitsstaat wie es viele in Deutschlands Geschichte gab, und ich denke, darüber muss man sich in einem solchen Film lustig machen, damit die Zuschauer das rebellische Lebensgefühl der jungen Leute damals spüren. Es war mehr Gelächter in der Luft als man heute denkt.
Die Rock'n'Roll-Musik steht im Film für ein Gefühl von Freiheit. Welche Musik haben Sie in den 60er und 70er Jahre gehört und welche Gefühle hat Sie bei Ihnen ausgelöst?
Ich bin erst 1966 zur Rockmusik gekommen. Beatles, Stones, Jimi Hendrix und so weiter. Ich habe selber Musik gemacht, in Bands gespielt, später meine eigene Filmmusik komponiert. Man kann das heute gar nicht mehr schildern, was für eine Wucht die Rock- und Popmusik damals hatte. Alles, was darüber heute erzählt wird, gibt nur einen schwachen Eindruck wieder. Heute ist Rockmusik Kommerz, sie ist also eher eine Fessel für die Seele der jungen Leute geworden, eine Konvention. Damals war die Musik ein unglaubliches Versprechen.
Im Mittelpunkt des Films steht eine Liebesgeschichte die wenige Wochen vor dem Mauerbau anfängt und am 13. August 1961, dem Beginn der Abriegelung von Straßen- und Gleiswege, ein abruptes Ende findet. War es für Sie wichtig, die allgemeine Stimmung der Bevölkerung dieser Zeitspanne darzustellen?
Ich wollte versuchen, die "Luft" zu filmen, die Atmosphäre fühlen zu lassen. Ich wollte kein Thesenpapier zur DDR-Geschichte. Man sollte quasi die Sonne des Sommers 1961 auf den Wänden spüren, an denen Luise und Siggi entlanggehen.
Sie selbst und sind im Westen aufgewachsen, die beiden männlichen Hauptdarsteller, und , sind zu jung um den wirklichen DDR-Alltag erlebt zu haben. Wurden Sie in Deutschland für dieses Fehlen von eigenen Erfahrungen kritisiert? Wie stehen Sie zu der eventuellen Kritik?
Natürlich gab es große Kritik. Als Westdeutscher ist man seit der "Wende" 1990 sozusagen nicht mehr befugt, sich ein Bild von der DDR zu machen, außer man folgt dem allgemeinen Konsens zur DDR, wie es bei der Fall war. Max Riehmelt und Ronald Zehrfeld haben aber beispielsweise über ihre Herkunft und ihr Zuhause schon ein geradezu genetisches, tieferes Wissen, ein Gefühl für die DDR in den Film mitgebracht. Und die DDR ist ja auch längst eine Art Traumland, ein Märchenland geworden. Die DDR gehört nicht nur den "Zeitzeugen", die vor die Kameras gezerrt werden, den Politredakteuren, den "History"- Dokumachern. Die DDR gehört nicht den Rechthabern, den Ossis oder den Authentizitäts-Aposteln. Sie gehört uns allen und wir dürfen alle eine Meinung und ein Gefühl dazu haben. Dieser Film ist der Traum von Günter Schütter und mir, basierend auf den Erinnerungen von Michael Klier.
Luise ist eine sehr starke und idealistische Person. Denken Sie dass das Frauenbild in der DDR und der BRD unterschiedlich war?
Ja, Luise war eine ganz große Figur für mich. Die Frauen in der DDR waren wohl wesentlich früher politisiert, waren selbstständiger, selbstbewusster als im Westen. Die Männer erscheinen einem dort bereits in den 50ern wie unreife Kinder neben solchen Frauen. Ich glaube, wir haben heute kaum noch eine Ahnung davon, was für wunderbare, humorvolle Menschen es in dieser scheinbar so grauen DDR gab. Menschen wie Wolle, die fast verzweifelt ihren Spaß im Leben suchten, Menschen wie Luise, die an das DDR-System an sich nicht glaubten, aber mit dem wahren Marxismus eine echte Hoffnung verbanden. Menschen wie Siggi, die niemals wussten, wo sie hingehörten....
Im Film wird Heinrich Böll als der Lieblingsschriftsteller von Luise genannt. Wie stehen Sie zu Heinrich Böll und seinem politischen Engagement?
Böll ist das Urbild des aufrechten Bundesrepublikaners, der die widerliche Bigotterie des Adenauer- und Altnazi-Staats BRD anprangerte. Einer der wenigen "Gerechten" hierzulande, die damals Vernunft, Herz und eine klare Moral forderten. Er war sicher eine Hoffnung für alle jüngeren Menschen in Ost und West. Seine Haltung zur RAF war einzigartig.
Zum Kinostart von "Der rote Kakadu" in Deutschland ist die DVD "Kino trifft Schule" erschienen. Mit ihr wurde Lehrern und Schülern erstmals zum Start eines Kinofilms Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt. Denken Sie dass "Der rote Kakadu" ein didaktischer Film, mit dem die heutige Jugend etwas lernen kann, sei?
Ich war über die "Kino trifft Schule"-DVD angenehm überrascht, denn "Der rote Kakadu" ist ja kein politisch korrekter Film. Es ist eine gute DVD geworden. Aber bei uns wird ja seit der Wende die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts via Massenmedien und Eventfernsehen zu einer fahrlässig simplen Gefühls-Soap verfälscht. Ich möchte mit dieser filmischen deutschen "Leitkultur" nichts zu tun haben. Und ich finde ohnehin, man kann nur aus schlechten Filmen etwas "lernen". In guten Filmen kann man sehen und spüren. Meine Hoffnung wäre, dass die Schüler vielleicht im "Kakadu" ein wenig spüren, dass diese angeblich so graue DDR in diesem Moment 1961 mehr Lebensfreude kannte als die gleichzeitig so unendlich verklemmte und post-faschistische BRD? Allerdings bin ich skeptisch. Denn junge Leute lesen Filme heute leider zumeist nur noch auf der obersten Schicht. Sie fragen Dinge wie: "was kann ich daraus mitnehmen?" Sie haben das Sehen verlernt. Sie können nichts dafür, sie sind in ihrem Bilderverständnis durch die letzten zehn Jahre quasi blöd geschossen worden. Das Wichtigste wäre also, daß die Lehrer den Schülern erstmal das Sehen an sich beibringen.
Was bedeutet es für die deutsche Filmszene dass Filme wie , oder eben auch "Der rote Kakadu" im Ausland Ansehen erlangen? Wie würden Sie ihren Film neben den eben genannten einreihen?
Ich hab mal gesagt, der "Kakadu" könnte sozusagen das Prequel zu "Good bye, Lenin!" sein, denn vielleicht war die Mutter, Kathrin Sass, in "Lenin" ja 30 Jahre früher mal so eine Frau wie Luise im "Kakadu"? - Der Erfolg deutscher Filme im Ausland ist ok, aber Konsens- Stasikitsch wie "Das Leben der Anderen" ist mir dann doch ehrlich gesagt eher etwas peinlich.
Das Interview wurde von Barbara Fuchs geführt