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    "Wir haben uns wirklich ineinander verliebt": Wir sprechen mit Daniel Brühl über Karl Lagerfeld, Jogginghosen & toxische Liebe
    Stefan Geisler
    Stefan Geisler
    -Redakteur
    Stefan liebt Film. Er vermisst die wöchentlichen Besuche in der Videothek, denn das ziellose Umherirren in den Gängen hat ihm Seherfahrungen wie "Donnie Darko" oder "Fear and Loathing in Las Vegas" beschert.

    Am 7. Juni 2024 ist auf Disney+ die neue Serie „Becoming Karl Lagerfeld“ gestartet. FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler hatte Gelegenheit, mit Lagerfeld-Darsteller Daniel Brühl über den geheimnisumwobenen Modezaren zu sprechen.

    Disney+

    In „Becoming Karl Lagerfeld“ wird Daniel Brühl zum titelgebenden Mode-Zaren. Eine besondere Herausforderung, schließlich war der berühmte Designer eine undurchschaubare Figur, die sich stets unnahbar gab und nur einen winzigen Teil seiner Persönlichkeit der Öffentlichkeit offenbarte.

    FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler hatte die Gelegenheit, im Vorfeld der Veröffentlichung von „Becoming Karl Lagerfeld“ mit Hauptdarsteller Daniel Brühl zu sprechen. Dabei ging es nicht nur um die Frage, wie man sich einem wandelnden Enigma wie Karl Lagerfeld als Schauspieler annähert, sondern auch um toxische Liebe, tiefe Einsamkeit und den besonderen Look des exzentrischen Modebarons, den er wie ein Schutzschild genutzt hat.

    Doch zuerst einmal wollten wir wissen, ob auch er schon einmal die Kontrolle über sein Leben verloren hat – und in Jogginghosen in den Supermarkt gegangen ist...

    Disney und seine verbundenen Unternehmen
    Daniel Brühl im Gespräch mit FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler

    FILMSTARTS: Hast du schon einmal die Kontrolle über dein Leben verloren und bist in Jogginghose einkaufen gegangen?

    Daniel Brühl: Ja, das ist passiert. Häufig während der Pandemie – als man dann wieder einkaufen durfte. Da war einem irgendwann alles egal, auch mir. Ansonsten bin ich da ein bisschen bei Karl Lagerfeld. Das kann ich nicht haben. Ich war jetzt in einem altehrwürdigen Hotel in Paris, als die Premiere in Frankreich war, da sind alle so elegant gekleidet, und das ist doch schön. Aber da war auch wieder eine Ami-Familie komplett in so hässlichen Joggern. Es gibt ja auch schicke Jogginghosen – aber die waren wirklich in den knallbuntesten, hässlichsten Joggern unterwegs. (lacht)

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    Karl und sein Konkurrent Yves Saint Laurent

    FILMSTARTS: Mit welchem Verständnis von Karl Lagerfeld bist du aufgewachsen?

    Daniel Brühl: Ich habe ihn erst relativ spät so richtig wahrgenommen. Wahrscheinlich irgendwann in meinen 20ern. Ich habe ihn dann in den Talkshows sitzen sehen und musste immer schmunzeln. Ich fand ihn wahnsinnig witzig. Er hatte so einen scharfen Sinn für Humor. Diese Hamburger Ironie, die Schlagfertigkeit und die schnelle Zunge.

    Irgendwann gab es dann diese absurde Anfrage, von ihm fotografiert zu werden. Das war auf einer Berlinale. Es war eine irrsinnig aufgeregte Stimmung am Fotoset, denn ich war nicht der einzige Schauspieler. Es gab eine kleine Plattform und alle quetschten sich wie Würstchen darauf, um irgendwie auf das Cover von Karl zu kommen. Das war so würdelos, dass ich mich abgewendet habe. Das hat er wohl irgendwie registriert, hat mich angelächelt und mir zugenickt.

    Danach hat er dann Porträts von mir gemacht und mich nach zwei Minuten vergessen lassen, dass ich es mit ihm zu tun hatte. Er hat irgendeinen guten Witz über Berlin erzählt, den ich leider inzwischen vergessen habe, und dann war die Stimmung gleich aufgelockert. Er wirkte auf mich wie ein cooler Typ: charmant, witzig, aber natürlich auch eine gewisse Distanz.

    Er hatte da schon seinen Harnisch an. Seine Handschuhe, seinen weißen Zopf und diese völlig verspiegelte Brille. Nur einmal sah ich ganz kurz seine Augen. Dementsprechend habe ich mich bei der Serie sehr gefreut, diese Figur näher zu ergründen, bevor er zu dieser Person wurde. Übrigens ist dieses Treffen auf der Berlinale jetzt über 20 Jahre her – und erst gestern habe ich das Foto wiedergefunden. Das ist jetzt natürlich ein kostbares Souvenir.

    FILMSTARTS: Würdest du denn sagen, dass Karl Lagerfeld durch diesen markanten Look, der ja schon etwas von einer Rüstung hatte, eine Art Schutzschild aufgebaut hat?

    Daniel Brühl: Auf jeden Fall. So ähnlich war es ja auch bei Andy Warhol. Da sehe ich viele Parallelen. Deshalb wollte ich wissen, was seinen Schmerz ausmacht. Was ist ihm widerfahren und warum schützt er sich? Was hat er für ein Leben gehabt? Was hat er für eine Biografie? Was hat ihn dazu bewegt, das so obsessiv durchzuziehen? Diese Uniform hat er ja für viele Jahre aufrechterhalten. Ich finde es wahnsinnig spannend, dass er so durchs Leben gegangen ist. Gerade die Kontraste, die Widersprüchlichkeiten sind für einen Schauspieler großartiges Material.

    Er war ja so vieles. Ich konnte mich bei der Rollenfindung in ein ganzes Meer an Material stürzen. Er war so ein 10.000-Teile-Puzzle, das noch längst nicht fertig gelegt ist – und ich habe da jetzt vielleicht so ein kleines Eckchen geschafft. Und was heißt geschafft? Ich habe mich Karl Lagerfeld in einer seine Etappen angenähert und meine Interpretation dazu abgeliefert. Natürlich behaupte ich nicht, dass ich da Karl Lagerfeld bin, aber sich diese Figur zu eigen machen zu können, sich mit so einem Mann auseinandersetzen zu dürfen, der dermaßen vielschichtig war, das hat mich einfach total gereizt.

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    Karl und Jaques hatten ein besonderes Verhältnis.

    FILMSTARTS: Glaubst du, du hast diese komplexe Persönlichkeit jetzt ein bisschen erfassen können – gerade in dieser speziellen Zeit?

    Daniel Brühl: Einblicke habe ich natürlich bekommen. Und man lernt viel über jemanden. Das ging bereits mit den Lektüren der Biografien los. Ich wollte selbstverständlich auch etwas über dieses spezifische Kapitel in seinem Leben wissen. Ich habe schnell festgestellt, ich weiß ganz vieles nicht, da ich ja auch nur den Karl Lagerfeld in seiner späteren Version im Kopf hatte. Ich wusste gar nicht, wie er in jüngeren Jahren aussah. Ich war völlig verblüfft, als ich die ersten Bilder sah.

    Und dann ging es los mit dem Lesen von Biografien, mit dem Treffen von Leuten, die wirkliche Freunde und Wegbegleiter waren. Ich habe viel Zeit in Paris verbracht und versucht, die Stadt durch seine Augen zu erleben. Das war sowohl auf professioneller als auch auf persönlicher Ebene eine total bereichernde Erfahrung.

    Becoming Karl Lagerfeld
    Becoming Karl Lagerfeld
    Starttermin 2024-06-07 | 43 min
    Serie: Becoming Karl Lagerfeld
    Mit Daniel Brühl, Alex Lutz, Théodore Pellerin
    User-Wertung
    3,1
    Auf Disney+ streamen

    FILMSTARTS: Jacques de Bascher ist im Leben von Karl eine ganz besondere Figur. Gleichzeitig besteht aber auch ein unglaublich toxisches Verhältnis zwischen den beiden. Wer von beiden hat den anderen mehr gebraucht?

    Daniel Brühl: Die haben sich beide geliebt. Also so richtig geliebt und gebraucht. Das ist ein sehr merkwürdiges Verhältnis gewesen – das war sehr vielschichtig, sehr toxisch und sehr schmerzhaft. Aber es ist der einzige Mensch, den er bis zu seinem Tod begleitet hat und von dem er sagt, dass es die große Liebe seines Lebens war.

    Und für mich war es natürlich auch ein großes Abenteuer, das erste Mal eine Liebesgeschichte mit einem Mann erzählen zu dürfen. Ich hatte so ein unfassbares Glück mit Théodore Pellerin, der Jacques de Bascher in der Serie spielt. Wir haben uns auch wirklich ineinander verliebt, muss man sagen. Da gibt es Momente, die sind absolut fantastisch und wahrhaftig – mit das Schönste, was ich je gemacht habe.

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    Karl Lagerfeld auf der Tanzfläche – umgeben von Menschen und doch allein

    FILMSTARTS: In den wunderbarsten Momenten der Serie wird die Einsamkeit Karls auf einer rein visuellen Ebene kommuniziert. Karl ist umgeben von Freunden und Kollegen und steht doch für sich allein. Worin liegen da die Gründe für seine tief verwurzelte Einsamkeit?

    Daniel Brühl: Er ist immer ein Einzelgänger gewesen. Das hat er auch immer von sich gesagt. Schon als Kind wollte er nicht nur normales Kind sein. Er saß auf dem Dachboden, hat vor sich hingezeichnet und wollte nicht mit den anderen spielen. Das war schon immer so bei ihm – aber er war glücklich damit. Und das ist ja auch etwas, was mich total fasziniert. Jemand, dem die Realität nicht genug ist, der lieber in seinen Fantasiewelten und in seinem intellektuellen Universum unterwegs ist.

    Später, als er es sich dann leisten konnte, hat er sich die Märchenwelten, in denen er so gerne leben wollte, konstruieren können. Das ist ja auch das Irre an der Serie: Man ist in den 70er-Jahren, aber er will gerne im Rokoko leben, in einem Schloss des 18. Jahrhunderts, mit der Liebe seines Lebens, also der Gesellschaft total entrückt. Und diese Ära war ja eigentlich geprägt von Sex, Drugs & Rock 'n' Roll. Freie Liebe, wo jeder mit jedem und so weiter – er war eben völlig aus der Zeit gefallen.

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