David Finchers Rache-Thriller „Der Killer” mit Michael Fassbender als eiskalten, stringenten und unnahbaren Killer ist gerade erst auf Netflix erschienen. Diese Unnahbarkeit ist es auch, die den „Killer” mit Fassbenders Rolle in Steve McQueens „Shame” eint – wenngleich der Inhalt bei diesem tollen Film, den ich heute empfehlen will, ein ganz anderer ist.
Fassbender, den McQueen vorher bereits in seinem Regiedebüt „Hunger” hat eindrucksvoll ausmergeln lassen, spielt in „Shame” eine laufende Wand. Eine Wand, deren Tapete langsam zu bröckeln beginnt und die dem Zuschauer als Projektionsfläche dient – denn die Tiefe muss man sich bei diesem Film selber erarbeiten. Wer sich auf dieses brillant inszenierte, aber auch herausfordernde Werk einlassen möchte, kann das aktuell auf Joyn+ tun. Innerhalb eines 7-tägigen Probeabos ist dies sogar kostenlos möglich.
Sex überall
Brandon (Michael Fassbender) ist gutaussehend, erfolgreich und charmant. Doch hinter der Fassade verbirgt sich seine Sexsucht: Sein Arbeitsrechner ist voll von Pornographie, er masturbiert überdurchschnittlich viel und Prostituierte gehen bei ihm ein und aus. Eines Tages taucht plötzlich seine labile Schwester Sissy (Carey Mulligan) auf und quartiert sich bei ihm ein. Nach und nach wird das Leben, das er bisher geführt hat, auf den Kopf gestellt…
Wer keine Lust auf ein Probeabo hat und sich außerdem für die Geschichte hinter „Shame” interessiert, kann sich bei Amazon die Blu-ray holen. Hier im Bonus-Material zu finden sind die Featurettes „The Story of Shame” und „A Shared Vision”.
Zugegeben, 12 Jahre nach der Premiere hat der Film einige Ecken, an denen man sich beim Zusehen heute stößt. Wie die Damen Brandon nur so zufliegen und ihn auf den ersten Blickkontakt hin direkt schon mit den Blicken auszuziehen beginnen, ist nicht immer glaubwürdig.
Auch schreit der Film vor toxischer Männlichkeit – allen voran Brandons Chef David (James Badge Dale), der flapsig (und ohne es zu merken: misogyn) versucht die Frauen um den Finger zu wickeln – mit Ehering an selbigem, wohlbemerkt. Doch trotzdem weiß der Film mich weiter zu begeistern - auch wenn er schon damals spaltete...
Die Wahrheit hinter den Körpern
Unser FILMSTARTS-Redakteur Björn Becher sah in seiner Kritik damals in „Shame” nicht mehr als eine „Aneinanderreihung hipper Hochglanzbilder, über die kaum etwas erzählt wird”. Tatsächlich ist es so, dass der Film über weite Strecken auf der Oberfläche bleibt, nicht mehr zeigt als die Haut seiner Darsteller*innen und sorgsam komponierte, unterkühlte Räume.
Umso tiefer lassen die Momente dann blicken, wenn die Oberfläche Risse bekommt. Wenn Fassbender und Mulligan, von hinten auf einem Sofa sitzend gefilmt, sich in ihrem geschwisterlichen Schmerz hochschaukeln und Dinge an die Köpfe werfen, ohne wirklich etwas zu sagen. Bis hin zum Ende, an dem die Strukturen endgültig reißen und Fassbenders Gesicht, dem die Starre nun zu entgleiten droht, Bände spricht.
Die titelgebende Scham, so vielleicht eine Interpretation, gilt viel weniger dem Sex, als dem Unsagbaren, der Intimtät, die der Protagonist nicht zulassen kann. In Zeiten von Tinder & Co. ist „Shame” ein selbstreferenzieller Kommentar, beinahe ein Plädoyer, sich dem zu stellen, was hinter dem Körper steckt – wenn dies auch die größere Herausforderung ist.
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