Ende der 80er Jahre entschlossen sich mit Steven Spielberg und Martin Scorsese zwei Regie-Legenden dazu, ihre nächsten Filmprojekte zu tauschen – glücklicherweise. Denn nur schwer kann man sich „Schindlers Liste” als Scorsese-Werk vorstellen. Und umgekehrt gelang Scorsese mit dem Remake von „Cape Fear” (das 1962er-Original von J. Lee Thompson trug im Deutschen den Titel „Ein Köder für die Bestie”) mit seinem Stammdarsteller Robert De Niro ein Film, wie er in seiner Brutalität und Ambiguität nur einem Scorsese gelingen kann.
Allein schon die Vorstellung, Bill Murray wäre an der Stelle von Robert De Niro in die Rolle des Max Cady geschlüpft, wie von Spielberg ursprünglich geplant, ist absurd. Wie dieser tätowierte Parasit immer wieder auf der Bildfläche erscheint und eine Mischung aus Unwohlsein und Neugier hervorruft, wie er im legendären Hausboot-Finale einfach nicht totzukriegen ist (gibt es übrigens auch als Simpsons-Version), das solltet ihr euch heute Abend nicht entgehen lassen, wenn „Kap der Angst” um 23.40 auf ZDF Neo läuft.
Darum geht es in “Kap der Angst”
Sam Bowden (Nick Nolte) führt mit seiner Frau Leigh (Jessica Lange) und seiner Tochter Danielle (Juliette Lewis) ein beschauliches Leben. Dieses scheint in Gefahr, als Max Cady (Robert De Niro) nach 14 Jahren Haft entlassen wird. Denn Bowden, damals Verteidiger von Cady, hat entlastende Dokumente unterschlagen, die sich für Cady hätten strafmildernd auswirken können. Max Cady sinnt nun auf Rache und beginnt, die Familie zu terrorisieren. Immer mehr fühlt Bowden sich in die Ecke gedrängt, und als Cady auch vor seiner Tochter nicht Halt macht, greift er zu drastischeren Mitteln…
Wer den Film lieber zu einem selbstgewählten Zeitpunkt sehen möchte, dem sei die Blu-ray ans Herz gelegt. Exklusiv auf Amazon findet ihr sogar ein Double-Feature mit dem Original von 1962:
Psycho zwischen Terror und Fanfaren
An einigen Stellen sieht man den Spielberg noch durchblitzen, doch Scorsese machte sich den Stoff zu eigen: Nie sind die Dinge bei Scorsese gänzlich schwarz-weiß – und in diesem Film vielleicht noch weniger als anderswo. Ist Bowden im Original (dort gespielt von Gregory Peck) noch der amerikanische Vorzeigebürger, bröckelt die Fassade in Scorseses Remake bereits früh: Noltes Figur ist von Anfang an mehr selbstgerecht denn aufrichtig, unterschlug er doch wichtige Dokumente und flirtet hinter dem Rücken seiner Ehefrau mit einer Arbeitskollegin.
De Niro als Cady ist ein Soziopath, der 14 Jahre Zeit hatte, sich das ihm widerfahrene Unrecht geradezu einzuverleiben – sein Körper ist über und über tätowiert mit Zeichen des Rechts und der Rache. Er sieht sich geradezu als eine Art Engel der Rache. Und während er der Familie Bowden immer mehr zu Leibe rückt, verwischen auch bei Bowden zunehmend die Grenzen zwischen Gut und Böse.
„Gut” und „Böse” sind ohnehin dehnbare Begriffe in einem filmischen Universum, in dem wir nur allzu gerne mit Mafiabossen mitfiebern, bösen Cops bei bösen Dingen zusehen und darauf hoffen, dass New Yorks Straßen mit Blut besprenkelt werden. Und so ist die Gewalt, die Familie Bowden widerfährt, nicht nur physischer und psychischer Natur, sondern eben auch metaphorischer – einmal mehr gelingt es Scorsese, den amerikanischen Traum zu zertrümmern und die Korruption hinter der vermeintlichen Idylle aufzuzeigen.
Juliette Lewis, die in „Kap der Angst” als Bowdens Tochter ihr Schauspiel-Debüt gab, fungiert als Erzählerin des Films, die ihm eine Klammer verleiht, aber auch als Schlüsselfigur: Nur allzu freiwillig lässt sie sich von Cady locken – genau wie das Publikum. Und am Ende müssen wir dran glauben, wenn Cady, vor Wahnsinn rasend und schon halb vertümmelt, die vierte Wand durchbricht, um sich endlich Recht sprechen zu lassen.
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