Shirley Jacksons Roman „Spuk in Hill House“ zählt völlig zu Recht zu den Monumenten der Schauerliteratur – auf einer Stufe mit den besten Arbeiten von Edgar Allan Poe und H.P. Lovecraft. Das findet übrigens auch Genre-Titan Stephen King, der nicht müde wird, seine Bewunderung für die 1965, im Alter von nur 48 Jahren verstorbene Kalifornierin und ihr Werk immer wieder herauszustellen. Der „Es“- und „Shining-“-Schöpfer hält den Klassiker für eines der besten Horrorbücher des 20. Jahrhunderts.
Zweimal wurde der Band bereits fürs Kino verfilmt, allerdings mit wechselhaftem Erfolg: in Form des gelungenen „Bis das Blut gefriert“ (1963) und des eher mauen „Das Geisterschloss“ (1999). 2018 beauftragte Netflix dann Mike Flanagan („Doctor Sleeps Erwachen“) damit, das Ganze im Miniserienformat und mit eigenem Touch neu aufzulegen. Mit „Spuk in Hill House“ gelang dem Regisseur und Autor ein wahrer Geniestreich.
„Spuk in Hill House“ kann jederzeit bei Netflix abgerufen werden. Wer kein Streaming-Abo hat, muss aber nicht zwangsläufig in die Röhre schauen. Denn bei Online-Händlern wie Amazon gibt es die gesamte Serie auch in einem handlichen 4-DVD-Set.
Die Box ist zwar leider nur als britischer Import mit englischer Tonspur zu haben, wird aber zu einem sehr vernünftigen Preis angeboten. Der größte Anreiz, sich den Titel in haptischer Form zuzulegen, dürfte sein, dass es nur hier den Director‘s Cut der Serie gibt. Drei der Episoden sind drei bis fünf Minuten länger, da sie zusätzliche, in der Netflix-Fassung nicht zu sehende Szenen enthalten. Alle verlängerten plus eine der regulären Folgen haben zudem jeweils einen zusätzlichen Audiokommentar von Serienschöpfer und Regisseur Mike Flanagan, der euch hier ausführlich seine Gedanken zur Entstehung der Serie und der einzelnen Episoden schildert.
Darum geht es in "Spuk in Hill House" auf Netflix
1992: Hugh (Henry Thomas) und Olivia Crain (Carla Gugino) leben davon, alte Gebäude zu kaufen, sie zu renovieren und dann gewinnbringend wieder zu veräußern. In diesem Sommer ist das Hill House, ein stattliches Herrenhaus, an der Reihe. Doch der Aufenthalt in der in den 1880ern errichteten Residenz ist alles andere als Routine. Verändert sich hier doch nicht nur das Leben des Ehepaares drastisch, sondern auch das ihrer fünf Kinder.
Die leiden selbst über ein Vierteljahrhundert später als Erwachsene noch immer unter den Ereignissen und den Albträumen, die von diesen ausgelöst werden. Die jüngste Tochter Nell (Victoria Pedretti) etwa lassen die Geister von damals einfach nicht los. Von ihren Erinnerungen getrieben, kehrt sie mit selbstmörderischen Absichten zum Haus zurück. Das bringt bald darauf nicht nur den von seinen Sprösslingen entfremdeten Hugh (jetzt: Timothy Hutton), sondern auch die restlichen Geschwister wieder dort zusammen.
Gemeinsam wollen sich Bestsellerautor Steve (Michiel Huisman), die ein Beerdigungsinstitut betreibende Shirley (Elizabeth Reaser), die Psychologin Theo (Kate Siegel) und Junkie Luke (Oliver Jackson-Cohen) mit ihrer mysteriösen Vergangenheit auseinandersetzen. Was genau fiel damals eigentlich Schreckliches in Hill House vor? Und warum mussten sie bei ihrer überstürzten Abreise mitten in der Nacht ihre Mutter zurücklassen?
Mike Flanagan fesselt uns vor den Fernseher
Flanagan setzt seine einfallsreiche, auf verschiedene Zeitebenen aufgebaute Adaption mit einer souverän getimeten Inszenierung immens packend und spannend um. Immer realistisch anmutende Dialoge und Situationen lassen die exzellent gecasteten Darsteller*innen glänzen. Dazu kommt viel von u. a. Michael Fimognari („Oculus“) ästhetischer Kameraarbeit und eindringlicher Musik der Newton Brothers („Das Spiel“) erzeugte Atmosphäre.
Flanagans größter Trumpf ist aber der pointierte, perfekt sitzende Schnitt der Szenen. Er verbindet die Geschehnisse in Vergangenheit und Gegenwart sowie ihre Auswirkungen auf die so unterschiedlichen Charaktere innerhalb der Familie Crain zu einem homogenen Ganzen. Dabei wird uns immer exakt so viel über die Figuren und das alte Haus verraten, wie nötig ist, um die Handlung zügig voranzubringen, uns aber dennoch über ihre Auflösung weiter rätseln zu lassen.
Wer einmal mit der Serie begonnen hat, dem/der dürfte es schwerfallen, sie wieder abzuschalten. Die Sogwirkung der in unsere Zeit versetzten Geschichte von Shirley Jackson ist wahrlich erstaunlich. Gerade weil wir gedanklich schnell voll involviert sind, erzielen die geschickt über die Episoden verteilten, aber niemals plump oder übertrieben häufig eingesetzten Schockmomente volle Wirkung.
Diese sind besonders effektiv, wenn man „Spuk in Hill House“ allein und noch dazu in einem abgedunkelten Raum genießt. Wer also arg schreckhaft ist, es aber dennoch riskieren möchte, die Serie zu schauen (was sich wirklich lohnt!), sollte sich vielleicht doch besser bei Tageslicht und in Begleitung vors Gerät setzen.
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