Wenn solche Stars wie Saoirse Ronan, Cate Blanchett und Vicky Krieps für „Stolz und Vorurteil“-Regisseur Joe Wright vor der Kamera stehen, kann man als Filmfan allerhand erwarten. Doch kaum wer würde sich einen blutigen, emotional zehrenden Actionthriller ausmalen, der mit soghafter Wirkung und agilen Parcours-Einlagen besticht.
Aber genau das ist Anfang der 2010er-Jahre geschehen, als Wright mit seinem stylischen Hetzjagd-Actioner „Wer ist Hanna?“ überraschte. Trotz seiner faszinierenden und packenden Art gerät der Thriller vergleichsweise oft in Vergessenheit. Jetzt gibt es aber einen guten Anlass, sich ihn in Erinnerung zu rufen oder nachzuholen: Heute, am 28. Februar 2023, läuft „Wer ist Hanna?“ ab 20.15 Uhr bei Kabel 1, um 0.25 Uhr folgt eine Wiederholung.
Letztere ist euch nachdrücklich empfohlen, denn der Actionthriller hat eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren, was bedeutet, dass die Ausstrahlung um 20.15 Uhr geschnitten sein wird. Falls ihr nicht bis nach Mitternacht warten und/oder Werbeunterbrechungen vermeiden wollt: „Wer ist Hanna?“ ist bei WOW im Abo enthalten:
Und solltet ihr Blut geleckt haben: Bei Prime Video* gibt es mit „Hanna“ einen Serien-Reboot des Stoffes.
"Wer ist Hanna?": Das raue Actionmärchen eines Kostümdrama-Experten
Teenagerin Hanna (Saoirse Ronan) wurde in der finnischen Wildnis zu einer gnadenlosen Kampfmaschine erzogen. Damit wollte Hannas Vater (Eric Bana) ihr beibringen, sich aus jeder noch so misslichen Lage zu befreien. Fertigkeiten, die sie dringend benötigt, da eine mysteriöse Frau (Cate Blanchett) ihr eine schier unendlich wirkende Schar an Verfolgern auf den Hals hetzt. Was Hanna nicht weiß: Diese Frau spielte schon zuvor eine bedeutende Rolle in ihrem Leben...
Dass „Wer ist Hanna?“ nicht den verdienten Ruhm genießt, könnte daran liegen, dass der Actionthriller zu sehr gegen den Strich des Actiongeschmacks seiner Zeit gebürstet war: Inmitten der von den „Bourne“-Filmen ausgelösten Begeisterung für chaotischen Nahkampf, rasante Schnitte und einer Wackelkamera, die den Adrenalinrausch der Beteiligten einfängt, ging Wright in eine andere Richtung.
Die Actionszenen in „Wer ist Hanna?“ sind minutiös choreografierte, fabelhafte Gewalttänze, bei denen jeder Schritt sitzt, Kameraführung und Schnittarbeit stellen sich diesem Ballett der Brutalität in den Dienst. Wright inszenierte quasi ein Musical, bloß ohne Gesang und Tanz, sondern mit Schmerzensschreien, verbissenem Schnauben und Kämpfen. Ein Stil, der erst Jahre nach „Wer ist Hanna?“ wieder an Popularität zulegte.
20 Horrorfilme, nach denen ihr garantiert keinen Sex mehr haben wolltSo sind diverse Passagen der „John Wick“-Reihe weniger am „Mittendrin, statt nur dabei“ interessiert, sondern stärker daran, uns als Publikum ungläubig staunend die Abfolge an Schlägen, Tritten und präzisen Schüssen verfolgen zu lassen. Und Edgar Wright (nicht verwandt und nicht verschwägert) inszenierte mit „Baby Driver“ ein geradezu musicalhaftes Actionballett mit Autoverfolgungen und Schießereien.
Edgar Wright nutzt dafür Gute-Laune-Hits aus der Welt des Rocks und Pops. Kostümdrama-Experte Joe Wright streift in „Wer ist Hanna?“ wiederum seinen Blick für vergangene Schönheit ab, indem er seine mitreißenden Kampftänze mit den elektronisch-fesselnden Klängen der hier als Komponisten agierenden Chemical Brothers unterlegt. In besonders intensiven Szenen verschmelzen Bild und Ton sogar zu einem pulsierend getakteten Bass/Farbreigen.
„Wer ist Hanna?“ ist aber kein reiner Actionrausch, sondern blickt gebannt auf das Wohl und Wehe seiner fernab unserer Gesellschaft großgezogenen Protagonistin: Die weltumspannende Jagd auf Hanna wird unterfüttert mit einem verqueren, aufwühlend gespielten Coming-of-Age-Drama – inklusive Bild-Klang-Rauschchaos, wenn Hanna das Großstadtgeschehen kennenlernt. „Bourne“-Feeling, wenn eben mal keine Action ansteht.
Dieses Drama versetzt Wright mit Märchenparallelen: Hanna als Rapunzel, Rotkäppchen und Gretel in Personalunion, Cate Blanchett als fiese Hexe, die sich aber ihre Zähne blutig schrubbt, als sei sie ein Märchenwolf, der gerade gefuttert hat. Es sind bildliche Metaphern, die viel zu schnell bemüht wirken oder den Film sogar zum Entgleisen bringen könnten.
Doch dank Wrights punktgenauer Inszenierung und den exakt auf der besonderen Wellenlänge des Films liegenden Performances werden sie zu einer herrlich-schrägen Ergänzung dieses Gesamtbildes – das wiederum zur ungewöhnlichen Heldin passt: Unsere Realität ist ihr fremd, sie wiederum schreitet durch Kämpfe, wie ihr Vater es ihr beigebracht hat – mit träumerischer Selbstverständlichkeit.
Durch den fiebrig-märchenhaften Stilwillen des Films wird diese Entrücktheit in beiden Lagen klasse unterstrichen. Um zu wissen, wie die Frage „Wer ist Hanna?“ erwidert wird, müsst ihr den Film sehen. Die Antwort auf die Frage „Wie ist Hanna?“ haben wir euch dagegen schon hier und jetzt geben: Wie ihr Film!
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