+++ Meinung +++
Ich kann mich noch genau erinnern, als Jim Cummings mein Herz im Sturm eroberte: „Der Chaos Cop“ war erfrischend anders, zum Brüllen komisch und zum Heulen traurig zugleich – und so unfassbar originell, dass ich gar nicht anders konnte, als die FILMSTARTS-Leserschaft auf den Geheimtipp aufmerksam zu machen. Während die einzigartig-schrullige Tragikomödie zwar (trotz all meiner Bemühungen) bis heute ein weitestgehend unentdecktes Juwel blieb, beschert uns der Kopf dahinter seitdem regelmäßig Nachschub.
Regisseur, Hauptdarsteller und Drehbuchautor Jim Cummings – nein, nicht der legendäre Synchronsprecher mit demselben Namen – legte seitdem doppelt nach: Mit „The Wolf Of Snow Hollow“ und „Der Betatest - Die Versuchung“ lieferte er gleich zwei nicht weniger sehenswerte filmische Unikate ab, die von der Kritik gefeiert, abgesehen davon allerdings sträflich vernachlässigt wurden bzw. werden. Bei Rotten Tomatoes hält jedenfalls keiner von Cummings' drei Spielfilmen bei weniger als 89 Prozent positiver Kritiken – da könnte selbst Christopher Nolan neidisch werden.
Ganze 14 Monate nach seinem US-Kinostart im November 2021 hat das Warten auch in Deutschland ein Ende, denn sein jüngstes Meisterstück steht nun endlich auch bei uns ins Haus: „Der Betatest - Die Versuchung“ erscheint am 5. Januar 2023 als Video-on-Demand, am 3. Februar folgt die Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray:
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Euch erwartet ein knackige 90 Minuten kurzer, von der ersten Minute bis zur letzten Minute packender Thriller, der auf so einzigartige Weise böse ist, dass man eigentlich nur Spaß dran haben kann – jedenfalls bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Immer und immer wieder.
"Der Betatest": Sex, Mord & die perfekte Außenwirkung
Eine Frau in Schockstarre ruft von ihrem Luxusappartement den Notruf an. Sie zittert, macht sich eine Zigarette an und meldet einen gewaltsamen Zwischenfall – der sich noch gar nicht ereignet hat. Wenig später kehrt sie an den Esstisch zurück, wo sie ihr Freund bereits erwartet. Und ebenso schlagartig wie beiläufig wird einem die Gefahr bewusst, von der gerade am Telefon die Rede war.
Mit dieser Eröffnungsszene zieht einen „The Beta Test“ (so der Originaltitel) direkt in seinen Bann. Man hat keinen Tau, was zur Hölle hier vor sich geht – doch die Angst vor dem nächsten unerwarteten Paukenschlag, der einem kurzzeitig den Boden unter den Füßen wegreißt, vor der nächsten aus dem Nichts kommenden Überraschung, die einen vor den Kopf stößt, legt sich so schnell nicht. Im Gegenteil.
In der nächsten Szene, in der wir Hauptfigur Jordan Hines (Jim Cummings) kennenlernen, vermengt Cummings ebenso meisterhaft wie unberechenbar (und wie auch schon in seinen beiden Vorgänger-Filmen) Spannungskino mit Comedy. Wenn Hines im Zuge eines Vierer-Dates etwa ein Auge auf die Dame am Nebentisch wirft und diese seinen Blickkontakt unerwartet erwidert, schrickt man mit ihm gemeinsam auf – bevor man sich schließlich darüber amüsiert, wie ertappt man sich selbst gerade fühlt.
Cummings gelingt es einmal mehr auf die denkbar verschrobenste Art und Weise, einen Nerv seines Publikums zu treffen, den andere Filmemacher seit Jahren vergeblich zu suchen scheinen (Cummings ist 36). Mit seiner Geschichte um einen ekelhaften Strahlemann-Agenten zwischen Sein und Schein, der alles daran setzt, um irgendwann zur großen Nummer zu werden, die er jetzt schon spielt, erzählt er von einem zutiefst menschlichen Verlangen, das in uns allen schlummert – und das, wenn es zu lange unterdrückt wird, mit einem lauten Knall ausbricht, bevor es schließlich unaufhaltsam ein ganzes Leben in einen alles vernichtenden Schlund hinabzieht.
Der deutsche Trailer zum wohl abgefahrensten Film des Jahres: Zwei Kumpels zähmen eine gigantische Fliege!Im Zentrum der Geschichte steht Jordan Hines, dessen Job es ist, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. So werden chinesische Geschäftspartner etwa mit einem flotten „Ni hao… the hell are you?“ begrüßt – und wenn der Sprücheklopfer-Schuss nach hinten losgeht und man dafür vor versammelter Mannschaft denunziert wird, wird direkt das frisch gebleichte Zahnpastalächeln aufgesetzt, um lauthals mitzulachen. Auch wenn es mal auf eigene Kosten geht. Bloß nicht die Außenwirkung verlieren!
Anzug, fette Karre, perfekt sitzende Frisur und immer einen flotten Spruch auf Lager: Damit strahlt der Geschäftsmann nicht nur Erfolg, sondern auch eine gewisse Unverwundbarkeit aus – auch wenn er beidem seit Jahren erfolglos hinterherläuft. Und genau das ist es, was ihm teuer zu stehen kommt, als er eines Tages eine geheimnisvolle Anfrage für ein Blind Date bekommt…
So geht Satire!
Es ist ganz und gar unmöglich, „Der Betatest“ in eine Schublade zu stecken. Ja, er lebt von der Eröffnungsszene an vor allem vom Element des Mysteriums sowie von einer unheilvollen Atmosphäre, was ihn ganz klar als Thriller entlarvt. Gleichzeitig kommen die größten Stärken des Films jedoch erst zum Vorschein, wenn er satirische Züge annimmt – und die Hollywood-Maschinerie so gewieft aufs Korn nimmt, dass man auch mal das eigene Gewissen kurz beiseite lässt und man aus dem Grinsen gar nicht mehr rauskommt.
Am Ende bringt „Der Betatest“ aber nicht nur die berühmte Hollywood-Blase auf eine sinistre, blutrünstige Weise (und mit einem smarten Twist) zum Platzen, sondern richtet sich mit einem Weckruf auch an sein unmittelbares Publikum: In einer Welt von Instagram, TikTok und Co., in der jeder ein Stück Social-Media-Ruhm für sich beansprucht, kann es nämlich für alle ganz schnell ziemlich düster werden…
Fazit: Als großer Fan von Jim Cummings musste ich natürlich auch seinen neuesten Film bei der erstbesten Gelegenheit sehen – doch selbst nach mehrmaliger Sichtung verliert der ebenso schockierende wie saukomische Thriller nichts von seiner einzigartigen Faszination, sodass ich es kaum erwarten kann, mir (auch) die deutsche Blu-ray ins Regal zu stellen. „Der Betatest“ ist originell, smart und so bitterböse wie spaßig – einer der Geheimtipps des Jahres! Ganz egal, ob nun 2021, 2022 oder 2023…
Sollte euch beim Anblick des hiesigen DVD-Covers als erstes „Fifty Shades Of Grey“ in den Sinn kommen, lasst euch davon bloß nicht täuschen:. „Der Betatest“ bewegt sich inhaltlich in völlig anderen Sphären und steckt die zahme Erotik-Bestseller-Verfilmung – wenn man den Vergleich schon anstellen will – nicht nur in Sachen Erotik spielerisch in den Schatten, sondern auch in allen anderen nur erdenklichen Aspekten.
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