Das Cover suggeriert einen anderen Film. Es suggeriert es würde ein Märchen a la Alice im Wunderland erzählt werden; einen Film der ein reales Mädchen in eine Traumwelt entführt. Dies geschieht zwar auch, aber das Mädchen flieht sich in eine von ihr aktiv erschaffene Traumwelt, um den realen Schrecknissen ihrer Zeit zu entkommen, beziehungsweise schafft sie es mittels ihrer Fantasie, ihrer Träume sich ihr und das Leben der Anderen so zu erklären, dass sie den real stattfindenden Wahnsinn überhaupt aushalten kann. Das Ofelia sich die Gegenwelt aktiv schafft und nicht nur findet, erweist sich anhand ihres Buches und anderer Details.
Das Buch, dass ihr als Wegweiser, Kompass für das Labyrinth in die Hand gedrückt wird, besteht nur aus leeren Seiten. Ofelia muss es erst füllen beziehungsweise offenbart es sich ihr, wenn sie es an einem Platz aufschlägt wo sie alleine mit dem Buch ist. Sie malt sich mit Kreide selbst die Türen, die in und aus ihrer Fantasiewelt führen. Sie setzt sich über Regeln dieser Welt hinweg, obwohl ihr gedroht wird, dass ein Regelbruch tödlich für sie enden würde und die Aufgabe als gescheitert angesehen werden muss. Oder sie kann entkommen, obwohl die ihr gesetzte Zeit vorüber ist und die rettende Tür sich geschlossen hat. Zuletzt, trotz der Patzer und auch der total gesetzten Zeit (bis zum Vollmond) bekommt sie eine zweite Chance.
Trotz der Grausamkeiten oder Alptraumhaften Geschehnisse, die ihr in ihrer eigenen Welt widerfahren, erweist sich diese Märchenwelt (Feen, Faunen und Prinzessinnen) als die einzig mögliche und weit weniger irrsinnigere Welt für Ofelia als die reale Welt.
Spanien 1944. Ofelia reist mit ihrer schwangeren Mutter zu ihrem neuen Stiefvater einen stets Uniform tragenden Hauptmann in eine abgelegene Bergregion. In dieser Region soll der Hauptmann die Rebellen besiegen. Ihre Mutter bittet Ofelia, den Hauptmann Vater zu nennen und versteht nicht warum ihre Tochter so viele Bücher mitnimmt. Schon auf der Fahrt wird deutlich, dass Ofelia vom Wald magisch angezogen wird und Gottesanbeterinnen als Feen erkennt, dass heißt ihr Blick auf die Welt ist eine magische; nichts scheint so zu sein wie es ist.
Ihr Stiefvater hingegen lebt mit der Uhr in der Hand. Er duldet keine Verspätungen und Regelverletzungen. Er kann in den Dingen nicht mehr erkennen, als ihre äußere Form. Der einzige Wunsch den er besitzt, ist, dass seine Frau seinen Sohn zur Welt bringt. Es erweist sich im Laufe des Films, dass auch er der Sohn eines Soldaten ist und die Uhr die er trägt sein Vater schon getragen hat. Vielsagend ist die Geschichte vom Tod des Vaters, über den berichtet wird, dass er den Zeitpunkt seines Todes selber bestimmt hätte. Erst in dem Moment als er seine Uhr auf den Boden geschmissen hätte und die Zeiger stehen geblieben seien, sei er erschossen worden. So tritt der Sohn, der Hauptmann, auch als vermeintlicher Herr über Zeit und Raum in dessen Fußstapfen.
Die autoritäre Struktur des Franco Regimes von Befehl und Gehorsam, sowie die Absolution seiner Taten seitens des katholischen Priesters – „Gott hat über die Seelen schon entschieden, was mit ihrer äußeren Hülle passiert, spielt keine Rolle“ – verschafft ihm freie Hand in seiner Welt. Mehr als einmal spielt er sich als Herrscher über Leben und Tod auf und klärt ein Opfer seiner Willkür darüber auf, dass über ihm, dem Hauptmann, nichts mehr komme und er daher der einzige sei, der ihm Gnade gewähren könne. Seine Hybris kommt auch in seiner Todesverachtung zum Ausdruck, die sich darin zeigt, dass er stets in vorderster Reihe kämpft. Es ist nicht verwunderlich, dass es in dieser Figur keine Liebe gibt. Auch nicht zu seinem ungeborenen Sohn, denn diese Liebe ist Selbstliebe und nur der sublimierte Wunsch nach Unsterblichkeit.
Eine Seele existiert für diesen Hauptmann nicht, da er sie nicht anfassen oder sehen kann. In Ofelias Welt hingegen spielen Zeit und äußere Erscheinung eine vollkommen untergeordnete Rolle. Diese Welt ist magisch und spirituell. In Ofelias versponnener Welt sucht seit Äonen ein König seine Tochter, die wegen ihres Wunsches, die Welt der Menschen zu erfahren, ihre Wurzeln – die tatsächlich tief unten im Erdreich liegen – vergessen hat und seitdem nicht mehr zu ihrem Vater zurückgefunden hat. Aber der König weiß, dass die Seele seiner Tochter sich irgendwann wieder einfinden wird und wartet.
Ofelia, durch diverse Prüfungen gehend, in der sich auch die erlebten Schrecken aus der Welt des Hauptmannes und des Krieges verarbeitet werden, erweist sich als seelenverwandt mit dieser verlorenen Tochter und damit ist sie die gesuchte Tochter. Ein Gedankengang zu dem der Hauptmann nicht fähig wäre. Es wäre ihm unmöglich, sich in einem fremden Sohn wieder entdecken zu können, der nicht mit ihm blutsverwandt ist. Sein Tod am Ende des Films ist daher auch endgültiger, hoffnungsloser, als der Tod Ofelias. Der Hauptmann tappt in seine eigene Falle eines Lebens ohne Transzendenz.
Ofelias Ende ist aber keineswegs eines mit Sphärenklang und Seelenhonig für die Hinterbliebenen. Die ahnen nichts von Ofelias Erlösung in Ofelias Märchenwelt und auch der Zuschauer bleibt verstört zurück. Zwar erfüllt ihm der Regisseur den Wunsch, dass Ofelia vielleicht weiterlebt und dies wohlmöglich in einer besseren Welt, als in der Zurückgelassenen und geizt auch nicht mit den passenden Bildern dazu, aber es überwog bei mir ganz eindeutig die Traurigkeit über den Tod des Mädchens. Denn die Welt, in die Ofelia vielleicht einkehren oder wiedereinkehren mag, ist eine Welt die Ofelia mit niemandem teilen kann. Sie ist die Prinzessin und sie ist die einzige die wieder heimkehrt. So wie keiner dabei sein darf, wenn Ofelia im Buch mit den leeren Seiten liest, denn nur wenn sie alleine ist, füllen sich die Blätter.
Die vielfach schon als überflüssig kritisierte Brutalität des Films, ist für mich wesentlicher und notwendiger Bestandteil. Der Hauptmann und seine Gewaltexzesse aber auch die nicht weniger mit Gewalt vorgehenden kommunistischen Rebellen, deren Weltbild im übrigen auch keinerlei Raum für Spiritualität bietet, sind meines Erachtens hier nicht als Metaphern für Böse und Gut gedacht, sondern nur als Stellvertreter für Machthaber und Machtlose, die beide nur eine Strategie kennen, ihre Position zu behaupten oder zu verlassen: Gewalt. Dazwischen steht vielleicht noch der Arzt, der jede Wunde – ob braun oder rot- flicken muss, aber auch er wird hinterrücks vom Hauptmann erschossen.
Mehr als Gewalt oder hier die Wahl zwischen Faschisten oder Kommunisten hat die Welt in diesem Film nicht zu bieten. Es sei denn, man beginnt sie mit den Augen Ofelias zu sehen.
Kritikpunkt meinerseits am Film sind, dass mir das Erzähltempo des Films zu uneinheitlich ist und die Verteilung der Gewichte zwischen Ofelias Welt und der Welt des Hauptmanns mir nicht ausgewogen erscheint. So wie in diesem Beitrag die Figur des Hauptmanns überwiegt, so scheint mir auch der Film ein wenig die Balance zu Gunsten des Teufels verloren zu haben. So ist auch das phantastische Element des Films, immer dann am Besten wenn diese Episoden als perfekt inszenierter Alptraum gezeigt werden. Höhepunkt ist das augenlose Ungeheuer an der Spitze einer rech gedeckten Tafel, an der ansonsten in der realen Welt ihr Stiefvater, der Hauptmann (sic) sitzt. Die Schönheit, jenseits allen Horrors, eines Traumes kommt für mich zu kurz.
Ein Film über den ich gerne weiter nachdenke und der mir mit Sicherheit noch viele Bedeutungsebenen offenbaren wird und dass ohne beliebig zu sein.