„Let‘s kick some Iraqui ass!“ – so der klischeehaft dumpf-martialische Schlachtruf der US-Marinescharfschützen, die im Sommer 1990 in die Wüste am Persischen Golf geschickt werden. Das Ironische an der Geschichte: Nach einer langen und zermürbenden Vorbereitung auf den eigentlichen Kriegseinsatz, welcher am Ende nur gut vier Tage dauern soll, werden die zum Töten ausgebildeten Kampfmaschinen zwar nicht eine Gelegenheit erhalten, auch nur einen Schuss aus ihrer Waffe abzufeuern. Und dennoch erweist sich dieser Einsatz für die Männer als solcher, bei dem sie durch die Hölle gehen und der sie für den Rest ihres Lebens zeichnen wird. „Jarhead“ – so lautet die umgangssprachliche Bezeichnung für jene Elitesoldaten der US-Marine, und diesen Titel trägt auch Sam Mendes‘ Verfilmung von Anthony Swoffords gleichnamigem Buch, in welchem er seine Erlebnisse als Soldat während des ersten Golfkrieges schildert.
Tony Swofford, genannt Swoff (Jake Gyllenhaal), absolviert sein Training bei den Marines, um als Scharfschütze ausgebildet zu werden. Was genau er sich von dieser Karriere verspricht, darüber scheint er sich selbst nicht wirklich im Klaren zu sein. Insofern zeigt sich eine interessante Parallele zum Protagonisten von Albert Camus‘ Roman „Der Fremde“ - das Buch mit welchem ihn sein neuer Vorgesetzter Sykes (Jamie Foxx), dessen Einheit er schließlich zugeteilt wird, auf dem Lokus erwischt. Doch Swoff soll erst gar keine Gelegenheit bekommen, über diese eventuelle Ähnlichkeit weiter zu reflektieren, da ihm der Staff Sergeant bei dieser Gelegenheit unmissverständlich klarmacht, dass unter seinem Kommando derlei Beschäftigung mit geistigen oder kulturellen Dingen unangebracht sei, und das Buch anschließend demonstrativ im Mülleimer verschwinden lässt. Statt dessen ergötzt sich die Truppe lieber jubelnd am Leinwandspektakel des Hubschrauberangriffs zu Wagners „Ritt der Walküren“ aus Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, nach welchem die Vorstellung dann für eine wichtige Durchsage unterbrochen wird – ein anschauliches Beispiel dafür, dass sich selbst noch eines der besten und kritischsten Kunstwerke der amerikanischen Filmgeschichte letztlich eben auch für propagandistische Zwecke missbrauchen lässt.
Während einige Anfangsszenen, die sich mit der Ausbildung der Soldaten auseinander setzen, unmittelbar an Stanley Kubricks Full Metal Jacket erinnern, spielt sich der ungleich längere Mittelteil des Films in der Wüste ab, in der sich die Einheit unter extremen Bedingungen auf den eigentlichen Kriegseinsatz vorbereitet. Der Tagesablauf gliedert sich in die elementaren Bausteine Gewehrputzen, Schießübungen, Briefe lesen, Hydrieren, Dehydrieren, Schlafen und Masturbieren. Das, was den Männern nach der Ausbildung daheim noch an Hirn übrig geblieben sein sollte, wird während dieser Routine und des ständigen Drills unter der heißen Wüstensonne langsam zerkocht. Als der lang erwartete Einsatz kommt, gilt es bei einem gegnerischen Artillerieangriff sowie einer Aktion von friendly fire am Leben – und während des Marsches entlang einer restlos zerbombten Flüchtlingskolonne, bestehend aus Autowracks und verkohlten Leichenteilen, sowie inmitten der brennenden Ölfelder bei Verstand zu bleiben.
Die Scharfschützen operieren in Zweierteams, und Swoffs Partner Troy (Peter Sarsgaard) stellt sich während des längsten Teils der Handlung als derjenige in der Gruppe heraus, der auch in den extremsten Situationen, in welchen sich andere schon am Rande des Wahnsinns bewegen, noch in der Lage ist, einen kühlen Kopf zu bewahren und seine Kameraden zur Raison zu bringen. Tragisch, das es gerade diese Figur ist, die entgültig die Nerven verliert, als Sykes den beiden im letzten Moment die einzige Möglichkeit zum direkten Schuss verwehrt, als eigentlich alles schon gelaufen ist – die Bomber sollen auch den letzten Rest noch erledigen. Troy hätte in diesem Schuss ein für ihn zu diesem Zeitpunkt noch einziges Sinn stiftendes Moment gesehen, welches die vorhergehenden, sinnlosen Strapazen hätte rechtfertigen können. An seinem Schicksal kulminiert somit die ganz spezifische Unsinnigkeit des Krieges im Zusammenhang dieses Films, der Menschen zeigt, welche in den Krieg geschickt werden, dabei mit all seinen Schrecken konfrontiert werden, und sich im Nachhinein inklusive ihrer ursprünglichen Mission als völlig überflüssig erweisen.
Jake Gyllenhaal, der sich bisher vor allem in den Hauptrollen der erfolgreichen Independent-Produktionen Donnie Darko und „The Good Girl“ einen Namen gemacht hat (sowie in Roland Emmerichs The Day After Tomorrow), zeigt auch in der Rolle des Tony Swoff eine durchweg solide Leistung. Das Gleiche gilt für seinen Kollegen Peter Sarsgaard (Garden State, Kinsey). Auch Jamie Foxx in der Nebenrolle des Staff Sergeant Sykes kann sich nach seinem letzten Auftritt im peinlichen Stealth wieder rehabilitieren, ohne auch dieses Mal auf seine schwarze Sonnenbrille aus Ray verzichten zu müssen.
Regisseur Sam Mendes ist es gelungen, nach seinen Erfolgen American Beauty und Road to Perdition auch im Genre des Antikriegsfilms ein bewegendes, authentisches und zur Reflexion zwingendes Ergebnis abzuliefern. „Jarhead“ reiht sich somit in die Tradition seiner bereits genannten Vorgänger ein, auf welche er bisweilen auch inhaltlich oder stilistisch Bezug nimmt, und stellt sein eigenes Thema zugleich in einen kritischen Gesamtkontext zum Themenkomplex „Krieg“ überhaupt. Der Zuschauer verfolgt das Geschehen durchgehend aus der Perspektive von Anthony Swofford, auf dessen autobiografischer Vorlage die Handlung basiert, was ihm stellenweise durch geschickten Einsatz von Voice Overs ins Bewusstsein gerufen wird. Künstlerisch wertvoll sind vor allem Szenen wie solche, in der Swoff träumt, im Spiegel eines Waschraums das Gesicht seiner daheim gebliebenen Freundin (Brianne Davies) zu erblicken, an deren Treue er bereits zweifelt, und sich daraufhin ins Waschbecken erbricht, welches sich dabei mit dem Wüstensand füllt, der ihn stetig umgibt.
Durch den gewählten Ansatz unterscheidet sich „Jarhead“ deutlich von seinen Genre-Kollegen. Den Fokus legt Mendes auf die Psychologie der Soldaten. Was geschieht mit Menschen, die dazu gedrillt wurden, ohne Gewissen zu töten, wenn sie Monate lang in der Einsamkeit einer gottverdammten Wüste vor sich hinschmoren und nicht tun dürfen, wozu sie ausgebildet wurden? Der permanente Alarmzustand wird zu einer an den Nerven zehrenden Ungewissheit. Was macht die Freundin zuhause? Ist sie mir noch treu? Wann geht der Krieg los? Was machen wir bei einem Nervengas-Angriff? Wie schlagen wir die Zeit bis dahin tot? Mendes zeigt auf, welchen ungeheuren psychischen Belastungen die Soldaten während der Operation Desert Shield, der Vorstufe zu Desert Storm, ausgesetzt waren, ohne je in eine Kampfsituation geraten zu sein. Um keine Zugeständnisse machen zu müssen, wandte sich Mendes auch nicht wie üblich an das US Militär, das bei Filmproduktionen üblicherweise Equipment und Komparsen zur Verfügung stellt. Doch dies muss in der Regel mit Entschärfungen des Drehbuchs bezahlt werden. Da Mendes sich von niemanden in seiner Arbeit hineinreden lassen wollte, lehnte er dankend ab, was das Budget von Jarhead (gesamt 72 Mio Dollar) noch einmal in die Höhe trieb, aber mit Sicherheit der Qualität des Films zu gute kam.
Am Ende der Handlung, als die Soldaten wieder zuhause empfangen werden, ein alter Vietnam-Veteran zu ihnen in den Bus steigt und den Männern zu ihrem „sauberen Einsatz“ gratuliert, kommt Swofford zu der Erkenntnis: „Every war is different. Every war is the same.“ Tatsache ist, dass auch er selbst zu einem gezeichneten Veteranen geworden ist, ohne selbst einen einzigen Menschen während des Kriegseinsatzes in der Wüste getötet haben zu müssen. Diese Erfahrung hat sich ihm ebenso eingebrannt wie das Mal, welches sich die Kameraden der Truppe als Zeichen der Dazugehörigkeit ins Fleisch gebrannt haben – gleichgültig, was für ein Leben sie künftig führen werden: „We‘re still out there in the desert.“