Drei Tage ist es her, dass ich Oldboy gesehen habe und ich komme immer noch nicht los von diesem Film. Unmittelbar nach dem Film hätte ich am liebsten schon meine Rezession verfasst und diesem Ausnahmewerk sofort 10/10 Punkten gegeben. Dann habe ich verschiedene andere Meinungen zu dem Film studiert und festgestellt, dass Oldboy entweder gnadenlos gehasst oder aber vergöttert wird. So hat sich mir die Frage gestellt, ob auch ich Oldboy eventuell besser beschreibe, als er ist. Am Ende ist es bei 10/10 Punkten geblieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein anderer Film in diesem Genre Olboy übertreffen kann – und deshalb ist er unübertrefflich.
Ein Mann landet volltrunken auf der Polizeiwache. Er ist aggressiv, will nach Hause, seine Tochter hat Geburtstag. Der Mann heißt Oh Dae Su. Er ruft von einer Telefonzelle nach Hause an, gestattet seinem Kumpel auch ein paar Worte – und ist plötzlich verschwunden. Danach findet er sich in einem Zimmer, einem eigentlichen Käfig wieder. Er weiß nicht warum er dort ist und wer ihn dahin gebracht hat. So vergehen 15 Jahre. Dann ist er plötzlich frei, erfüllt mit dem Wunsch nach Rache an seinen Peinigern. Dass sein eigentlicher Alptraum erst jetzt beginnt, weiß er nicht. Mehr werde ich nicht verraten, das wäre ein Verbrechen.
Der Film fesselt von der ersten Minute an durch seinen mysteriösen Plot. Wer macht das? Wieso tut er dies? Oh Dae Sue erzählt das Geschehene aus der Retrospektive, aber nie so, dass er ein Ereignis oder eine Wendung antizipiert. Der Film ist in einer genialen, gemäldehaften Optik gedreht. Was auch immer man von Oldboy halten mag – die Schnitte suchen ihresgleichen. Jedes Bild, jede Szene oder Handlung ist zu 100% mit der richtigen Hintergrundmusik unterlegt. Jeder der Hauptdarsteller gibt eine Leistung ab, die nicht zu toppen ist. Der Film ist Poesie.
Vielfach werden im Zusammenhang mit Oldboy auch die Filme „Kill Bill“ und „The Game“ genannt. Dahinter stehen große Regisseure wie Fincher und Tarantino. Park nimmt es aber locker mit ihnen auf. Das Verwirrspiel in Oldboy ist weitaus komplexer, künstlerischer und vor allem dramatischer konzipiert als in „The Game“. Und „Kill Bill“? – Keine Missverständnisse, ich liebe Tarantinos Rachezweiteiler, aber Oldboy hängt auch ihn locker ab. Es mag Szenen geben, da kommt man zu dem Schluss, dass Oldboy Gewaltszenen ähnlich ästhetisiert wie Kill Bill. Der Schein trügt allerdings. Gerade die Kampfszene im Flur unterstreicht künstlerisch die Isolation und Distanz des Antihelden zu der Welt, in die er nach 15 Jahren entlassen wurde. Und obwohl Oldboy lose auf einem Comic beruht, ist die Gewalt deutlich weniger überzeichnet als in Tarantinos Werk, wenn auch nicht weniger explizit. Park ist ein gelungener Wechsel zwischen Hässlichkeit und Schönheit, Hass und Liebe, Tragik und Hoffnung gelungen – und das in einem recht actionreichen Film (wobei Action hier nicht nach den Kriterien Hollywoods definiert werden soll – Gott sei Dank).
Am Ende habe ich überlegt, ob man Oldboy nicht einen Punkt für einige Ungereimtheiten und Unglaubwürdigkeiten abziehen soll. Das hat er aber nicht verdient! Was filmt ein Herr Tarantino (den ich sehr verehre!) nicht alles für einen Unsinn ab und dann heißt es – der Mann macht guten Schund, egal, top! Nur weil der kunstvollere, realistischere, von Symbolik geprägte Oldboy am Ende einige Fragen aufwirft, will ich ihm daraus keinen Strick drehen. Ich darf nicht vergessen, dass ich von dem Film vollständig hypnotisiert war, seine Bilder, seine Story, seine Musik und die grandiosen Darsteller mich noch immer beschäftigen. Ich kenne keinen Regisseur, der es in so stimmiger Weise geschafft hat, verschiedene Genres (Rache-Action, Drama, Thriller, Mystery, Liebesfilm) in zwei kaum spürbaren Stunden zu vereinen, ohne sein Werk zu überfrachten. Und im Gegensatz zu den meisten Rachefilmen westlicher Art, findet der tragische Held nicht die Erlösung in der Vollendung der Rache, weil sie mehr und mehr nebensächlich wird, genau wie sein ganzes 15jähriges Märtyrium. Das Vergessen und die Liebe stehen darüber. Eine solche tiefsinnige Botschaft hätte man zu Anfang des Films wohl nicht erwartet.
Warum? – Sag ich nicht, unbedingt anschauen. Am besten vor dem HollywoodRemake. Ich bin kein Kenner oder Versteher des asiatischen Kinos, habe nie die Originale zu Kassenschlagern wie „The Ring“ oder „Departed“ gesehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die amerikanisierte Version im Geringsten an diesen Film herankommt. Großartig.