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    Mit einem Tiger schlafen
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    4,5
    Veröffentlicht am 26. Juni 2024
    Beeindruckender Film über die Malerin Maria Lassnig. Episodenhaft wird ihr Lebensweg und ihre künstlerische Entwicklung entfaltet. Birgit Minichmayer, die die Künstlerin in nahezu allen Altersschichten darstellt, macht den Film zu einem besonderen Erlebnis.
    Für Kunst- und Minichmayer Fans unbedingt sehenswert
    Hp_haefele
    Hp_haefele

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    4,0
    Veröffentlicht am 17. Juli 2024
    Der Film ,, Mit einem Tiger schlafen“

    Hier eine essayistische Filmbesprechung von mir unter Auslassung der gängigen formalen Standards einer Filmkritik.

    Ein überaus gelungenes filmisches Portrait der Künstlerin Maria Lassnig. Heute spricht man ja von diesem Sujet als einem ,,Biopic“. Dieser, in seiner Grundstimmung so unprätentiös inszenierte Film von Anja Salomonowitz ist bis in die Nuancen dessen, was er als Film- Idee visualisieren mochte, so kunstvoll gewoben, dass dieser selbst als ein beachtenswertes Kunstwerk klassifiziert werden kann. Die Theaterschauspielerin Birgit Minichmayr verkörpert die österreichischen Künstlerin in ihrem facettenreichen Spiel in Vollendung. Der Superlativ darf hier ohne Abstriche angeführt werden. Sie wird nicht umsonst von der Theaterkritik in den Himmel gelobt.

    Das Kunstschaffen von Maria Lassnig ist das Drama eines hoch veranlagten Kindes in einer lieblosen, schutzverweigernden, zudem lebensweltlich überaus kargen, postfaschistischen, österreichischen Familie mit zwei, für die spätere Künstlerin prägenden Frauenfiguren. Die Großmutter, Analphabetin, eine einfache Frau, steht als einzig emotional wärmende Trostspenderin dem seelisch einsamen Mädchen zur Verfügung; die Mutter ist kalt, abweisend, in ihrem Wesen sadistisch. Der Vater hat die Mutter offensichtlich schon früh verlassen. Ein Dandy, welcher von Lassnig in einer Film- Szene als Parvenue auf dem Motorrad imaginiert wird.

    Szenisches Schlüsselereignis: Die ,,Familie“, bei Anwesenheit des herbei gerufenen Priesters, im gemeinsamen Gebet, im lautstarken Stakkato als nahezu flehentlichem Anruf, nicht wie zu erwarten sei, um den Beistand und die Gnade des Herrn im Himmel in Sorge um die Genesung des kranken Kindes, sondern um dieses im Bettchen liegende Wesen förmlich in den Tod zu brüllen - es soll wohl endlich verschwinden. In der filmischen Dramaturgie korrespondieren das Imaginierte und äußere Bild- Reale als Erinnerungs- Empfindung der erwachsenen Künstlerin. Das kluge Kind hat sehr wohl verstanden - ,,Du musst dir eine andere Mutter suchen“, so die Mutter in einer späteren Szene. Beim ,,Erzählen“ des Hänsel und Gretel- Märchens zeigt sich die sadistische Lieblosigkeit der Mutter. Märchen als Wunsch nach Vernichtung dieses ihr zur Last gewordenen Kindes, aber im Märchenes ,,gehe ja alles gut aus“, so die Mutter - wohlgemerkt im Märchen.

    Der Film der Regisseurin Anja Salomonowitz offenbart eine klar durchdachte, nicht lineare Erzählstruktur: Das Leben von Maria Lassnig wird in kombinierten Spiel- und dokumentarischen Sequenzen rekonstruiert. Verschachtelte Rückblenden, welche das Kunstschaffen von Lassnig als Impulsgeschehen, Körperlichkeit und Gebärprozess eigener, fragmentierter Selbst- und Menschenbilder mit filmischen Mitteln reflektieren kann. Über Lassnig’s Kunst gibt es keine Debatte. Diese ist Ausdruck ihres nie zu Ende- geboren- seins, der zeitlebens blutenden Wunden ihrer Weltinnen- Fremdheit und trostloser Sehnsucht. Ihre Terpentin- verätzten Finger sind lediglich sichtbarer Ausdruck einer großen Seelenqual. Dennoch übersteigt diese Kunst im Kern ihrer existenziellen Allgemeinheit das eigene, tief traurige Lebensschicksal dieser ganz besonderen Künstlerin.

    Welt- Verlorenheit:

    Der Film bebildert die große Tragödie eines offen abgelehnten Kindes. Zeitlebens bestimmen und unterbrechen schwere, depressive Phasen ihre Schaffensphasen. Ihre Bilder sind Ausflüsse des Selbstausdrucks; offenbaren eine haltlose Ungeschütztheit, eine große Transparenz dieser verborgen- verletzlichen, kindlichen Körperlichkeit. Das störrische, abweisende, nicht konziliante der erwachsenen Maria Lassnig ist keine eitle Attitüde, sondern unmittelbarer Ausdruck einer existenziellen Not.

    Die ist kein auf seine Festival- Prämierung schielender Film, sondern komponiert als eine einfühlsame Hommage an den Genius eines aus körperlichem Schmerz und ob dessen seelischer Unbehaustheit spärlich geerdeten Menschen, welcher in der Welt aus der Welt gefallen zu sein scheint. Kunstschaffen zeigt sich bei Lassnig als immer wieder erneut durch dieses Trauma hindurchgehen müssen und immer wieder neu geboren werden müssen als einzig mögliche Form des Existierens in ihrer ganz eigenen Welterfahrung.

    Kunstprozess:

    Anbahnung: Ein konvulsisch sich ins Licht der Welt drängendes, zunächst gestaltloses, atmosphärisch- seelisches, szenisches Erinnern. Mit jedem Atemzug die Öffnung der Kammern der Schmerz- Erinnerung, welche sich als Zangengeburt ihrer Malerei in die Welt windet.

    Zuerst eine dominante Farbe, dann als psychisch vorläufige Gestaltform, einzelne, kontur- gebende Pinselstriche, durch ihre Körperspannung hindurch evoziert, als dessen Medium und Werkzeug. Zentrale Farben ihrer fleischlichen Bilder: Rot, Rosa, Patina- Grün; überhaupt die Buntheit ihrer Gefühlswelt. Als deren Körpererinnerungen bestimmen sie in Farbgefühlen die Motivkonturen das Vexierspiel konkret/ abstrakt. Das Innere und Äußere im Ringen um das Ganze im Bildausdruck. Der Körper ist der Ort der Erinnerung und Austragung.

    Das vollendete Werk steht als Einzelbild für sich, weißt jedoch als offener Signifikant auf dessen Unabgeschlossenheit und weitere Bildproduktion hin. Keine sichtbare Schaffensfreude bei Lassnig; kein erkennbarer Stolz hinsichtlich des Werk- Gelingens. Ein Bild- Fötus liegt schuldlos und unverstanden in der grell- bunten, pfauenhaften Welt der Kunstszene- Eitelkeiten, preisgegeben der Zahlenkonjunktur der Verkäufe eines wetteifernden Kunstmarktes. Die Malerei von Lassnig lässt sich nicht nur bildsprachlich mühsam in einen Welt- Holz- Rahmen spannen. Sie kann nicht umhin als sich dem konträr- Eigenen widerborstig zu entziehen und doch muss sie, vom Leben festgezurrt, nach Vorgabe dieser Kunst- Sphären existieren. Maria Lassnig tritt auf dem Parkett der überwiegend von männlichen Narzissten bevölkerten Galerien unerwartet selbstbewusst und dominant auf. Sie weiß um den Stellenwert ihrer Malkunst und droht unumwunden mit einem Abbruch der Vernissage, sofern die Raumgestaltung und Form der Präsentation ihrer Bilder nicht ihren Vorstellungen entspricht.

    Ihre Bilder sind Nachgeburten einer frühen, seelischen Zerrüttung, eine eiternde Wunde, welche sich nicht schließen will. Ihre Motive weißen als Stachel auf eine organische Unerlöstheit hin. Die fertigen Produkte gewähren lediglich eine Frist bis zur nächsten, quälenden Eruption als Schaffensdrang. Im Film erleben wir Maria Lassnig über weite Strecken als umworbene, verkaufsstarke Bildproduzentin, gefangen im Fluidum des seelisch- häuslichen Bretterverschlags ihres Ateliers. Sie passte in keine der gängigen Schubladen einer romantisch- verkitschten Künstlerinnen- Boheme.

    Gelingt einem Filmvorhaben sich in Demut seinem (Kunst)- Gegenstand liebevoll zu nähern und sich diesem anzuverwandeln, kann dieses selbst zum je eigenen Kunstausdruck werden. Dies ist hier geglückt. Kunst drückt sich als Gestalt über verschiedene Medien aus und strebt als Idee nach eigener Emanzipation als einem fortwährenden Spannungsverhältnis. Hierin liegt das Geheimnis des Gelingens oder eben des Scheiterns am eigenen Anspruch.

    Szene: Flüchtige, schamhafte, fast ungläubige Blicke des begutachtenden Kunstprofessors zu ihr bei der Durchsicht ihrer ,,Mappe“. ,,Ein formelles Bewerbungsverfahren wird hier nicht benötigt“, so der Akademie- Leiter. Eine sympathische Figur, ein Seelenverwandter. Wortlos- ergriffen erkennt er auf Anhieb die Qualität ihrer Kunst als Ausdruck einer authentischen Werkgestalt.

    Bild- Symbolik des Tigers: Eine erste Natur, welche sich weigert, zweite Natur zu werden. Ein gewaltsam- liebevoller Akt unbezähmter Wildheit in der Verweigerung der Sublimation. Rettung und Tod gleichermaßen. Wunsch nach Verschlungen- Werden und Rückkehr in den vorgeburtlichen Uterus.

    Szene: Liegend, forschend- tastend sucht sie routiniert in Formen methodisch kontrollierter Regression nach einem adäquaten Körper- Farb- Gefühl und findet in der leiblichen Körperspannung auf farbflüssigem Bodensumpf dennoch keinen weltvertraulichen Grund für ein haltendes Selbstgefühl zur Selbst- Erlösung. Im Daseins- Schmerz gebiert sie ihre abgeschlossenen, dissoziierten Fragment- Werke als Symbole früh gekappter Lebensadern, in steter Sorge um deren Verbleib als Ausdruck des drohenden Selbstverlustes.

    Faszinierend mit zu erleben ist Darstellung der Lebensgeschichte einer von Kindheit an sozial benachteiligten Frau in ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Die anarchische Eigenwilligkeit und Unkonventionalität ihrer Lebensführung als Künstlerin macht Mut, vor dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu kapitulieren und sein eigenes Leben autonom und in solidarischer Verbundenheit zu gestalten.
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