Was Kunst Menschen bedeuten kann, zeigt Joachim A. Lang in seinem fulminanten Biopic "Cranko" und setzt damit dem gleichnamigen südafrikanisch-britischen Ballett-Choreographen ein Denkmal. Dabei erleben wir Ankunft, Aufstieg und Tod des von Sam Riley gespielten Künstlers während seiner Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Ballett zwischen 1961 und 1973. Faktisch als nachträgliche Ehrerweisung an den Meister spielen Mitglieder der gegenwärtigen Stuttgarter Ballettkompanie zahlreiche Personen aus dem Umfeld Crankos und tanzen für das Kinopublikum. Auch ohne größere Vorerfahrungen mit Ballett wird dem Zuschauer die Schönheit und Kraft dieser Kunstform vor Augen geführt. Der Regisseur scheut nicht davor zurück, sehr lange Tanzpassagen in den Film einzubauen, die wirklich das Werk der Hauptfigur ins Zentrum rücken und für den Zuschauer erfahrbar machen.
Daneben lernen wir John Crankos Lebensweg, seine privaten Krisen, seine Erfolge und Abstürze kennen. Sam Riley spielt dies auf grandiose Weise, doch nie tritt der Film in jene Falle, die viele Biopics nicht zu umschiffen vermögen: das voyeuristische Ausschlachten des Privaten. Nein, bei allen teils sehr intimen Einblicken in das Leben der Hauptfigur bleibt die Verbindung zum Werk, zur Kunst immer bestehen. So kann allein anhand dieses Films das Verhältnis von Einsamkeit und Kunst, das schon viele andere große Namen beschäftigt und in die Depression getrieben hat, verhandelt werden und dies ist nur eine Dimension unter vielen.
Die von Filmstarts angeführte Kritik, die Toleranz des Stuttgarter Milieus der 60er und 70er Jahre sei überspannt dargestellt und dies mit Verweis auf die entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches trifft sicher einen wunden Punkt des Films und ist m.E. doch kein echter Makel. Klammern wir die etwas kitschige Begegnung der Hauptfigur mit einem freundlichen, aber etwas naiven Taxifahrer aus, spielt der Film weitestgehend in einer Blase: eben im Stuttgarter Ballett- und Künstlermiliieu. Hier wird wohl eine andere Toleranz zu unterstellen sein, zumal der Film die Spannungen zwischen John Cranko, der professionellen Kritik und der bürgerlichen Gesellschaft durchaus nicht verschweigt.
Am eindrücklichsten sind deshalb jene Szenen, in denen John Cranko, der die Apartheid in Südafrika miterlebt hat und als Homosexueller im Nationalsozialismus verfolgt worden wäre, über die grenzenlose Universalität der Kunst, den Stumpfsinn des Nationalismus und die Kunstfeindschaft der deutschen Nachkriegsgesellschaft spricht. Sein Wutausbruch - nach einem internen "Angriff" - im Proberaum ist unvergesslich.
Wie nahe der von Sam Riley dargestellte John Cranko dem historischen Vorbild nun wirklich kommt, spielt dabei keine Rolle. Denn der Film Joachim A. Langs trifft sich m.E. mit der Intention des "echten" Cranko: durch unterschiedliche Mittel - durch Film oder Tanz - darzustellen, was Kunst Menschen bedeuten kann. Dieser Film selbst ist große Kunst und wird den Zuschauern sicher viel bedeuten.