Zac Efrons Muskeln und Lily James' Umarmung
Von Björn BecherBerühmt wurde Zac Efron als Schwarm vieler junger Mädchen durch die „High School Musical“-Filme. Wie viele andere Teenie-Stars zeigte er über die Jahre allerdings, dass er ein ernst zu nehmender Schauspieler ist, den auch Rollen abseits des Mainstreams interessieren. Doch vor allem wurde Efron unglaublich muskulös – was nicht nur im Kinofilm zur Serie „Baywatch“ zu bestaunen war. Vor einigen Jahren gab er sogar mit einem eigenen YouTube-Kanal Einblick in sein Fitness-Regiment. Auch Efrons Gesicht veränderte sich merklich, ist nun viel breiter als früher. Nachdem Gerüchte über eine Gesichts-Schönheits-Operation kursierten, machte er öffentlich, dass er eine notwendige Behandlung nach einem lebensbedrohlichen Kieferbruch hatte.
Offen sprach Efron nicht nur über seine physische, sondern auch über seine psychische Gesundheit. Er kämpfte erfolgreich gegen die Alkoholsucht und gegen Depressionen, die er auch auf die Einnahme diverser Mittel bei den „Baywatch“-Dreharbeiten zurückführt. Mit dieser Vorgeschichte im Hinterkopf kann man sich ausmalen, wie viel es Efron bedeutet haben muss, den ehemaligen Wrestling-Star Kevin Von Erich in Sean Durkins „The Iron Claw“ zu verkörpern – und es hat sich ausgezahlt. Mit starrer Mimik und einem grotesk breiten Oberkörper ist er das Zentrum in diesem so vordergründig auf die Darstellung von Körperlichkeit konzentrierten Drama. Doch nicht nur Efron schafft es, dass hinter all diesen Äußerlichkeiten immer das Menschliche durchscheint.
Weil ihm selbst als professionellem Wrestler Fritz Von Erich der Traum vom Weltmeistergürtel verwehrt blieb, setzt Jack Adkisson (Holt McCallany) alles daran, dass seine Söhne das nun erreichen. Der Zweitälteste Kevin (Zac Efron) hat es nun sogar bereits zum texanischen Meister geschafft und vielleicht bald einen Titelkampf in Aussicht. David (Harris Dickinson) macht gerade ebenfalls seine ersten Schritte im Ring. Er hat vielleicht nicht ganz die Muskeln von Kevin, aber viel mehr Charisma und die für das Wrestling so wichtigen Showman-Qualitäten. Und als der Olympia-Traum von Diskuswerfer Kerry (Jeremy Allen White) platzt, weil Präsident Jimmy Carter die Teilnahme von US-Athlet*innen an den 1980er-Sommerspielen im kommunistischen Moskau absagt, folgt er seinen beiden Brüdern in den Ring.
Nur mit seinem jüngsten Sohn Mike (Stanley Simons) hat Jack noch so seine Probleme. Denn der musiziert lieber in der Garage als Gewichte zu stemmen. Doch der strenge Vater und seine religiöse, für Unmengen an Essen sorgende Frau Doris (Maura Tierney) glauben, dass sich dies mit harter Hand bald legen wird. Doch während der Aufstieg unaufhaltsam scheint und Kevin mit Pam (Lily James) die Liebe seines Lebens trifft, passiert das erste von vielen großen Unglücken, welche die Familie nun nach und nach erschüttern werden. Für Kevin scheint sich immer mehr zu zeigen, dass der Fluch, der auf dem Namen Von Erich liegen soll und dem schon der tragische Tod des ältesten Sohnes Jack Jr. im Kindesalter zugeschrieben wird, wirklich existiert...
Beim ersten Date in einem kleinen Diner diagnostiziert Pam bei Kevin, dass er unter dem Ältester-Bruder-Syndrom leide, weil er sich so um die anderen kümmert. Da eröffnet er ihr, dass das gar nicht sein könne. Er ist ja nicht der älteste Bruder. So erzählt er über den Tod von Jack Jr. und dem Fluch, der angeblich auf dem Namen Von Erich lastet. Pam ordnet die ganze Fluch-Erzählung zu Recht als unrealistischen Aberglauben ein, während Kevin unbeholfen versucht, das Gespräch wieder in fröhlichere Bahnen zu lenken. Die Szene endet damit, dass Pam sich von ihrem Platz erhebt, ihre im Vergleich unglaublich kleinen Arme um den massiven Körper des Wrestlers legt und ihm einfach nur Trost spendet. Für einen Moment verharrt die Kamera einfach nur auf dem Bild des sich umarmenden Paares – eine Einstellung, die „The Iron Claw“ perfekt zusammenfasst.
Denn wir haben hier vordergründig die Bilder, die von der Physis der Figuren und der sie verkörpernden Schauspieler wie Zac Efron oder „The Bear“-Star Jeremy Allen White leben. Immer wieder fängt „Martha Marcy May Marlene“-Regisseur Sean Durkin die massiven Muskeln ein – nicht nur beim stetigen Gewichte-Stemmen. Da wird sich auf einer Party das T-Shirt zerrissen und zu Hause bevorzugt nur in knapper Unterhose herumgelaufen. Und da sind natürlich die zahlreichen Wrestlingszenen – allesamt großartig choreografiert und eingefangen. Dabei wird der Sport nicht etwa verspottet, sondern vielmehr das Show-Spektakel und die teilweise komplizierten Bewegungsabläufe gewürdigt.
Das eigentliche Highlight sind aber trotzdem die Momente hinter all diesen Muskel-Bildern. Mit einer unglaublichen Liebe für seine jungen Protagonisten zeigt Durkin immer wieder das Band zwischen den Brüdern. Obwohl der sich an der wahren Geschichte der durch Depressionen, Unfälle und Selbstmorde erschütterten Von-Erich-Familie orientierende Film schnell einen tragischen Verlauf nimmt, bleibt ein positiver Unterton, der sich vor allem in einem überraschend optimistischen und gerade deswegen berührenden Finale zeigt.
Viel ist dem starken Cast zu verdanken: vom unglaublich charismatischen Harris Dickinson („Triangle Of Sadness“) über den – passend zu seiner Figur – immer etwas zu intensiv spielenden Jeremy Allen White bis hin natürlich zu Zac Efron, der zwar im Zentrum der Erzählung steht, aber auch den schwierigsten Part hat. Kevin ist nicht so charismatisch wie David und nicht so athletisch wie Kerry, was er damit kompensiert, dass er noch aufgepumpter als alle anderen ist. Efron und Regisseur Durkin schaffen es großartig, die eigentlich leinwandfüllende körperliche Präsenz mit dem Umstand zu verbinden, dass er für die Öffentlichkeit mit Fortlauf der Handlung teilweise hinter seinen Brüdern fast zu verschwinden droht.
Ein paar Mal wird „The Iron Claw“ allerdings zu erklärend. Und wenn bereits in der nach einem Schwarz-Weiß-Prolog ersten Szene das Familienheim der Von-Erich-Familie mit einer Kamerafahrt über die Pokale und Schusswaffen eingeführt wird, ist das vielleicht etwas zu plakativ – aber zugleich auch effektiv. Natürlich lässt Durkin auch wenig Zweifel daran, dass an den vielen Unglücken, Unfällen und Selbstmorden in der Wrestling-Dynastie nicht etwa ein verfluchter Name steckt, sondern die Eltern verantwortlich und damit der wahre Fluch für ihre Kinder sind.
Hier bietet sich vordergründig der Vater an, der am Frühstückstisch das aktuelle Lieblingssohn-Ranking aufsagt – ergänzt mit dem Hinweis: Das kann sich jederzeit ändern, jeder kann aufsteigen, jeder hinunterrutschen. So treibt er mit seinen Erziehungsmethoden die Söhne in Drogenkonsum und Depression. Doch es ist gerade die herausragende Maura Tierney („Emergency Room“) als immer wieder im Hintergrund verschwindende Mutter, welche die Kälte der Familie so gekonnt illustriert. Auch hier sind es nicht unbedingt die deutlichen Szenen, die so herausstechen wie jener Moment, als Kevin seine Sorgen bei ihr abladen will, aber an seine Brüder verwiesen wird, die er dafür ja habe. Die kleineren Momente entfalten eine ebenso große Wirkung – vor allem jene, die erst gar nicht existieren. Doris ist zwar die ganze Zeit präsent, aber nie wirklich da. So berührt sie ihre Kinder nicht, nimmt sie nie einfach mal in den Arm, was den angesprochenen Moment, in welchem Pam mit Kevin einfach nur genau das macht, noch stärker wirken lässt.
Fazit: Sean Durkins „The Iron Claw“ ist trotz all seiner Muskeln und seinen stark inszenierten Wrestling-Kämpfen dann am besten, wenn es um kleine menschliche Gesten geht.