DIE WEHMUT AM LETZTEN URLAUBSTAG
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Mit Nominierungen und Preisen überhäuft, Kritikerlob da und Kritikerlob dort: Charlotte Wells, bisher maximal mit Kurzfilmen vertreten, die nur Insider kannten, hat mit ihrem allerersten Spielfilm bereits so viele Tore ins Filmbiz geöffnet, die andere sonst nur auf zähem Wege und vor allem mit Vitamin B aufbekämen. Keine Ahnung, wohin Wells es zukünftig verschlagen wird, oder ob man ihr, wie Chloë Zhao, ein Franchise unterjubelt, mit welchem sie nichts anfangen kann. Denn Aftersun ist ein Film, der nicht so danach aussieht, als würde seine Macherin dereinst mit Comic-Helden oder Aliens jonglieren wollen, sondern es lässt sich gut der Eindruck gewinnen, dass Künstlerinnen wie Wells sehr wohl schon ihren Themenkreis gefunden haben. Dessen Materie setzt sich zu Stimmungsbildern zusammen und eignet sich wohl weniger zur geradlinigen Story mit Twist und Showdown. Aftersun legt es aber mitnichten darauf an, sein Publikum zu verwirren oder auf falsche Fährten zu locken. Das wäre, wenn doch, lediglich des Effekts willen probiert. In diesem Film hier geht es um Erinnerungen und gemeinsam Erlebtes, auch wenn das Erlebte nicht aufgrund spektakulärer Begebenheiten unvergessen bleiben will. Die Wucht darin liegt in der familiären Wärme des Miteinanders, der vertrauten Dynamik zwischen Vater und Tochter, unter levantinischer Sommersonne und den gängigen Rhythmen eines Pauschalurlaubes, der nichts dem Zufall überlässt und in welchen sich Touristen wie Sophie (Frankie Corio in ihrer ersten Filmrolle) und Calum (Paul Mescal) fallen lassen können. Viel Schlaf, entspanntes Herumhängen und schickes, abendliches Dinieren. Dazwischen Sonnencreme, Müßiggang am Pool oder Baden im Meer kurz vor Sonnenuntergang. Wir alle wissen, wie sich sowas anfühlt. Wenn die Buchung des Hotels mal so stimmt, wie erwartet, sind Zeit und Alltag ausgehebelt, zählt nur noch das Jetzt ohne Tagescheck, und oft weiß man nicht, ob die Woche schon rum ist, so versunken scheint man zwischen Sand, Salz und Eiscreme. Und natürlich denken wir uns dann, dass wir irgendwann dortbleiben wollen. Aussteigen, auf diese Weise weiterleben. Daheim alles zurücklassend, weil die Ferne ruft. Tatsächlich lässt sich das auch von der All-inclusive-Bar denken und erträumen. Und nicht nur das. Die elfjährige Sophie und ihr Vater Calum wollen ebenfalls ewig in dieser Vater-Tochter-Konstellation verharren und in den heißen, angenehm ermüdenden Tag hineinleben. Doch irgendetwas, jenseits dieser idealen Kulisse, stimmt nicht.
Denn Vater Calum dürfte für Sophie irgendwann später nur noch Geschichte gewesen sein, verknüpft mit der Erinnerung einer kurzen und zugleich zeitlosen All-Inclusive-Buchung, die sich für ewig als das Bild einer Zweisamkeit ins Gedächtnis der nun schon erwachsenen Sophie gebrannt hat, die eines Tages das selbstgedrehte und kuriose Handycam-Video hervorkramt und in der bittersüßen Stimmung von damals schwelgt. In ihren Gedanken aber befindet sie sich immer wieder auf einer in Stroboskoplicht getauchten, dich bevölkerten Tanzfläche, inmitten das Gesicht ihres Vaters. Oder doch nicht? Wo ist sie hin, die Vergangenheit? Wo ist sie hin, die immer abstrakter werdende und verfremdete Figur von Dad?
Aftersun bietet auf den ersten Blick nicht mehr als aneinandergereihte, repetitive Momente eines Urlaubs. Auf den zweiten Blick versucht Charlotte Wells, das Narrativ einer mit Wehmut aufgeladenen Erinnerung in einem Alltagsfluchtort wie diesen festzumachen. Dabei bleibt sie vage und assoziativ, das Davor und das Danach verliert sich im Dunkeln eines Dancefloors. Was später passieren wird, soll durch seine Variabilität und Undefinierbarkeit dem Zuseher die Möglichkeit geben, sein eigenes Stück Familiengeschichte hineinzuinterpretieren. Aftersun ist ein subjektives Psychogramm, errichtet aus Beobachtungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne der Eintracht. Natürlich wirkt das etwas dürftig, für Plot-Fetischisten womöglich zu wenig, die darauf warten, das etwas passiert. Passiert ist aber alles längst, nach der ersten Minute schon. Was wir hier haben, ist das rekapitulative Nachwehen von Vergangenem – intuitiv inszeniert, aber auch schwer erreichbar.
Was in Aftersun bleibt, ist das Eingestehen der Tatsache, Zeit seines Lebens die Leere ertragen zu müssen, die auf vergangenes Glück folgt. Würde sich die Zeit zurückdrehen lassen, würde Sophie den besten Urlaub ihres Lebens niemals anders erleben wollen. Immer und immer wieder.
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