Höllentrip ins Land der besoffenen Kerle
Von Gaby SikorskiDer Begriff „Outback“ bezeichnet laut Duden eigentlich eine Region, die ganz hinten und außerhalb liegt. Der Berliner Dialekt kennt dafür den Ausdruck „jwd“: janz weit draußen, „abgelegen“ wäre die hochdeutsche Variante. Das australische Outback, eine extrem dünn besiedelte bis unbewohnbare Landschaft, erstreckt sich über das gesamte Landesinnere und nimmt insgesamt etwa 80 Prozent der Gesamtfläche Australiens ein. Das „Red Centre“, die vom mineralhaltigen Sand rot gefärbte Region rund um Alice Springs, die inoffizielle Hauptstadt des Outback in der Mitte Australiens, wurde nicht zuletzt durch viele Filme bekannt, die hier gedreht wurden und teilweise Kultcharakter besitzen: Da ist das legendäre Roadmovie „Priscilla – Königin der Wüste“ (1994) – eine schrille Tragikomödie über Dragqueens, die durch das Outback touren.
Auch die Filme der „Mad Max“-Reihe wurden im Outback gedreht, wobei die Dreharbeiten zum vierten Teil „Fury Road“ kurzfristig nach Afrika verlegt wurden, weil sich die australische Wüste durch unerwartete Regenfälle in eine blühende Landschaft verwandelt hatte. Im für 2024 angekündigten Prequel „Furiosa“ wird nun wieder das Outback als Hintergrund für das Endzeit-Szenario dienen. Wie gut sich die abgelegene Region als Szenerie für Thriller eignet, zeigte sich zuletzt zum Beispiel bei „The Drover’s Wife“ (2021) – und nun auch in „The Royal Hotel“ von Kitty Green: eine „Mitten im Nirgendwo“-Geschichte um zwei Freundinnen, die als Servicekräfte in einem Pub mitten in der Einöde landen und dort mit einer Männergesellschaft konfrontiert werden, deren Freizeitverhalten im Wesentlichen durch hemmungslosen Alkoholgenuss und übergriffiges Verhalten bestimmt scheint.
Das Besondere an „The Royal Hotel“ ist sicherlich die subtile Form des Spannungsaufbaus sowie Kitty Greens souveränes Handling der Thriller-Elemente. Der Beginn kommt relativ unbeschwert daher, wobei die stark wummernden Rhythmen auf dem Partyboot, mit dem die Freundinnen Liv (Jessica Henwick) und Hanna (Julia Garner) durch den Hafen von Sydney schippern, vielleicht schon etwas zu direkt auf die kommenden Beklemmungen hinweisen. Die kanadischen Rucksack-Touristinnen werden zunächst als abenteuerlustige Partylöwinnen etabliert. Als plötzlich Ebbe in ihrer Reisekasse herrscht, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den erstbesten und einzigen Job anzunehmen, den sie bekommen können: Tresenkraft in einem Outback-Pub.
Das titelgebende „Royal Hotel“ ist eine heruntergekommene Wüstenkneipe und hat vermutlich noch nie bessere Tage gesehen. Der Inhaber, der notorische Säufer Billy (Hugo Weaving), ist ähnlich verwahrlost. Seine On-off-Beziehung Carol (Ursula Yovich) hilft in der Küche aus. Nach einer kurzen Einweisung in ihre Arbeit müssen die Mädchen gleich selbst ran – denn kaum ist der Pub geöffnet, bricht die Hölle los. Scharen von durstigen Bergarbeitern aus der nahegelegenen Mine stürmen die Kneipe, Liv und Hanna kommen mit den Bestellungen kaum hinterher. Mit dem Bierkonsum steigt die Lautstärke ebenso wie der Aggressionspegel. Eigentlich alles andere als ängstlich oder schüchtern sehen sich die beiden ersten Anzüglichkeiten und sexistischen Witzen ausgesetzt. Während Hanna davon angeekelt ist und versucht, sich dagegen zu wehren, geht Liv eher locker damit um.
Und so bleibt es im Grunde – was die Entwicklung ihrer Charaktere betrifft, hält sich Kitty Green zurück. Doch das Thriller-Handwerk beherrscht sie perfekt: Die Bedrohungen steigern sich subtil, aber stetig, während der Bierdunst von der Leinwand wabert. Kitty Green arbeitet mit wenig Background-Musik, sie nutzt stattdessen die Grundsituation: zwei hübsche, junge Mädchen, die in der Wüste gefangen sind und für die es kein Entkommen gibt. Dazu kommt die morbide Atmosphäre des Hauses, das ebenfalls immer bedrohlicher wirkt. Die Grundstimmung wechselt von unschön zu unangenehm, die Angst steigert sich minütlich, und es scheint, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Protagonistinnen auf die eine oder andere Art zu Opfern werden.
In dieser gottverlassenen Wüstengegend, wo Gleichberechtigung bedeutet, dass auch die Frauen saufen dürfen, hat die sensible Hanna keine Chance. Keiner der ortsansässigen Hinterwäldler, die sich im Suff wie tollwütige Hunde verhalten, hat vermutlich jemals etwas von #MeToo gehört – und wenn doch, dann wüssten sie wahrscheinlich nicht, was dahintersteckt, und würden den Claim mit der Bierdose in der Hand freudig mitgrölen. Liv nimmt Hannas Bedenken auf die leichte Schulter, so wie viele andere Frauen überall auf der Welt, die niemandem den Spaß verderben wollen und deshalb gute Miene zum bösen Spiel machen. Sollen auch Hanna und Liv mit den Wölfen heulen, um nicht von ihnen gefressen zu werden?
Kitty Green analysiert die hässliche Grauzone zwischen den Fronten von Männern und Frauen, sie spielt raffiniert mit Vorurteilen, mit dem Glauben an Toleranz und Vernunft, der für sie ein Irrglaube ist. „Trau keinem Mann!“, lautet ihre radikale Devise, denn hinter der nettesten Fassade lauert ein wildes Tier, das nur ein paar Schlucke Bier braucht, um zum Vorschein zu kommen. Aber das hätten sie doch wissen müssen, oder? Waren die beiden Frauen nicht vorgewarnt? Sind sie nicht selbst schuld, wenn sie sich in diese Situation begeben! So oder ähnlich lauten die altbekannten Rechtfertigungen.
Ähnlich wie in ihrem gefeierten Debüt-Spielfilm, dem an den Weinstein-Skandal angelehnten „The Assistant“, geht es auch in „The Royal Hotel“ um das stille Einverständnis der Frauen mit einem inakzeptablen Verhalten von Männern und um die Frage, ob und wie dem Einhalt zu gebieten wäre. Flucht oder Konfrontation? Einen Mittelweg scheint es nicht zu geben. Der oft, vielleicht schon allzu oft verwendete Begriff der toxischen Männlichkeit trifft auf diese australische Männergesellschaft absolut zu – hier haben nur Frauen eine Chance, die sich wie die Chamäleons ihrer Umgebung anpassen. Und zumindest Hanna gehört definitiv nicht zu diesen Frauen.
Fazit: „The Royal Hotel“ ist als Thriller durchaus bemerkenswert, vor allem aufgrund seiner Subtilität. Kitty Green macht aus den beiden Mädchen keine eindeutig definierten feministischen Heldinnen, sondern zeigt ihr realistisches Schwanken zwischen Duldsamkeit, Passivität und Aufbegehren.