Rasanter, blutiger Horror-Trip, dem jedoch Logik, Feingefühl und Menschlichkeit fehlen!
Die französische Regisseurin Coralie Fargeat hatte bisher nur einen Film gedreht: „Revenge“ von 2017. Das blutige Rachedrama war wirklich unterhaltsam und zeigte bereits das Talent der Regisseurin. Dann dauerte es aber tatsächlich sieben Jahre, bis der nächste große Kinofilm von ihr erschien. Dieses Mal arbeitete sie mit einem amerikanischen Studio zusammen, sowie mit amerikanischen Schauspielern. Und 2024 kam dann schließlich „The Substance“ in die Kinos, ein Horrorfilm mit sozialkritischen Elementen, der in der Werbung und in Trailern als „besonders grotesk“ und dergleichen bezeichnet wurde. So etwas nervt mich persönlich sehr, vor allem wenn ein Großteil des Trailers nur aus solchen reißerischen Zitaten besteht. Aber sei´s drum, die Thematik sah spannend aus und ein blutiges, abgedrehtes Werk über den Schönheitswahn der Neuzeit geht für mich immer. Besonders wenn respektable Darsteller wie Demi Moore oder auch Dennis Quaid mal was Neues in ihren Rollen ausprobieren. Und tatsächlich ist „The Substance“ ein Fiebertraum an grotesken Bildern und Ideen. Kein Film für schwache Nerven oder zartbesaitete Gemüter. Wer einen unterhaltsamen Horrorfilm mit Schockeffekten sucht, ist hier richtig. Perfekt ist das blutige Werk über toxische Schönheit aber leider nicht…
Die gealterte Schauspielerin Elisabeth Sparkle will wieder jung und schön sein, denn an ihrem 50. Geburtstag wird sie von ihrem misogynen Chef gefeuert. Nach einem Unfall gerät sie an eine dubiose Firma, die mit ihrem Produkt „The Substance“ wirbt: Es erschafft eine „Perfekte“ Form von einem selbst, doch es gibt Regeln, die man befolgen muss. Elisabeth will das Ganze unbedingt ausprobieren und findet sich plötzlich als junge Frau vor ihrem Spiegel wieder. Ihr neues Ich, nennt sich Sue und wird der neue Star im Fernsehen. Doch schnell gerät das Doppelleben außer Kontrolle…
In meinen Augen ist „The Substance“ besonders visuelle beeindruckend und stellenweise großartig. Kameramann Benjamin Kracun erzählt mit seinen stilisierten Bildern einen Großteil der Geschichte. Das ist etwas, was ich wirklich liebe, wenn ein Film ohne Dialoge seine Story erzählen kann und das auch noch auf eindrucksvolle, manchmal auch brutale Weise. In Verbindung mit dem elektronischen, düsteren Score von Raffertie ergeben sich immer wieder großartige und grotesk, schockierende Momente. Und trotz der vielen blutigen Bilder, hat der Film eine anmutige Schönheit in seinem Horror. Wie etwa, wenn der Boden im Flur des TV-Studios wie riesige, rote Ketten aussieht. Und das Bad von Elisabeth ist ein weißer, kühler Raum, der wie ein OP-Saal wirkt, abgeschottet vom großen, schwarzen Nichts.
Die Geschichte arbeitet mit Elementen aus großen Horror-Klassikern: „Frankenstein“, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ und besonders „Dorian Gray“ ist hier klar zu erkennen, ebenso wie Body-Horror-Elemente von David Cronenberg. Die Idee des besseren Ichs, des optimierten, schöneren Menschen, das alles ist nichts Neues, funktioniert aber auch heute noch perfekt für gute Geschichten. Gerade die Horror-Abteilung ist prädestiniert für diese Art von Storys und „The Substance“ kann diese Art der Gesellschaftskritik solide rüber bringen. Dabei ist einfach alles im Film völlig überzogen und fast schon satirisch inszeniert. Mit Ausnahme von Elisabeth, ist jede Figur sehr unangenehm in ihrer Art des Ausdrucks. Nahezu alle Männer sind sexistisch und misogyn, während Frauen als Objekt der Lust vermarktet werden. So passend diese Überspitzung auch ist für einen derartigen Film, so sehr habe ich aber auch die sensiblen Zwischentöne vermisst, besonders in der zweiten Hälfte des Films. „The Substance“ will vor allem eins: Schocken. Und das kann der Film auch. Es wird nie langweilig, da immer ein neuer, irrsinniger Twist um die Ecke kommt. Die Story wird rasant und spannend erzählt und immer wieder war ich erstaunt, wie wie der Film mit seinen Figuren geht. Und dennoch ist das alles sehr schwarz-weiß. Die Message ist in den ersten Sekunden klar und wird über die fast zweieinhalb Stunden mit einem Vorschlaghammer dem Zuschauer eingeprügelt. Dabei fehlen mir eben die Grautöne, die Menschlichkeit. Denn so unterhaltsam stilistischer Body-Horror auch ist, bei einer solchen Laufzeit brauche ich dann doch etwas mehr.
Denn das Hauptproblem am Film liegt für mich im Drehbuch, welches aus der Feder von Regisseurin Fargeat stammt: Die Dialoge sind sehr plump stellenweise. Auch das ist sicherlich gewollt, aber das Drehbuch kollidiert in meinen Augen mit den ausdrucksstarken Bildern. Denn während die Bilder auf vielen Ebenen funktionieren und Handlung und Figuren voran bringen, wirken die Dialoge aufgesetzt und einfach. Auch hier verpasst der Film es seiner Geschichte Menschlichkeit zu verpassen… Zudem ist der Film auch etwas zu lang.
Auch die Logik des Films lässt zu Wünschen übrig. Da wären kleine Dinge, wie etwa die Tatsache, dass es keine Anleitung für „The Substance“ gibt. Elisabeth weiß einfach, wie man jedes Gerät benutzt, wo welche Nadel reingesteckt werden muss. Wieso kann man nicht zeigen, dass sie vorher eine Anleitung dazu liest? Auch andere logistische Probleme einer gespaltenen Persönlichkeit werden kaum behandelt. Wie zum Beispiel scheidet das zweite Ich Nahrung wieder aus, wenn es eine Woche auf dem Boden liegt? Müsste die Person dann nicht auch extreme Druckstellen vom Liegen haben? Hat Sue sich ein eigenes Konto angelegt oder geht ihr verdientes Geld auf das von Elisabeth? Dann sieht man zum Beispiel, wie beim Injizieren einer Flüssigkeit in eine Vene Luft in dem Gemisch ist. Und selbst ich als Laie weiß, das beim Injizieren in den Körper keine Luft dabei sein sollte.
Das deutlich größere Problem ist aber das gespaltene Bewusstsein der beiden Protagonistinnen. Schnell entwickeln sich zwei Menschen aus dem Experiment und Elisabeth scheint das Leben als junge Frau selbst gar nicht zu erleben. Wieso also macht sie das Ganze dann mit? Sue wird schnell zur eigenen Figur mit eigenen Erinnerungen und Erlebnissen, während Elisabeth jedes Mal überrascht ist von dem, was Sue in der Woche getrieben hat. Hier ist der Film überraschend unkonkret und schafft es nicht zu vermitteln, warum Elisabeth das Ganze nicht abbricht. Ich hätte es deutlich spannender gefunden, wenn sich beide Frauen ein Bewusstsein teilen. Das ganze Konzept des Films irgendwie nicht zu Ende gedacht...
Darstellerisch bin ich ebenfalls etwas zwiegespalten. Demi Moore ist wirklich perfekt für die Rolle und gibt auch wirklich alles. Im Verlauf des Films entwickelt sie sich aber immer mehr zu einer Art Klischee-Hexe aus dem Zauberwald, was nicht zuletzt an ihrem überzogenen Spiel liegt. Dabei gibt es immer wieder wirklich schöne Momente von ihr, wie etwa wenn sie vor einem Date immer wieder panisch zum Spiegel rennt und sich nachschminkt.
Margaret Qualley ist wirklich toll als gierige Sue und gibt auch körperlich alles. Sie hat definitiv eine steile Karriere vor sich. Und auch Dennis Quaid überzeugt mit einer exzentrischen und ungewohnten Performance.
Fazit: „The Substance“ ist ein knalliger, blutiger manchmal auch sehr ekliger Horror-Film mit guten Schauspielern und einer überragenden Optik. Doch dem Ganzen fehlt der Realismus, die Menschlichkeit wie etwa in „Poor Things“. Beide Filme haben eine ähnliche Thematik und eine ähnliche, stilistische Optik. Jedoch ist Lanthimos´ Oscar-Film eben deutlich feinfühliger und nicht nur darauf bedacht zu schockieren. „The Substance“ fehlt es hier und da dann doch an… Substanz. Unterhaltsam ist das groteske Horrorwerk aber allemal!